# taz.de -- Griechenlands harter Sparkurs: Leere Restaurants, leere Schaufenster | |
> Die griechischen Gewerkschaften streiken. Doch nicht die Streiks bedrohen | |
> die Wirtschaft, sondern die Abwärtsspirale, die durch das Sparen in Gang | |
> gesetzt wird. | |
Bild: Nation im Sparprogramm: Hügel der griechischen Akropolis. | |
Am Mittwoch ist es wieder einmal so weit: Die Griechen treten in den | |
Generalstreik. In Athen und Thessaloniki wurde erwartet, dass Zehntausende | |
durch die Straßen ziehen und gegen den Ausverkauf der Arbeiterrechte | |
demonstrieren. Aber auch die Führer des Gewerkschaftsdachverbands GSSE, die | |
mehrheitlich der regierenden sozialdemokratischen Pasok angehören, kennen | |
die Umfragewerte: 80 Prozent der Bevölkerung lehnen die Streiks ebenso ab | |
wie eine klare Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und im | |
privaten Sektor. | |
Für die Gewerkschaft ist der Generalstreik eine Pflichtübung, die in der | |
nächsten Zeit wohl allmonatlich wiederholt werden wird. Man streikt, um | |
Flagge zu zeigen und ein Minimum von Verteilungsgerechtigkeit einzuklagen. | |
Aber alle wissen: Die Kassen sind leer. | |
Wie durchschlagend dieses Argument der Regierung ist, hat der Streik der | |
Bauern im Januar gezeigt, die ihre Straßensperren nach drei Wochen | |
auflösten, ohne ihre Forderungen durchgesetzt zu haben. Doch sie haben | |
offenbart, dass kleine, aber wichtige Berufsgruppen das Sparprogramm weit | |
stärker gefährden können als ein monatlicher Generalstreik. | |
Das solche Gruppenstreiks nichts mit "Arbeitersolidarität" zu tun haben, | |
demonstrierten in der vergangenen Woche die Zollangestellten. Ihre | |
Arbeitsniederlegung hatte zur Folge, dass sich an den Grenzen und in den | |
Häfen die Container stauten und den Tankstellen in Athen und Thessaloniki | |
das Benzin ausging. Eine Sprecherin der Zöllnergewerkschaft erklärte, der | |
Staat dürfe den Zöllnern die Gehälter schon deshalb nicht kürzen, weil | |
diese dem Staat Milliarden an Zolleinnahmen ablieferten. | |
Und dennoch: 80 Prozent der Griechen haben, so zeigen es Umfragen, den | |
Ernst der Lage erkannt und machen sich keine Illusionen. Allerdings | |
empfinden 75 Prozent die Lasten, die auf die Bürger zukommen, als | |
"ungerecht verteilt". | |
Unstrittig aber ist, wie gewaltig die Lasten sind: Das Haushaltsdefizit | |
betrug im vorigen Jahr 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), und | |
als Folge des Sparzwangs droht die griechische Realwirtschaft abzustürzen. | |
Im vierten Quartal 2009 ist das BIP um 2,6 Prozent geschrumpft - ein böses | |
Omen für das laufende Jahr. | |
Für dieses geht das Stabilitätsprogramm der Regierung von einem | |
Minuswachstum von 0,3 Prozent aus. Dabei ist diese Annahme ist längst | |
überholt. "Die Nachfrage ist eingefroren", hört man in jedem zweiten | |
Geschäft. Und man kann es sehen: an halbleeren Restaurants und leeren | |
Schaufenstern mit dem Schild "Geschäftsaufgabe" oder im Fernsehen, wo kaum | |
noch kommerzielle Werbespots laufen. | |
Spätestens Anfang März will die Regierung ein weiteres Sparprogramm | |
verkünden. Dem Vernehmen nach wird es eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 | |
Prozent beinhalten, außerdem einen Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent für | |
Luxusgüter, die Erhöhung der Benzinsteuer um weitere 20 Prozent und | |
Einkommenskürzungen für den öffentlichen Dienst. | |
Mit diesem "Sonderpaket" will man den Inspektoren der EU-Kommission, der | |
Europäische Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds zuvorkommen, | |
die am 16. März ihr Urteil über die bisherigen "Erfolge" der griechischen | |
