| # taz.de -- Glamour: Wenn Künstler nur noch Marken sind | |
| > Die Ausstellung "Pop Life" zeichnet die künstlerische Selbstvermarktung | |
| > seit Andy Warhol nach. Damit dürfte die Hamburger Kunsthalle einen | |
| > weiteren Vermarktungscoup gelandet haben - so manches aber lässt der | |
| > absehbare Publikumsmagnet vermissen. | |
| Bild: Wo der Zuschauer zum Voyeur wird: Jeff Koons "Made in Heaven - Starring: … | |
| Stimmt es denn überhaupt, dass der arme Künstler kreativer ist? Dass ein | |
| "authentischer" Künstler pflichtschuldig die Konsumwelt meidet - so, wie es | |
| Generationen von Kunstkritikern gefordert haben? Die Ausstellung "Pop | |
| Life", die jetzt in Hamburg zu sehen ist, verneint all das. Kunst und | |
| Kommerz, behauptet sie vielmehr, gehören zusammen. Mehr noch: Kommerz ist | |
| die Fortsetzung der Kunst mit anderen Mitteln. | |
| Pop Art-Ikone Andy Warhol, so die These der 320-Exponate-Schau, habe das | |
| als Erster begriffen: "Gute Geschäfte sind die beste Kunst." Warhols späte | |
| Phase habe keineswegs das blutleere Ende seiner Kreativität markiert. | |
| Sondern vielmehr eine Neudefinition von Kunst, die weit in die Zukunft | |
| hinein gewirkt habe: Da war einerseits die Idee der exzessiven | |
| Selbstvermarktung und des Eintauchens in die High Society bei minimalem | |
| Restabstand. Andererseits der Versuch, Mechanismen der PR zu nutzen und die | |
| Medien systematisch mit der Marke Warhol zu füttern. Und das sehr effektiv: | |
| Warhol, Übervater der Ausstellung, die in London konzipiert wurde und | |
| hierzulande nur in Hamburg zu sehen sein wird, wurde sozusagen Teil des | |
| Systems - und profitierte davon. | |
| In den nachfolgenden Generationen machte dann der Begriff des "trojanischen | |
| Pferds" die Runde: Propagiert wurde in den 1970ern und 80ern das | |
| Einschleusen in Schlüsselpositionen von Kunstbetrieb, Öffentlichkeitsarbeit | |
| und Kommerz. Prominente Beispiele in "Pop Life" sind etwa Cosey Fanni Tuti, | |
| die im echten Leben ganz konkret als Pornodarstellerin arbeitete. Oder | |
| Andrea Fraser, die für Geld mit einem Sammler schlief und das auch noch auf | |
| Video dokumentierte. | |
| Offen bleibt dabei vielleicht die Frage, wohin solch eine | |
| "Überidentifikation" von Künstlern mit dem jeweils unterwanderten System | |
| führt - und wie lange man eigentlich noch von Subversion sprechen kann. | |
| Diese Feinheiten allerdings scheinen die Künstler, die hier gezeigt werden, | |
| kaum zu interessieren. Zwar hängt da auch ein "Selbstporträt" Ashley | |
| Bicertons - eine Leinwand, bedeckt mit den Labels all dessen, was die | |
| Künstlerin so konsumiert. Lieber aber folgen die Kuratoren bereitwillig den | |
| Spuren der Selbstinszenierer, die sie, kaum vermeidlich, abermals | |
| inszenieren. | |
| Da wäre etwa Jeff Koons, so wie Warhol ein Verwerter alltagskultureller | |
| Objekte, der auf - zuweilen schlichte - Schlüsselreize setzte. Sein | |
| berühmtes Plakat "Made in Heaven" ist in Hamburg prominent platziert - als | |
| ginge es darum, überdeutlich zu machen, dass der Betrachter hier | |
| zwangsläufig zum Voyeur wird vor diesem Bild, das den nackten Koons mit | |
| seiner (fast) nackten späteren Ehefrau, der Porno-Darstellerin Cicciolina, | |
| zeigt. Es wirkt wie ein Filmplakat, und man kann sich fragen, ob man den so | |
| annoncierten Streifen würde sehen wollen. | |
| Was das angeht, ist "Pop Life" geradezu gnadenlos: Es folgen Skulpturen und | |
| weitere Fotos vom Geschlechtsverkehr des Glamour-Paars. Kuratoren wie auch | |
| das Publikum balancieren gemeinsam zwischen Kitsch und Kunst - vermutlich | |
| ganz so, wie Koons es wollte. | |
| Auch dessen Strategie ging ja auf: Koons Arbeiten erzielten horrende | |
