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# taz.de -- Minus der Biobranche: Fair-Label soll Umsatz retten
> Da der Markt für Bio-Lebensmittel nicht mehr wächst, setzt die Branche
> auf Marketing. Sie will ihre Produkte nicht mehr nur als Bio, sondern
> auch als fair verkaufen.
Bild: Bio, aber auch fair? Paprika.
Sven Kästner reicht das Label bio nicht. Der Journalist kauft zwar
überwiegend Ökoprodukte. Aber wenn er im Bioladen vor den Tee- und
Kaffee-Regalen steht, greift er meist zu Packungen mit einem
Fair-Trade-Siegel. "Das Kilo Kaffee kostet vielleicht 1,50 Euro mehr, aber
wenn dann die Produzenten fair entlohnt werden, ist das okay", sagt der
Berliner.
Die Biobranche will stärker als bisher auf Menschen wie Kästner setzen. Auf
Kunden, die nicht nur bio wollen, sondern auch fair, regional oder
klimafreundlich. Deshalb hat die Ökomesse BioFach, die am Mittwoch in
Nürnberg beginnt, "Organic + Fair" zum Schwerpunktthema erklärt und eine
Sonderschau mit etwa 50 Firmen organisiert. Besonders der Fachhandel sieht
darin eine Chance im schärfer gewordenen Verteilungskampf. Doch von fairen
Arbeitsbedingungen sind auch die Biogeschäfte noch weit entfernt.
Hintergrund der Fair-Offensive ist, dass der Bioanteil nach Jahren
zweistelliger Zuwachsraten 2009 erstmals geschrumpft ist: Die Deutschen
gaben ein Prozent weniger für Biolebensmittel und -getränke aus als noch
2008, wie das Marktforschungsunternehmen GfK Panel Services am Dienstag
bekanntgab. Zwar wuchs die verkaufte Menge um 2 Prozent, aber das konnte
die Preisrückgänge nicht ausgleichen. Der Bioanteil an allen Lebensmitteln
und Getränken verharrte bei lediglich 3,2 Prozent, was einem Umsatz von 5,8
Milliarden Euro entspricht. Und die BioFach hat dieses Jahr mit 2.500
Ausstellern rund 9 Prozent weniger Stände.
Verantwortlich für das Umsatzminus sind vor allem Unternehmen, von denen
viele nicht gerade für faire Beziehungen zu ihren Lieferanten oder
Mitarbeitern bekannt sind: Konventionelle Lebensmittelhändler und speziell
die Discounter, die zusammen 58 Prozent des Bioumsatzes machen, verloren
überdurchschnittlich: jeweils 3 Prozent ihres Ökogeschäfts. Sie hatten die
Preise kräftig gesenkt, aber dennoch nicht genug Kunden gewonnen. Die
Billigmärkte bieten überwiegend Lebensmittel an, die nach den
Mindeststandards der EU-Ökoverordnung hergestellt werden, nicht nach den
strengeren Regeln von Anbauverbänden wie Bioland oder Demeter. Wie sich der
Umsatz mit diesen teureren Produkten entwickelt hat, ist allerdings nicht
bekannt. "Wer in den Discounter geht, will Geld sparen", erklärt
Trendforscher Eike Wenzel von der Denkfabrik Zukunftsinstitut. "Wenn diese
Leute merken, dass in den nächsten zwei Jahren Wirtschaftskrise angesagt
ist, dann greifen sie auch dort zu billigeren Produkten."
Weiterhin erfolgreich sind dagegen Geschäfte, die nur Bio verkaufen. Der
Fachhandel nahm laut GfK im vergangenen Jahr gegen den Trend 2,2 Prozent
mehr ein. Für Fachhandelsberater wie Klaus Braun steht damit fest: "Der
Naturkosthandel muss seine Stärken betonen." Faire Bedingungen etwa.
Gegenüber dem konventionellen Handel, der von Ketten wie Aldi oder Rewe
dominiert wird, haben die Biogeschäfte da einen Imagevorteil. Im Vergleich
zu konventionellen Riesen wie Lidl sind die Fachgeschäft zumeist kleine
Firmen, die viel geringeren Preisdruck auf ihre Lieferanten ausüben können.
Selbst dass Lidl 2006 seine eigene Fair-Trade-Marke entwickelt hat, konnte
nicht viel am Image des Discounters ändern. "Die Preissenkungen der
Discounter auch bei Bio sind doch unanständig", kritisiert Horst Hartmann,
der ebenfalls Fachhändler berät. "Da kommt eine Landwirtschaft heraus, von
der hier keiner mehr leben kann."
"Bio Plus" oder "Bio Premium" sind deshalb die Schlagworte, die die Branche
auf der BioFach besonders lebhaft diskutieren wird. Diese Marketingbegriffe
sollen signalisieren: Die Lebensmittel sind nicht nur nach den Regeln den
EU-Ökoverordnung hergestellt, sondern schmecken auch besonders gut, kommen
aus der Region - oder erfüllen die Fair-Trade-Standards. "Es reicht eben
nicht mehr, einfach nur Bio in die Regale zu stellen", sagt Marktexperte
Braun.
Am bekanntesten ist das blau-grüne Siegel der Organisation TransFair. Sie
vergibt das Zeichen nur für Produkte aus Entwicklungsländern. Bedingung
ist, dass die Hersteller über einen festen längeren Zeitraum einen
garantierten Mindestpreis und eine Fair-Trade-Prämie bekommen. Fabriken
beispielsweise müssen ihren Arbeitern erlauben, sich in einer Gewerkschaft
zu organisieren. Zudem überprüfen die Fair-Trade-Kontrolleure etwa, ob in
den Firmen Kinder illegal arbeiten.
Die GfK schätzt allerdings, dass zum Beispiel nur 30 Prozent des Ökokaffees
fair gehandelt ist. Die konventionelle Konkurrenz verkauft nur circa ein
Prozent ihres Kaffees mit dem Fair-Trade-Siegel.
Trotz dieser Schwierigkeiten wollen manche Ökounternehmen den
Fair-Trade-Gedanken auch für Produzenten in Deutschland anwenden. "Was für
Bauern in Afrika gilt, muss auch für uns gelten", findet des hessische
Landwirt Josef Jacobi. Deshalb gründete er mit anderen Landwirten die
Upländer Bauernmolkerei. Sie zahlt ihren Bauern selbst für Biostandards
überdurchschnittliche Preise für die Milch.
Andere Unternehmen haben ebenfalls inländische Fairhandelsinitiativen
gestartet: In der FairRegioCharta Berlin-Brandenburg haben sich 23 Bauern,
Bäcker und Händler dazu verpflichtet, ihre Preise verbindlich festzulegen.
In der Charta heißt es dazu recht vage, es werde "angestrebt", den Bauern
"einen Preis zu zahlen, der im oberen Drittel des marktüblichen
Durchschnittspreises liegt". Ähnlich flexibel sind Formulierungen in den
Regeln der Initiativen "Bestes Bio - Fair für alle" und "Regional & Fair".
In vielen dieser Chartas verlieren die Unternehmen kein Wort über die
Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter. Der Bioanbauverband Naturland, der
auf der BioFach die erste Zertifizierung für öko, sozial und fair auch für
deutsche Unternehmen vorstellen will, fordert nur den gesetzlichen
Mindeststandard - zum Beispiel das Recht darauf, sich in Gewerkschaften zu
organisieren.
Erika Ritter, Handelsexpertin bei der Gewerkschaft Ver.di, weiß, warum die
Biobranche da so wenig ehrgeizig ist: "Die Konditionen sind erheblich
schlechter als im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel." Ritter nennt
Beispiele aus ihrem Bezirk Berlin-Brandenburg: "Die Löhne sind im
sittenwidrigen Bereich", sagt sie. Im Schnitt erhalte ein Verkäufer 7 bis 8
Euro pro Stunde, während der Tarifvertrag rund 13 Euro vorschreibe. 70 bis
80 Prozent der konventionellen Läden, aber kein einziges Biounternehmen
zahle das. Und eine Woche weniger Urlaub gebe es im Ökoreich auch.
"Die Branche organisiert sich mehr und mehr in Ketten wie traditionelle
Unternehmen. Da gibt es keinen Grund mehr, auf Betriebsräte zu verzichten",
meint die Gewerkschafterin und setzt noch einen drauf: "Wenn man mit einem
ethischen Anspruch nach draußen geht, gehört dazu auch, dass das Personal
anständig bezahlt wird. Sonst leidet die Glaubwürdigkeit."
An dieses Thema wollen die Bios nicht so recht ran. Der Branchenverband BNN
Einzelhandel will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. "Die Situation ist
von Kette zu Kette und von Region zu Region unterschiedlich. Es gibt kein
einheitliches Bild", sagt Vorstandsmitglied Harald Wurm. Die größte
Biomarktkette Alnatura antwortet, sie zahle nicht nach Tarifvertrag, weil
dieser zu unflexibel sei.
Trendforscher Wenzel sagt: "Wenn die Arbeitsbedingungen schlechter sind als
bei den Lidls, dann könnte das ein Problem werden."
17 Feb 2010
## AUTOREN
Jost Maurin
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