# taz.de -- Karlsruher Vorratsdaten-Entscheid: Ein Urteil und viele offene Frag… | |
> Nach dem Entscheid des Verfassungsgerichts: Die taz beantwortet die | |
> wichtigsten Fragen zu Folgen für die Bundesregierung, Kriminalität, | |
> Informantenschutz und EU-Politik. | |
Bild: Unbeschwert telefonieren? Bislang wurden Verbindungsdaten gespeichert. | |
Wie viel Koalitionskrach verursacht der Spruch? | |
Das Presseamt der Bundesregierung hebt in seinen Mitteilungen gerne die | |
Einigkeit der Minister hervor. Doch nach dem Urteil zur | |
Vorratsdatenspeicherung gelang es selbst dem Amt nicht, die Positionen von | |
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizministerin Sabine | |
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zusammenzubringen. Nach den Streits über | |
Steuersenkungen und Hartz IV hat die schwarz-gelbe Koalition den nächsten | |
Krach. Die Union macht Druck und will schnell ein neues Gesetz zur | |
Speicherung von Verbindungsdaten. Leutheusser-Schnarrenberger setzt auf | |
Zeit - und hofft so das Vorhaben ganz zu verhindern. | |
De Maizière hatte gleich am Dienstag auf eine rasche Neuregelung gedrängt, | |
seitdem legen fast stündlich die Innenpolitiker der Union nach. Man könne | |
"dieses Vakuum nicht über Monate offenlassen", sagte der | |
Innenausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach. Und der parlamentarische | |
Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, Peter Altmaier, stellte ein | |
Ultimatum: Bis zur Sommerpause müsse ein neues Gesetz her. Die FDP lehnt | |
das ab. "Es bleibt dabei, ein Schnellschuss kommt nicht in Frage", sagte | |
Max Stadler, Staatssekretär im Justizministerium. Wie zuvor | |
Leutheusser-Schnarrenberger verwies er auf die EU-Ebene, wo gerade eine | |
Debatte über die Vorratsdatenspeicherung entbrannt sei. Vor wenigen Tagen | |
hat die EU-Justizkommissarin eine Überprüfung der Richtlinie von 2006 | |
angekündigt, auf deren Grundlage die Speicherung der Verbindungsdaten | |
eingeführt worden war. Ein Bericht der EU-Kommission wird aber erst für | |
September erwartet. | |
Zu Beginn der schwarz-gelben Koalition hatte es zwischen Innenminister und | |
Justizministerin kaum Konflikte gegeben, hatte sich de Maizière doch als | |
Gegenentwurf zu seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble inszeniert, der vielen | |
als Hardliner galt. Doch dann gerieten die beiden im November zum ersten | |
Mal aneinander. Trotz des Vetos der Justizministerin enthielt sich de | |
Maizière nur, als es auf EU-Ebene um das Swift-Abkommen zur Weitergabe von | |
Bankdaten an die USA ging. Bei der Vorratsdatenspeicherung wird | |
Leutheusser-Schnarrenberger kaum so leicht einknicken können, schließlich | |
hatte sie selbst gegen das Gesetz geklagt. Beobachtern kommen bereits | |
Erinnerungen an 1996. Aus Protest gegen den "großen Lauschangriff" trat | |
Leutheusser-Schnarrenberger damals als Justizministerin zurück. Auch damals | |
war die Koalition eine schwarz-gelbe. WOLF SCHMIDT | |
Kommen jetzt goldene Zeiten für Kriminelle? | |
Nach dem vorübergehenden Wegfall der Vorratsdatenspeicherung reagieren | |
Sicherheitskreise und Unionspolitiker nervös - oder sie tun zumindest so. | |
BKA-Chef Jörg Ziercke warnt von einer "Sicherheitslücke", Exstaatsekretär | |
Peter Altmaier (CDU) vor einem "monatelangen rechtsfreien Raum". Der | |