| Preise, Boulevardblätter transportierten sein Foto in den letzten Winkel. | |
| Unerbittlich die Parallele zur Inszenierung etwa nordkoreanischer | |
| Diktatoren, die sich mit Visionärsblick auf Bergen porträtieren lassen. Der | |
| Unterschied in der Ästhetik ist minimal - allein: Die Diktatoren wollten | |
| politische Systeme verkaufen und, mehr noch, Macht zementieren. Dagegen | |
| suchten die nun in Hamburg gezeigten Künstler sich selbst zur dominanten | |
| Marke zu machen, zum Teil des Mainstreams. Ja, vielleicht gar einen | |
| Personenkult zu erschaffen, wie es auch der in einem eigenen Raum | |
| gewürdigte Martin Kippenberger tat: aufdringlich, unausweichlich und laut. | |
| Geradezu glücklich ist man da angesichts eines Keith Haring, dessen 1986 in | |
| SoHo eröffneten "Shop" die Kunsthalle rekonstruiert hat - mit Graffiti, | |
| Musik und T-Shirts hinter der Verkaufstheke. Auch Haring wollte, ja, | |
| verkaufen. Aber er inszenierte nicht sich selbst, sondern seine | |
| -Strichmännchen. Die er auch anfangs nicht der zahlungskräftigen Haute | |
| Volee schenkte, sondern dem "Volk", das etwa in U-Bahn-Schächten an seinen | |
| Zeichnungen vorbeiging. Auch in in Hamburg übrigens kann man jetzt seine | |
| T-Shirts kaufen. Eine Aktion, die Mitnahme- und Mainstream-Mentalität der | |
| Massen offenbarend. Haring als einziger politischer Künstler hier? | |
| Andererseits: Ist Takashi Murakami, dessen lebensgroße, vollbusige | |
| "Hiropon"-Figur da steht, nicht politisch? Immerhin behauptet der Japaner, | |
| er wolle die US-amerikanische Kulturhegemonie brechen und ein originär | |
| japanische Ästhetik implementieren. Sein - ironischer? - Fundus: bonbonrosa | |
| Manga-Figuren, die er baut und auf Sockel stellt. Deren Miniatur-Kopien er | |
| günstig verkauft. Er hat Taschen entworfen, die basisdemokratische | |
| Kunstmesse "Geisai" erfunden und pflegt ansonsten ein | |
| nationalistisch-professorales Image. Das Perfide dabei: Murakami erfindet | |
| alle Komponenten selbst - die angeblich "japanische Ästhetik" inbegriffen. | |
| Und kommt damit in Japan überraschend gut durch. Vielleicht deckt er | |
| tatsächlich einen Mangel seiner Landleute an ästhetischem Selbstbewusstsein | |
| auf. | |
| Ästhetisch und politisch selbstbewusst: Ist es diese Ausstellung, die in | |
| eine Auswahl jener vergoldeten Werke mündet, die der Brite Damien Hirst am | |
| Vorabend der Finanzkrise für rund 111 Millionen Pfund veräußerte? Zunächst | |
| einmal kleistert sie ausgesprochen disparate Künstler zusammen, reduziert | |
| sie auf den Aspekt der Selbstvermarktung. Dann kopiert sie schlicht die | |
| Strategien der Ausgestellten. | |
| Im Grunde ist "Pop Life" die konsequente Fortschreibung der Auktion des | |
| Damien Hirst: Dieser testete die finanzielle und ästhetische Schmerzgrenze | |
| des Publikums, er pokerte hoch - und gewann. Das Museum wiederum, nicht | |
| ganz so finanzstark, sucht vom Mythos Hirst zu profitieren - und | |
| gleichfalls Geld zu verdienen. So wie es das mit "authentischer" Kunst, | |
| siehe oben, freilich auch täte. | |
| "Diese Ausstellung bietet Farben, bietet Musik, sie ist sinnlich, sie soll | |
| Spaß machen", sagt die Hamburger Co-Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers. Was | |
| stimmen mag, zugleich aber auch suggeriert, dass die Hamburger Kunsthalle | |
| verzweifelt nach Besuchern lechze und keine Mittel scheue, die Massen mit | |
| klingenden Namen zu bedienen. Wodurch diese Ausstellung über | |
| Oberflächlichkeit und Ambivalenz von Eigen-PR selbst zu einem glänzenden | |
| Beispiel eben dafür geworden wäre. | |
| 12 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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