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# taz.de -- Debatte Holocaust-Gedenken: Pilgerfahrt nach Auschwitz
> Das Gedenken an den Holocaust ist zu einer Art Religion geworden. Zu den
> Ritualen dieser Religion zählt es, jüdische Kritiker der israelischen
> Politik auszugrenzen.
Bild: "Die Heil- und Pflegeanstalten sind zu Mordzentralen geworden." Geistig b…
Was haben die beiden Professoren Ilan Pappe (Israel), Norman Finkelstein
(USA) und der Publizist Hajo Meyer (Deutschland) gemeinsam? Alle drei sind
Juden, Überlebende des Holocaust beziehungsweise deren Nachkommen sowie
vehemente Kritiker der israelischen Politik.
Was haben die Stadt München, die Trinitatiskirche in Berlin, die
Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemein? Sie alle haben, nach
anfänglichen Zusagen, Ilan Pappe beziehungsweise Norman Finkelstein wieder
ausgeladen und ihnen versprochene Veranstaltungsräume verwehrt - so wie es
die Heiliggeistkirche in Frankfurt vor ein paar Jahren bereits einmal mit
Hajo Meyer getan hatte. Die genannten Institutionen gaben damit dem Druck
sich proisraelisch gebender Kreise nach, die Finkelstein, Pappe und Meyer
sogar als "Antisemiten" denunzierten. Wegen der Schoah. So nennt man das
mittlerweile.
Früher sagte man "Auschwitz", dann "Holocaust". Bis Claude Lanzmann kam. Er
suchte für das gigantische Menschheitsverbrechen, das er nicht verstand,
ein Wort, das er ebenfalls nicht verstand. Also nannte der französische
Regisseur seinen neunstündigen Dokumentarfilm über den Völkermord an den
Juden 1985 "Shoah". Dabei störte es ihn nicht, dass es sich um einen
religiös aufgeladenen Begriff handelt: Auf Hebräisch bezeichnet man damit
eine Katastrophe, die Gott über die Welt gebracht hat. Inzwischen hat sich
der Begriff auch in Deutschland eingebürgert.
Mit dem Wort "Schoah" wird der Völkermord an den Juden mit der Aura des
Unfassbaren, des Heiligen ummantelt. Dabei handelt es sich bei diesem
Völkermord, so erschreckend er war, nicht um ein esoterisches Ereignis,
sondern um ein modernes, gut dokumentiertes und recherchiertes Verbrechen,
das Menschen an anderen Menschen verübt haben. Zahllose Bücher wurden
darüber geschrieben: Unfassbar ist es also nicht auf einer intellektuellen,
sondern allenfalls auf einer emotionalen Ebene.
Mit dem hebräischen Wort "Schoah" wird in Deutschland auch die israelische
Interpretation des Ereignisses übernommen. In Israel ist diese eine Art
nationale Erzählung und ein Grundpfeiler des Staates, sodass sich dort
jedes jüdische Kind damit identifizieren kann, selbst wenn seine Eltern
ursprünglich aus dem Jemen oder aus Indien stammen. Schülerreisen nach
Auschwitz, ursprünglich nur von israelischen Eliteschulen betrieben, sind
heute ein fester Bestandteil jeder israelischen Postpubertätsbiografie
geworden. Bevor ein junger Israeli zur Armee geht, muss er mindestens
einmal Suff, Sex und eine Auschwitzreise erlebt haben. Wenn diese
Voraussetzungen erfüllt sind, kann er seinen Armeedienst leisten und
hinterher in Indien ausflippen.
Zu offiziellen Gedenktagen holen auch ältere Israelis die inzwischen
obligate Pilgerfahrt nach Auschwitz nach. Von einfachen Soldaten bis zu
hohen Generälen und Politikern marschieren sie in Uniform (!) durch
Auschwitz und erinnern an die Worte Ehud Baraks: "Wir sind 60 Jahre zu spät
gekommen." Das Evangelium von Auschwitz hat inzwischen sogar schon den
Weltraum erreicht: Als der erste israelische Astronaut Ilan Ramon 2003 mit
dem Raumschiff "Columbia" ins All flog, hatte er auch die
Bleistiftzeichnung eines kleinen Jungen dabei, der in Auschwitz ermordet
wurde.
Bei diesem Schoah-Kult handelt es sich, so muss man wohl sagen, um eine Art
Religion mit festen Ritualen. Dazu gehört - ungeachtet aller heutigen
Realitäten - die feste Überzeugung, die Deutschen seien die ewigen Täter
und die Israelis die ewigen Opfer, weshalb die Gesetze und Regeln
demokratischer Staaten für Letztere nicht zu gelten hätten: ein Sonderfall
halt.
Diese Religion erfreut sich nicht nur in Israel großer Beliebtheit. Auch
vielen Deutschen kommt eine solche Mystifizierung von Auschwitz gelegen.
Denn wenn Auschwitz eine heilige Aura umgibt, dann muss man sich nicht mehr
mit dem eigenen Potenzial zur Täterschaft auseinandersetzen. Wenn der
Holocaust so heilig ist, dann darf man nur auf Zehenspitzen gehen.
Nicht wenige Deutsche haben damit ein prima Arrangement mit der
Vergangenheit getroffen. Sie erklären das Verbrechen ihrer Vorfahren als so
schlimm, dass es zu etwas quasi Mystischem geworden ist. Das Thema ist
damit aus dem Diesseits und dem Feld der Politik in die Sphäre des Sakralen
entrückt. Solange man die Rituale dieser Religion befolgt, braucht man sich
nichts vorwerfen zu lassen und kann sich sogar, wie Angela Merkel in der
Affäre um die Piusbruderschaft gezeigt hat, päpstlicher als der Papst
verhalten. Kein Wunder, dass man in Deutschland zuweilen viel engagiertere
Verfechter der israelischen Politik antrifft als in Israel selbst.
Es gibt aber auch Juden, die dieses israelisch-deutsche Interpretation der
Schoah nicht akzeptieren. Für sie ist Auschwitz nicht heilig und Israels
Politik noch immer kritisierbar. Publizisten wie der israelische
Wissenschaftler Ilan Pappe, der ein Buch über "Die ethnische Säuberung
Palästinas" geschrieben hat, sein US-Kollege Norman Finkelstein, der eines
über die "Holocaust-Industrie" verfasste, und der in Deutschland geborene
Dr. Hajo Meyer, der "Das Ende des Judentums" publizierte, gehören dazu.
Doch in Deutschland sind sie deswegen nicht willkommen.
Man stelle sich vor, Heinrich Böll wollte heute über die Sprache der
israelischen Besatzer reden - und die nach ihm benannte Stiftung ließe das
nicht zu. Rosa Luxemburg bekäme in der Stiftung, die ihren Namen trägt,
keine Gelegenheit, über die Machtverhältnisse in Israel zu sprechen. Und
der Jude Jesus fände die Türen der Trinitatiskirche verschlossen, wenn er
über die Missachtung des Nächsten in Israel sprechen wollte.
All diese Institutionen üben sich in Selbstzensur und belegen Publizisten,
die sich für die Menschenrechte im Nahen Osten einsetzen, mit einem
Redeverbot. Es ist immer noch angebracht, Rosa Luxemburgs Erbe
weiterzugeben und die Dinge beim Namen zu nennen. Doch die Stadt München,
die Trinitatiskirche in Berlin, die Böll- und die Luxemburg-Stiftung
drücken sich davor.
9 Mar 2010
## AUTOREN
Iris Hefets
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