Innenpolitiker Wolfgang Bosbach spricht von einer "Einladung an alle | |
Straftäter, die mit Hilfe von Telekommunikationseinrichtungen Straftaten | |
begehen wollen". | |
Doch auch ein schnelles neues Gesetz muss die Vorgaben des | |
Verfassungsgerichts beachten. Und Karlsruhe hat erklärt, dass die | |
zwangsgespeicherten Telefon- und Internetdaten nur zur Aufklärung "schwerer | |
Straftaten" verwendet werden dürfen. Den konkreten Katalog muss zwar der | |
Bundestag festlegen, aber anders als bisher darf er nicht alle Delikte | |
erfassen, "die mittels einer Endeinrichtung der Telekommunikation begangen | |
werden". Für die Klärung einer telefonischen Beleidigung dürfen | |
Vorratsdaten also auch in Zukunft nicht benutzt werden. Eine | |
Sicherheitslücke ist das nicht. | |
Die Polizei wird auch damit leben können, dass es zunächst einmal - bis | |
eine Neuregelung beschlossen wird - gar keine Vorratsspeicherung gibt. | |
Schließlich liegen bei den Telefon- und Internetfirmen viele | |
Verbindungsdaten schon zu Abrechnungszwecken vor. Auf diese | |
Abrechnungsdaten kann die Polizei schon seit Jahrzehnten zugreifen. | |
Und selbst dort, wo die Verbindungsdaten nicht mehr für Abrechnungen | |
benötigt werden - etwa bei Flatrate-Tarifen - werden sie von den Firmen | |
meist eine Woche lange gespeichert und können in dieser Zeit von der | |
Polizei angefordert werden, etwa um nach einem Mord herauszufinden, mit wem | |
das Opfer zuletzt telefonierte. Auch die langfristige Auswertung von | |
Verbindungsdaten im Terror- und Schwerkriminellen-Milieu bleibt möglich. So | |
können auch weiterhin Netzwerke offengelegt werden. Zwar nicht für die | |
Vergangenheit, aber doch - ermittlungsbegleitend - für die Zukunft. Das ist | |
ohnehin üblich. Die Sauerland-Gruppe um Fritz-Gelowicz wurde monatelang | |
überwacht, bevor es schließlich zur Verhaftung kam. Die sechsmonatige | |
Zwangsspeicherung der Daten entspringt einem polizeilichen Perfektionismus, | |
für den es nur bei einer lückenlosen Überwachung keine Sicherheitslücken | |
gibt. Doch eine totale Überwachung aller Lebensregungen ist, das hat | |
Karlsruhe auch klargestellt, ohnehin verfassungswidrig.CHRISTIAN RATH | |
Was wird aus dem Informantenschutz? | |
Das Aus für die bisherige Praxis der Vorratsdatenspeicherung ist auch ein | |
Sieg für den Quellen- und Informantenschutz. Niemand konnte mehr davon | |
ausgehen, dass die diskrete Kontaktaufnahme zu JournalistInnen per Telefon | |
oder Mail wirklich unentdeckt bleiben würde - schließlich wurden Zeit, | |
Dauer und Ort des Kontaktes inklusive Telefonnummern brav archiviert. | |
Wie viele mögliche Hinweise und Informationen den Medien während der | |
Geltungsdauer des bisherigen Gesetztes entgangen sind, weil ihre | |
InformantInnen die theoretische Enttarnung fürchteten, auch wenn im | |
konkreten Fall keinerlei Verdachtsmomente vorlagen, ist nicht feststellbar. | |
Doch bei den Skandalen um die Telekom oder die Deutsche Bahn, wo Detekteien | |
Kontakte von internen Kritikern zu Aufsichtsräten oder Medien ausforschten, | |
hat sich bereits gezeigt, wozu derartige Datenmassen missbraucht werden | |
könnten. | |
Die DJU verlangt daher, dass "die Gleichstellung von Journalisten mit | |
anderen Berufsgeheimnisträgern wie Abgeordneten, Ärzten und Anwälten | |
