# taz.de -- Fotografie-Ausstellung in Bottrop: Schicht im Schacht | |
> Das Bottroper Josef Albers Museum Quadrat feiert die Meister der | |
> konzeptuellen Fotografie: Bernd und Hilla Becher. Sie haben die | |
> Industriearchitektur der Region berühmt gemacht. | |
Bild: Die Arbeit von Bernd und Hilla Becher war stets ein Lauf gegen die Zeit. | |
Ungewöhnlich lange galt Bottrop als das größte Dorf in Preußen. Knapp | |
70.000 Einwohner zählte die Gemeinde im Ruhrgebiet, bevor ihr 1911 endlich | |
die Stadtrechte verliehen wurden. Auch Bottrop verdankt seinen rasanten | |
Aufstieg dem Steinkohlebergbau, der 1856 mit dem Abteufen von Schacht 1 der | |
Zeche Prosper begann. Gerade einmal vier Bergwerke im Revier sind von den | |
einst schätzungsweise 3.200 Bergwerken im Revier noch in Betrieb. Eine | |
davon ist Prosper-Haniel. Von den übrigen sind nur noch wenige Spuren | |
erhalten geblieben. Sie wurden zurückgebaut. Es gibt sie einfach nicht | |
mehr. | |
"Was soll man machen? Das Leben geht weiter. Man kann nicht alles unter | |
Denkmalschutz stellen", sagt die Fotografin Hilla Becher. Dabei ist es zu | |
einem guten Teil ihrem Engagement zu verdanken, dass Industrieanlagen im | |
Ruhrgebiet erhalten und nicht abgerissen worden sind. Mit ihrem vor zwei | |
Jahren verstorbenen Ehemann Bernd hat die Düsseldorferin in den 70er- und | |
80er-Jahren im Revier und anderen Montanregionen Bergwerke und Hütten, so | |
werden in der Fachsprache Eisenwerke genannt, fotografiert. Auch die Zeche | |
Prosper in Bottrop. Drei der hier entstandenen Bilder sind in einer | |
Ausstellung zu sehen, mit der das nach dem Maler benannte Josef Albers | |
Museum Quadrat den Kunstreigen im Kulturhauptstadtjahr eröffnet. | |
Die Arbeit von Bernd und Hilla Becher war stets ein Lauf gegen die Zeit. | |
Immer schneller drohten die Industrieanlagen, die das Bild des Ruhrgebietes | |
für knapp 150 Jahre bestimmten, zu verschwinden. Anfangs zeichnete Bernd | |
Becher die Bauten ab, mit dem Ziel einer möglichst vollständigen | |
Dokumentation aller Fördertürme, Hochöfen und Gasometer. Ein aussichtsloses | |
Unterfangen. Also begann Bernd Becher zu fotografieren. Die Arbeiten | |
entstanden in Zusammenarbeit mit seiner Frau Hilla, einer gelernten | |
Fotografin. Wer von beiden ein Motiv aufgenommen hat, lässt sich im | |
Nachhinein nicht klären. Es sind Gemeinschaftsarbeiten, die eine | |
persönliche Handschrift zu vermeiden suchen. Der Autor ist das Team. | |
"Unsere Grundhaltung war, dass es nicht emotional werden darf. Aber auch | |
nicht zu trübsinnig. Neutralität musste her, die eigenen Gefühle wurden | |
vernachlässigt", erläutert Hilla Becher, es ging allein um präzise | |
Sachlichkeit. Ein weiterer Vorteil der Fotografie ist ihre Detailschärfe. | |
Maler wie Richard Gessner, dessen Ansichten von Industrielandschaften die | |
Bechers schätzten, war mehr an der Wiedergabe von Stimmung denn an | |
Dokumentation gelegen. | |
Die von Bernd und Hilla bevorzugte Fotografie aber ist Schwarz-Weiß, hart | |
und sachlich. In Anlehnung an Eugene Atget und den dokumentarischen Stil | |
von Walker Evans vereinen sie in ihren Bildern dokumentarische und | |
künstlerische Elemente der Gestaltung. Als unverhüllte Reverenz an den | |