Maßnahmen abgeben werden. Ihre Bilanz wird negativ ausfallen. Informationen | |
der Athener Zeitung To Vima zufolge rechnet man in Brüssel und Frankfurt | |
für 2010 mit einem Minuswachstum von 2 Prozent. Damit dürfte das | |
Haushaltsdefizit um weitere 2,5 Milliarden Euro anwachsen. Deshalb will der | |
europäische Aufsichtsrat in Athen weitere Sparmaßnahmen erzwingen. | |
Dem will die Regierung zuvorkommen und damit nicht nur einen einen Rest | |
staatlicher Souveränität demonstrieren, sondern vor allem die Streichung | |
des 13. und 14. Monatsgehalts für den öffentlichen Dienst vermeiden, die | |
von den Euro-Partnern gefordert wird. Diese "Gehälter" hat Finanzminister | |
Giorgos Papakonstantinou für unantastbar erklärt. Sie sind zwar nur eine | |
Art Osterzulage, aber ihre Streichung würde die Gewerkschaften des | |
öffentlichen Dienstes auf die Barrikaden treiben. | |
Abweichend von den Plänen der EU ist zudem ein reduzierter | |
Mehrwertsteuersatz für Grundnahrungsmittel geplant. Damit soll das | |
Sparprogramm für die einkommensschwachen Schichten erträglicher werden. | |
Solche Überlegungen tragen dazu bei, dass dem Land in dieser | |
wirtschaftlichen Krise wenigstens eine politische Krise erspart bleibt. | |
Obwohl eine Mehrheit der Griechen kritisiert, dass Ministerpräsident | |
Giorgos Papandreou sein Sparprogramm zu lange hinausgeschoben hat, wissen | |
sie es zu schätzen, dass ihr Land in seiner existenziellen Krise durch | |
einen seriösen, über jedem Korruptionsverdacht stehenden Politiker regiert | |
wird. In Umfragen sprechen 72 Prozent der Griechen Papandreou ihr Vertrauen | |
aus. Das ist umso bemerkenswerter, als dass der Regierungschef in | |
Interviews mit der BBC oder dem Spiegel das griechische Sündenregister - | |
Ineffizienz, Korruption, Klientelismus - gnadenlos herunterbetet. Noch vor | |
einem Jahr wäre ein Politiker, der ihnen im Ausland derart die Leviten | |
liest, als Nestbeschmutzer beschimpft worden. | |
Der Schock der Ernüchterung könnte also einen tiefgreifenden | |
Mentalitätswandel anregen. Der Spruch "kaka ta psemmata" wird endlich ernst | |
genommen. Dass "Lügen schädlich sind", ist eine Einsicht, die kaum je | |
beherzigt wurde. Jetzt zahlen die Griechen dafür, dass sie ihren Politikern | |
so lange geglaubt und ich selbst in die Tasche gelogen haben. Damit fallen | |
viele Tabus. Im Rückblick werden selbst die Olympischen Spiele, die 2004 | |
der Stolz der Nation waren, mit anderen Augen gesehen. Das Unternehmen hat | |
die Griechen 11 Milliarden Euro gekostet (5 Prozent des damaligen | |
Bruttoinlandsprodukts) und die Politiker motiviert, die Haushaltsdefizite | |
zu verschleiern. | |
Auch Verschwörungstheorien finden nicht mehr so viele Abnehmer. Die | |
Angriffe der "Spekulanten" auf den Finanzmärkten, die von den hohen | |
Erträgen griechischer Staatsanleihen profitieren, sind in den Medien ein | |
großes Thema. Aber im Grunde wissen alle, dass die Spekulanten nur die | |
eigenen Fehler bestrafen. "Die Suppe, die wir jetzt auslöffeln müssen, | |
haben wir selbst angerichtet", sagt Theodoros Pangalos, als | |
Vizeministerpräsident eine Art Superminister, der die Sparmaßnahmen der | |
Regierung koordinieren muss. | |
Am stärksten ausgeprägt ist die alte, klientelistische Mentalität - von | |
deren Überwindung die Zukunft Griechenlands abhängt - noch immer im | |
Parteiensystem, selbst in der Linken. Die spätleninistische KKE tut alles, | |
um ihre Basis nicht über die 7 Prozent auszuweiten, die sie im Oktober | |
gewählt haben. Mit ihrer rhetorischen "Kriegserklärung" an die | |
internationalen Märkte, die EU und die Pasok will sie nur die eigenen | |
Reihen geschlossen halten. | |
