# taz.de -- Völkerrechtler Kreß über gezielte Tötungen: "Der Angriff im Bet… | |
> Der Hotelmord in Dubai. Das Mordprogramm der CIA. Taliban auf der | |
> Todesliste. Ist das alles erlaubt? Claus Kreß erklärt die Grenze zwischen | |
> illegaler Exekution und Tötungen im bewaffneten Konflikt. | |
Bild: Soldaten der KSK-Truppe der Bundeswehr bei einer Übung. Claus Kreß: "Ei… | |
taz: Herr Kreß, in Afghanistan und im Nahostkonflikt werden Aufständische | |
und Terroristen gezielt auch in ihrem privaten Umfeld getötet. Ist | |
"Targeted Killing" zulässig? | |
Claus Kreß: Im Rahmen eines bewaffneten Konflikts kann die gezielte Tötung | |
von Kämpfern der Gegenseite durchaus zulässig sein. | |
Können Sie das genauer erklären? | |
Dann sollten wir mit der Rechtslage im klassischen Krieg beginnen. Hier ist | |
den staatlichen Streitkräften die Tötung von Soldaten der Gegenseite | |
erlaubt. Dies gilt nicht nur in der offenen Schlacht. Der gegnerische | |
Soldat oder Feldherr darf vielmehr auch in der Mittagspause oder in seinem | |
Bett in der Kaserne angegriffen werden. | |
Und was wäre eindeutig unzulässig? | |
Der Staat darf selbst einen noch so gefährlichen Straftäter nicht einfach | |
töten. Das wäre eine extralegale Hinrichtung, die das Menschenrecht auf | |
Leben verletzt. Selbst in Ländern, in denen es bedauerlicherweise noch die | |
Todesstrafe gibt, muss vor deren Verhängung ein fairer Prozess stattfinden. | |
Und was gilt nun in Afghanistan? Die Taliban sind ja weder eine reguläre | |
Armee noch einfache Kriminelle. | |
Es sind Aufständische, die gegen die afghanische Regierung und deren | |
internationale Unterstützer kämpfen. Da die Auseinandersetzung längst | |
deutlich über einzelne Anschläge und Scharmützel hinausgeht, ist sie | |
völkerrechtlich als bewaffneter Konflikt zu bewerten. Aufständische dürfen | |
dabei zumindest so lange getötet werden, wie sie unmittelbar an | |
Feindseligkeiten teilnehmen. | |
Und was gilt, wenn ein Taliban zu Hause im Bett liegt? | |
Das ist weitaus schwieriger zu beantworten. Es fragt sich, ob | |
nichtstaatliche Kämpfer jenseits konkreter Feindseligkeiten wirklich als | |
Zivilisten zu behandeln sind, die nicht bekämpft werden dürfen. Das brächte | |
die staatliche Konfliktpartei dort in eine äußerst schwierige Lage, wo | |
Aufständische tagsüber zum Beispiel als Bauern in ihrem Dorf leben und | |
nachts regelmäßig Anschläge verüben. Ein neues Gutachten des | |
Internationalen Komitees vom Roten Kreuz spricht sich dafür aus, dass | |
diejenigen Aufständischen, die sich kontinuierlich an der bewaffneten | |
Auseinandersetzung beteiligen, zu legitimen militärischen Zielen werden. | |
Sie dürfen deshalb auch außerhalb laufender Feindseligkeiten angegriffen | |
werden. | |
Sie teilen diese Auffasung? | |
Ich finde diese Rechtsauffassung im Kern überzeugend; sie wird im Übrigen | |
durch die Staatenpraxis in Afghanistan bestätigt. Allerdings heißt es in | |
dem Gutachten weiter, dass eine gezielte Tötung dann ausscheidet, wenn eine | |
Festnahme ohne nennenswerte Gefahr möglich ist. Diese Einschränkung ist | |
sehr wichtig und zukunftsweisend. Sie stößt jedoch bei den Militärmächten | |
dieser Welt auf erheblichen Widerstand. | |
Woher soll dann aber ein Isaf-Soldat wissen, ob jemand nur ganz sporadisch | |
oder kontinuierlich für die Taliban kämpft? | |
Ein einfacher Soldat kann das im Normalfall nicht wissen, und deshalb kann | |
er auch nicht über eine gezielte Tötung entscheiden. Da müssen schon | |
stichhaltige geheimdienstliche Erkenntnisse vorliegen. Im Zweifel muss eine | |
Person als Zivilist behandelt und entsprechend geschont werden. | |
Hat auch die Bundeswehr derzeit in Afghanistan die Befugnis zur gezielten | |
Tötung von Taliban? | |
Ja. Das ist nach Lage der Dinge von dem recht offen formulierten UN-Mandat | |
gedeckt, von dem die Bundesregierung ja mit Zustimmung des Bundestags | |
Gebrauch macht. | |
Wenn Ussama Bin Laden in einer afghanischen Höhle aufgespürt würde, dürfte | |
er dann getötet werden? | |
Er dürfte getötet werden, wenn auch al-Qaida als Partei eines bewaffneten | |
Konflikts in Afghanistan einzustufen wäre. Das erscheint mir inzwischen | |
aber überaus zweifelhaft - anders als im Jahre 2001, als al-Qaida noch | |
Basen in Afghanistan innehatte. Inzwischen weist al-Qaida wohl keine | |