wiederhergestellt und gesetzlich verankert" werden muss. Dem wird der | |
Gesetzgeber nach der derzeitigen Lage aber kaum nachkommen. Und noch ein | |
Fragezeichen bleibt: Künftig sollen die anlasslos gespeicherten Daten nur | |
dann genutzt werden dürfen, wenn es um die "Verfolgung schwerer Straftaten" | |
geht. Darunter dürften Terrorismus und organisierte Kriminalität fallen, so | |
dass hier der journalistische Informantenschutz auch künftig eingeschränkt | |
bleibt. Sollte der Bundestag in diesen Katalog aber auch Punkte wie die | |
"Verletzung von Dienstgeheimnissen" aufnehmen, wären den Behörden | |
Schnüffeleien wie bei Telekom oder Bahn sogar ausdrücklich gestattet. | |
STEFFEN GRIMBERG | |
Wie weiter gegen die Brüsseler Politik? | |
Die Freude bei den DatenschützerInnenn ist war zwar groß. Viel Luft zum | |
Feiern bleibt ihnen dennoch nicht. Einen Tag nachdem das | |
Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt | |
hat, debattieren die AktivistInnen bereits eifrig darüber, wie sie nun | |
weiter gegen dieses von ihnen verhasste Gesetzesvorhaben vorgehen können. | |
Denn in einem Punkt sind sie sich einig: Trotz dieses Urteils ist das Thema | |
noch lange nicht vom Tisch. | |
Der Richterspruch sei zwar "ein großer Erfolg für unsere Kampagne gegen die | |
Vorratsdatenspeicherung", schreibt Netzaktivist Markus Beckedahl in seinem | |
Blog ([1][www.netzpolitik.org]). Zugleich aber habe das | |
Bundesverfassungsgericht Bedingungen aufgestellt, wie der Gesetzgeber ein | |
verfassungskonformes Gesetz wieder neu auflegen kann. Auch wenn hohe Hürden | |
künftig für mehr Datensicherheit sorgen, könnten die Verbindungsdaten der | |
Bürger trotzdem bei den Providern gespeichert bleiben - und zwar unabhängig | |
vom Anlass. "Der Kampf geht also weiter in die Verlängerung", schreibt | |
Beckedahl. | |
Ähnlich sieht es Rena Tangens vom Datenschutzverein FoeBuD in Bielefeld. | |
"Stärker kann ein Gesetz nicht abgewatscht werden", sagte sie zur taz. Umso | |
mehr gelte es nun, Druck auf die einzelnen Abgeordneten auszuüben, die im | |
Bundestag für dieses Gesetz gestimmt hatten. Viele von ihnen hätten bei der | |
Abstimmung gewusst, dass dieses Gesetz verfassungswidrig ist. Sie hätten es | |
bewusst darauf angelegt, um auszutesten, wie weit sie gehen könnten. Dies | |
sei nicht nur "Schlamperei", sondern eine gezielte Missachtung des | |
Grundgesetzes. Dieses Gebaren der Abgeordneten gelte es nun gezielt zu | |
thematisieren. | |
Ralf Bendrath vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung plädiert dafür, die | |
Kampagne auf EU-Ebene auszuweiten und verstärkt Druck auf das | |
Europaparlament und die Kommission auszuüben. Da bleibe nicht aus, dass | |
sich die deutsche Datenschutzbewegung noch stärker mit Datenschützern aus | |
anderen europäischen Ländern vernetzt. Bendrath schlägt vor, die | |
alljährliche Großdemo "Freiheit statt Angst" im Herbst dieses Jahr nicht in | |
Berlin abzuhalten, sondern gleich nach Brüssel zu verlegen. | |
Die DatenschutzaktivistInnen wollen sich jetzt am zweiten Märzwochenende in | |
Hamburg treffen, um sich auf mögliche nächste Großaktionen zu verständigen. | |
FELIX LEE | |
3 Mar 2010 | |
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[1] http://www.netzpolitik.org/ | |
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