Ebenso wenig konnte die linkssozialistische Koalition Syriza von der | |
Systemkrise profitieren. Sie spricht derzeit nicht einmal 5 Prozent der | |
Wähler an und ist vor allem mit internen Kämpfen beschäftigt. Alexis | |
Tsipras, ihr jugendlicher Vorsitzender, prophezeit in jede Kamera, die | |
Griechen würden bald kapieren, dass es eine Alternative zum Sparprogramm | |
der Regierung gibt. Wie diese Alternative aussieht, verrät er nicht. | |
Auch von der Rechten droht der Pasok-Regierung keine Gefahr. Obwohl sich | |
die konservative Nea Dimokratia eine neue Führung zugelegt hat, belastet | |
das Erbe der Regierung Karamanlis auch ihren neuen Vorsitzenden Antonio | |
Samaras. Bislang unterstützt er Papandreous Sparprogramm. | |
Schließlich konnte auch die kleine Rechtspartei Laos unter Führung von | |
Giorgos Karatsaferis, eine Art griechischer Le Pen, in der Krise nicht | |
zulegen und dümpelt um die Fünfprozentgrenze. Wirtschaftspolitisch | |
unterstützt sie die Regierung bei ihrer schweren "nationalen Aufgabe". | |
Zugleich aber versucht sie von der wachsenden Xenophobie im Lande zu | |
profitieren und ihre Anhänger gegen die Gesetzesvorlage zu mobilisieren, | |
mit der die Pasok die Einbürgerung von Migranten erleichtern und ihren im | |
Lande geborenen Kindern den Anspruch auf die griechische Staatsbürgerschaft | |
geben will. Dabei kann die Lebensfähigkeit des Rentensystems langfristig | |
nur gesichert werden, wenn die Mehrzahl der ausländischen Arbeitskräfte, | |
die sich bislang vor allem in der Schattenwirtschaft aufhalten, in den | |
regulären Arbeitsmarkt integriert wird. | |
Die Stabilität der Regierung ist derzeit also nicht gefährdet - in der | |
griechischen Gesellschaft, der die große Krise der Realwirtschaft mit | |
wachsender Arbeitslosigkeit erst noch bevorsteht. Die größte Gefahr ist in | |
dieser Phase nicht die aktuelle Reaktion der Gewerkschaften auf das | |
Sparprogramm, sondern die konjunkturelle Abwärtsspirale, die durch die | |
ständige Verschärfung dieses Programms in Gang gesetzt wird. Davor hat im | |
Januar bereits der Ökonom Joseph Stiglitz gewarnt. | |
An diesem Punkt hofft die Regierung Papandreou auf einen Funken Einsicht | |
ihrer Partner. Eine klare Aussage, dass die Euro-Zone den Staatsbankrott | |
eines Mitgliedslandes nicht zulassen wird, könnte schon weiterhelfen. Im | |
März steht die nächste Ausgabe von Staatspapieren bevor, bis Mai muss die | |
Regierung über 20 Milliarden Euro einspielen. Wenn die Spekulation gegen | |
Athen die Zinsen weiter steigen lässt, ist das Stabilitätsprogramm akut | |
gefährdet. Dass die Griechen dann am Ende in die Arme des IWF flüchten | |
könnten, will man in Athen so wenig wie in Brüssel oder Frankfurt. Aber der | |
Ernst der Lage zeigt sich darin, dass diese Möglichkeit nicht mehr | |
ausgeschlossen wird. | |
Als griechischer Regierungschef ist Papandreou seinem Volk einen Vergleich | |
mit einem antiken Helden schuldig. Er wählt aber nich Herakles, der den | |
Stall des Augias ausmisten muss (das müssen die Griechen schon selber | |
machen), sondern ein anderes Bild: "Wir werden es nach Ithaka schaffen", | |
sagt Papandreou. Das meint natürlich Odysseus, und die Pointe ist, dass die | |
Irrfahrten des Helden mindestens zehn Jahre gedauert haben. Wenn es die | |
Griechen in der Zeit schaffen, haben sie Glück gehabt. | |
Der jugendliche Vorsitzende der linkssozialistischen Syriza prophezeit, die | |
Griechen würden bald kapieren, dass es eine Alternative zum Sparprogramm | |
der Regierung gibt. Wie diese Alternative aussieht, verrät er nicht | |
23 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Niels Kadritzke | |
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