amerikanischen Fotografen ist ein Bild aus Bethlehem in Pennsylvania zu | |
lesen. Es entstand an der gleichen Stelle, an der Evans fünfzig Jahre zuvor | |
den Blick über einen Friedhof auf eine Reihe von Wohnhäusern und das | |
Stahlwerk des Ortes lenkte. Wo der Amerikaner ein Grabkreuz fokussierte und | |
geradezu metaphorisch in den Vordergrund setzte, schichteten die | |
Düsseldorfer parataktisch die Bildebenen. Dergestalt gewinnen Arbeit, Leben | |
und Tod überzeitliche und nicht an den Ort gebundene Bedeutung. | |
Bekannt wurden Bernd und Hilla Becher vor allem durch Typologien | |
industrieller Bauten. Aufgrund gleicher Aufnahmeparameter und geordnet nach | |
Funktionsgruppen ermöglichen die Bilder dem Betrachter den Vergleich von | |
Form und Funktion. In Bottrop indes werden Industrielandschaften gezeigt. | |
Hier stehen komplexe Anlagen im Mittelpunkt, die zumeist in ein urbanes | |
Umfeld eingebettet sind. Vom erhöhten Aufnahmestandpunkt aus wird deutlich, | |
wie nah Wohnen und Arbeiten beieinander lagen. Dicht drängen sich graue | |
Mehrfamilienhäuser im Bildvordergrund. Nur durch eine Straße oder | |
Bahngleise getrennt, ragen dahinter die Zechen mit ihren Fördertürmen, | |
Schloten und Kühltürmen auf. Wo immer möglich, legten die Bewohner der | |
Siedlungen zur Selbstversorgung am Haus oder in dessen unmittelbarer Nähe | |
Schrebergärten an. Umgekehrt scheint etwa die Zeche Hannover 3/6 mitten ins | |
bäuerlich geprägte Bochum-Hordel gepflanzt. So halten Bernd und Hilla | |
Becher mit ihren Bildern mehr als den Augenblick fest. Zugleich erzählen | |
sie, wie sich die Orte historisch entwickelt haben. Anders als die | |
Typologien sind die Industrielandschaften komponiert. Straßenverläufe, | |
Schienen, Hügelkämme und Flüsse strukturieren die Bilder ebenso wie | |
mäandernde Stahlrohre und Reihungen von Fördertürmen und Schornsteinen. | |
Entsprechend der Tiefe der Flöze verändert sich der Aufbau der | |
oberirdischen Anlagen, das heißt, je tiefer, desto größer und stabiler ist | |
die Konstruktion. Im Gegensatz zu den eher massiven Bauten im Ruhrgebiet | |
wirken die Förderanlagen in Pennsylvania (USA) ziemlich wackelig. Es | |
scheint, als hätte der für seine Bretterkonstruktionen bekannte Künstler | |
Tadashi Kawamata Installationen in die Landschaft gesetzt. Weitere | |
Aufnahmen der Ausstellung entstanden im Siegerland, Lübeck und Thüringen, | |
in Belgien, Frankreich, Großbritannien und Kanada. | |
"Im Ruhrgebiet kam es viel öfter vor, dass Leute auf der Straße die Polizei | |
gerufen haben oder fragten, wer uns die Berechtigung zum Fotografieren | |
gegeben habe. In Belgien war noch viel mehr verboten, aber da hat niemand | |
die Polizei gerufen", erinnert sich Hilla Becher. Heute wären die Bewohner | |
vermutlich stolz, wenn die Düsseldorfer vorbeikommen würden. Doch heute | |
sieht das Ruhrgebiet auch anders aus als vor 30 Jahren. Von Schmutz und | |
Dreck fast keine Spur mehr. Wo früher Industrieanlagen rauchten, entstehen | |
grüne Zonen. Nur auf Prosper-Haniel wird weiter malocht. Spätestens 2017 | |
soll auch hier Schicht sein. | |
3 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Markus Weckesser | |
## TAGS | |
Fotografie | |
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