gefestigte militärische Struktur mehr auf, sondern ist eher ein loses | |
Terrornetzwerk. Deshalb darf man einzelne Al-Qaida-Terroristen nicht töten, | |
es sei denn, sie sind gerade selbst im Begriff, einen tödlichen Angriff | |
auszuführen. Diese Personen müssen dann also in der Regel festgenommen und | |
abgeurteilt werden. Für Bin Laden müsste dasselbe gelten. | |
Die USA sehen sich aber noch immer im Krieg mit al-Qaida. | |
Das stimmt leider. Ich bin aber optimistisch, dass unsere amerikanischen | |
Freunde im Zuge des anhaltenden transatlantischen Dialogs von ihrer | |
gefährlichen These eines globalen bewaffneten Konflikts mit al-Qaida | |
abrücken werden. | |
Nehmen die Amerikaner für sich auch das Recht in Anspruch, Al-Qaida-Kämpfer | |
beispielsweise in Deutschland zu töten? | |
Das ist die Gefahr der amerikanischen These vom grenzenlosen bewaffneten | |
Konflikt mit al-Qaida. Nach meinem Eindruck thematisieren die USA die | |
angesprochene und durchaus denkbare Folgerung aber nicht ausdrücklich, | |
sondern versichern nur, dass gezielte Tötungsaktionen in Europa nicht zur | |
Debatte stünden. Solche Versicherungen haben indessen nicht jeden beruhigt. | |
Besteht denn zwischen Israel und den Palästinensern ein bewaffneter | |
Konflikt, der gezielte Tötungen erlaubt? | |
In den von Israel besetzten Gebieten im Westjordanland muss Israel | |
prinzipiell mit polizeilichen Mitteln gegen Terroristen vorgehen. | |
Allerdings wurden die Terrorangriffe während der zweiten Intifada ab 2000 | |
so massiv, dass man von einem bewaffneten Konflikt sprechen konnte. In | |
dieser Phase kam auch die gezielte Tötung palästinensischer Kämpfer in | |
Betracht. | |
Und was ist mit Gaza? | |
Aus Gaza hat sich Israel zurückgezogen. Dort hat die Hamas-Regierung ein | |
De-facto-Regime errichtet. Gegen den massiven Raketenbeschuss aus dem | |
Gazastreifen durfte sich Israel 2008/2009 militärisch wehren. Dies war | |
ebenfalls ein bewaffneter Konflikt, in dem Israel auch einzelne | |
Hamas-Kämpfer gezielt bekämpfen durfte. | |
Jüngst wurde der Hamas-Waffenhändler Mahmud al-Mabhuh in Dubai getötet. Die | |
Täter kamen vermutlich vom israelischen Geheimdienst Mossad. Wäre dies dann | |
als zulässige Tötung einzustufen? | |
Nein, auch wenn Israel hinter der Tat steckt, was ich nicht weiß, war es | |
ein strafbarer politischer Mord. Denn von einem bewaffneten Konflikt | |
zwischen Israel und der Hamas in Dubai kann keine Rede sein. Im Übrigen | |
wäre die Tötung selbst im bewaffneten Konflikt unzulässig gewesen. Denn die | |
Täter trugen Zivilkleidung. Im bewaffneten Konflikt verstößt ein solches | |
Vorgehen gegen das Völkerrecht und ist ein Kriegsverbrechen. Außerdem hätte | |
Israel die Souveränität der Vereinigten Arabischen Emirate verletzt. Denn | |
gegenüber diesem Staat, zu dem Dubai gehört, stand Israel im Tatzeitpunkt | |
kein Selbstverteidigungsrecht zu. | |
Stichwort Souveränität: Ist es zulässig, wenn die USA in Pakistan oder im | |
Jemen mit Drohnen und Raketen vermeintliche Terroristen jagen? | |
Solange die USA von dort aus nicht angegriffen werden, besteht kein | |
amerikanisches Selbstverteidigungsrecht. Ob die Drohnenangriffe die | |
Souveränität der hiervon betroffenen Staaten verletzen, hängt deshalb davon | |
ab, ob sie mit deren Zustimmung durchgeführt worden sind. Hierzu gibt es | |
unterschiedliche Angaben. | |
Sind Drohnen und Raketen zulässige Waffen für eine gezielte Tötung im | |
bewaffneten Konflikt? | |
Grundsätzlich ja. Verboten ist dagegen etwa der Einsatz von Gift sowie von | |
biologischen und chemischen Waffen. | |
Ist der Einsatz von Bomben und Raketen für gezielte Tötungen nicht schon | |
deshalb unzulässig, weil dabei oft viele Unbeteiligte sterben? | |
In dieser Allgemeinheit lässt sich das schwer beantworten. Fest steht, dass | |
die trotz aller Sorgfaltsmaßnahmen unvermeidbare Tötung von Zivilisten bei | |
einem militärischen Angriff ein fürchterliches ethisches Dilemma begründet. | |
Das Völkerrecht untersagt allerdings nur die Verursachung von | |
unverhältnismäßigen zivilen Begleitschäden. An diesem nur schwer zu | |
konkretisierenden Maßstab ist auch der Einsatz von Bomben und Raketen bei | |
einer gezielten Tötung zu messen. | |
2 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |