# taz.de -- Stadtforscher Volker Kirchberg: "Kreativität kann man nicht planen" | |
> Das Montagsinterview: Volker Kirchberg untersucht, welche Bedeutung Kunst | |
> und Kultur für die Stadtentwicklung haben. In der öffentlichen | |
> Wahrnehmung hat sein Thema zuletzt eine erstaunliche Karriere gemacht - | |
> auch, nachdem Künstler den Teilabriss und die Luxussanierung des | |
> Hamburger Gängeviertels abwendeten. | |
Bild: "Vielleicht sollte sich die Stadt zurückhalten mit einer zu großen Einm… | |
taz: Es wird derzeit viel gesprochen über die Bedeutung von Kunst und | |
Kultur für die Stadtentwicklung in Hamburg. Handelt es sich dabei um ein | |
Modethema, Herr Kirchberg? | |
Volker Kirchberg: Als ich 2004 aus Baltimore nach Hamburg zurückkam, war | |
Kultur kein großes Thema für die Stadtentwicklung. In Baltimore war das | |
anders. Da haben sich die Künstler extrem gefreut über den | |
Wirtschaftsgeographen Richard Florida, weil er geholfen hat, das Thema zum | |
Tagesgespräch zu machen. Und weil er den Ökonomen bewusst gemacht hat, dass | |
Kultur ein Thema ist. | |
Welche Kultur meint Florida, wenn er von der "kreativen Klasse" spricht, | |
die zu umwerben sei? | |
Bei der kreativen Klasse denkt Florida an kommerziell orientierte Kreative. | |
Da tauchen als erstes Designer, Werbe-Leute und Software-Entwickler auf. | |
Wenn Florida eigentlich an wirtschaftlichen Erfolg denkt: Wozu sollen dann | |
die Künstler gut sein, die Kunst im engeren Sinne machen und möglicherweise | |
keine große Wertschöpfung dabei erzielen? | |
Sie sollen eine Art kreatives Klima schaffen, eine Atmosphäre, die eine | |
Stadt zu einer lebenswerten macht. Dann wird es dazu kommen, dass die | |
wirklich qualifizierten Menschen neu in die Stadt ziehen oder nicht | |
wegziehen. Das ist der Kern bei Florida. | |
Die Künstler also als eine Art Beiwerk? | |
Ja. Die amerikanische Stadtsoziologin Sharon Zukin spricht von "Framing": | |
Wir haben wirtschaftliche Aktionen wie zum Beispiel bei Beiersdorf oder im | |
Hamburger Hafen. Die sind profitabel, aber im Prinzip eine trockene, | |
langweilige Art und Weise, Werte zu schaffen. Viele der qualifizierten | |
Mitarbeiter lassen sich durch Geld alleine nicht unbedingt anlocken. Das | |
Rezept ist, einen schönen Goldrahmen um das Nüchterne zu packen. | |
Der VW-Konzern in Wolfsburg … | |
… ist da wahrscheinlich am extremsten. Die finanzieren ja nicht nur einen | |
Fußball-Club, sondern auch das Phäno, das Kunstmuseum, das Theater. Die | |
versuchen fast verzweifelt, in Wolfsburg eine Kulturszene zu schaffen, | |
damit sie die hochqualifizierten Leute dazu bringen, sich anzusiedeln und | |
bei VW zu arbeiten. | |
Klappt es denn? | |
Ich will da nicht in die Zukunft spekulieren. Der neueste Schrei in der | |
amerikanischen Stadtsoziologie ist die "Los Angeles School": Die verpassen | |
jedem Stadtteil in Los Angeles durch erfolgreiches Marketing ein Image. Sie | |
sagen: Stadtentwicklung wird nur noch durch die Konstruktion von Symbolen | |
geschaffen und nicht mehr durch wirkliche Infrastrukturen. Solange wir die | |
Symbolik hinbekommen, schaffen wir es, die Menschen in die Stadt zu locken. | |
Das ist auch das, was das City-Marketing in Hamburg versucht. Und darauf | |
fußt die Kausalität des Manifests "Not in our Name", in dem sich Hamburger | |
Künstler kritisch gegen dieses Modell geäußert haben. | |
Wenn man sich jetzt nicht nur mit einem Image zufrieden geben will, sondern | |
gerne Tatsachen hätte: Kann man Kreativität in eine Stadt einspeisen? | |
Kreativität kann man nicht planen. Der Kreativität wohnt die Unmöglichkeit | |
inne, zu sagen, was hinten rauskommt. Wenn wir kreative Menschen dazu | |
bewegen, an bestimmten Orten zu leben und zu arbeiten, dann können dabei | |
kreative Gedanken herauskommen. Da haben die Politiker in Hamburg viel von | |
Florida gelernt. | |
Dabei schätzen Sie selbst aber den Stadtplaner Charles Landry weitaus mehr. | |
Landry macht sich konkret Gedanken darüber, wie man über Stadtplanung | |
Kreativität fördern kann. Er stellt in einer Skala fünf verschiedene Grade | |
an kreativer Stadt vor. "Good practice" ist, was man an gelungener | |
Bauplanung anderer Städte übernimmt. "Best practice", dass man sich auch | |
Neuerungen überlegt. "Innovativer Wandel", wenn man alte Gebäude umnutzt. | |
Auf diesem Level sind wir gerade in Hamburg. Darüber stellt Landry den | |
"paradigmatischen Wandel", der Probleme als Gelegenheit auffasst, um eine | |
Stadt sich innovativ entwickeln zu lassen. Ich dachte immer: | |
Paradigmatischen Wandel gibt es in Hamburg nicht. Beim Gängeviertel kam | |
mein Weltbild erstmals ins Wanken. Die Politiker haben gesagt: Wir nehmen | |
eine Bewegung, die zu alten Hafenstraßen-Zeiten ein Problem gewesen wäre, | |
und fördern sie. | |
Also erreicht Hamburg immerhin Stufe vier … was wäre Landrys Stufe fünf? | |
Der "meta-paradigmatische Wandel". Das machen die wirklich kreativen | |
Städte. Das heißt, dass man nicht nur in einzelnen Freiräumen etwas | |
erlaubt, sondern einen generellen Stadtumbau betreibt. Das ist utopisch, | |
das gebe ich zu. | |
Genereller Stadtumbau? | |
Eines der wichtigsten Ziel der Stadtentwicklung ist, eine nachhaltige | |
Gesellschaft zu entwickeln. Eine Stadtgesellschaft, die nicht auf dem | |
Individualverkehr und nicht auf Wachstum beruht. Die Idee "Hamburg - | |
wachsende Stadt" ist ein Paradoxon zur Idee der Nachhaltigkeit. Die Idee | |
vom unendlichen Weiterwachsen ist ein Unsinn, den wir überwinden müssen. | |
Wie sind Sie eigentlich zum Thema Kultur und Stadtentwicklung gekommen? | |
Ich habe in Hamburg bei Professor Jürgen Friedrichs studiert. Dessen | |
Interesse war die kulturelle, soziale und ökologische Attraktivität von | |
Innenstadtzentren. Die Kultur hat er aber nie weiter beachtet, obwohl er | |
sagte: Es ist eine wichtige Dimension. Also habe mich für ein Fellowship an | |
der Johns Hopkins-Universität in Baltimore beworben. Dort habe ich | |
untersucht, wie die Stadt die Kultur instrumentalisiert und das mit Hamburg | |
verglichen. | |
Lassen sich Baltimore und Hamburg vergleichen? | |
Baltimore ist in etwa gleich groß wie Hamburg, beide sind alte Hafenstädte | |
und leben vom Handel. Baltimore ist aber eine arme Stadt. Baltimore ist ein | |
hervorragendes Beispiel, wie man mit wenig Geld viel entwickeln kann. Es | |
gibt dort die Urban Entertainment Districts, das sind Straßenblocks, die | |
aus dem Bauleitplan rausgenommen wurden. Dort bekommen Künstler die | |
Möglichkeit, zu leben und zu arbeiten. Betreiber von Kunst- und | |
Kultur-Gewerbe bekommen Vergünstigungen: Sie müssen für zehn Jahre keine | |
Gewerbesteuer und keine Mehrwertsteuer zahlen. Es gibt eine eigene | |
Quartiersorganisation. Man lässt die Leute in Ruhe: Sie müssen nur jedes | |
Jahr einen Bericht abliefern bei der Kulturverwaltung, sonst nichts. So | |
etwas könnte ich mir in Hamburg nicht vorstellen. Hier wird immer alles von | |
oben geplant. | |
Inwiefern instrumentalisiert Hamburg die Kultur? | |
Zunächst über die Leuchttürme. Es wurde immer oben gesagt: "Wir stehen zur | |
Elbphilharmonie, das ist das wichtigste Kulturprojekt, das wir haben." Das | |
meiste Geld für Kultur in Hamburg wird für die Oper ausgegeben. Dann kommen | |
die Theater, auch die freien Theater kriegen was, dann kommen die Museen. | |
Die Stadt hat nach einer von Künstlern initiierten Protestwelle das | |
Gängeviertel von einem Immobilieninvestor zurückgekauft. Die geplante | |
Luxussanierung konnte so abgewendet werden. Unklar ist, was dort entstehen | |
soll und welche Rolle die Künstler dabei spielen. Was ist Ihre | |
Wunschvorstellung für die Zukunft des Viertels? | |
Vielleicht sollte sich die Stadt zurückhalten mit einer zu großen | |
Einmischung. Man soll dort ein System der Selbstverwaltung aufbauen, das | |
die Stadt in einem bestimmten Rahmen unterstützt. Das Gängeviertel ist | |
genau die kreative Zelle, von der immer gesprochen wird. | |
Nicht einmischen? Das dürfte der Stadt schwer fallen. | |
Die Logik der Stadt ist: Wenn wir bezahlen, dann bestimmen wir, was zu tun | |
ist. Das ist der Kaufmann. Wenn man bestimmt, was zu tun ist, dann plant | |
man. Und wenn man plant, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass da etwas | |
Innovatives, etwas außerhalb der Konventionen rauskommt, sehr gering. | |
Was sagt Richard Florida dazu? | |
Florida spricht von der Notwendigkeit des Konventionsbruchs, von der | |
Subversion als Bedingung dafür, dass kreative Ideen sich entwickeln können. | |
Die Stadt weiß genau, dass man nach außen dadurch einen Imagegewinn | |
hinkriegen könnte. | |
14 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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Kunstmuseum Wolfsburg | |
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