| # taz.de -- Tumult bei Antisemitismus-Diskussion: Spucken und Schreien | |
| > Ein taz-Debattenbeitrag war Anlass zu einer Diskussion über "den Umgang | |
| > deutscher Medien mit Erinnerungskultur, Israelkritik und Antisemitismus" | |
| > bei der Jüdischen Gemeinde Berlin. Doch es gab Tumult. | |
| Bild: Darf ihre Äußerungen über Iris Hefets nicht mehr wiederholen: die Vors… | |
| So stellt man sich eine Diskussionsveranstaltung in den Siebzigern vor. | |
| Eben hat Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, | |
| ihren Einführungsvortrag beendet. Darin geißelte sie die antiisraelischen | |
| Positionen der Autorin Iris Hefets, die unter anderem in Boykottaufrufen | |
| gegen H&M bestünden, weil das Unternehmen kürzlich eine Filiale in Israel | |
| eröffnet habe. Da steht schnell eine Gruppe junger Leute auf und hält | |
| kleine Pappschilder in die Luft. Auf ihnen ist in Englisch und Hebräisch zu | |
| lesen: "Wir sind alle Iris Hefets". | |
| Welcher Gruppe oder Organisation sie angehören, sagen sie nicht, während um | |
| sie herum ein Tumult losbricht. Sie seien alle Israelis, ruft einer der | |
| Aktivisten nur. In den Medien werden sie später der "Jüdischen Stimme für | |
| einen gerechten Frieden" zugeschlagen, in deren Vorstand Iris Hefets aktiv | |
| ist. | |
| Ein Debattenbeitrag von Hefets, der im März in der taz erschienen war, soll | |
| der Anlass zu einer Diskussion über "den Umgang deutscher Medien mit | |
| Erinnerungskultur, Israelkritik und Antisemitismus" sein. Zu ihr hat am | |
| Dienstagabend die Jüdische Gemeinde zu Berlin in die Synagoge in der | |
| Oranienburger Straße geladen. Es diskutieren Thomas Schmid, Herausgeber der | |
| Welt, Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegel und die | |
| Chefredakteurin der taz, Ines Pohl. Moderator ist Thierry Chervel, | |
| Chefredakteur des Onlinemagazins Perlentaucher. | |
| Die in Israel geborene, seit acht Jahren in Deutschland lebende | |
| Journalistin Iris Hefets hatte in ihrem Text kritisiert, dass | |
| Rosa-Luxemburg-Stiftung und Heinrich-Böll-Stiftung Norman Finkelstein erst | |
| zu einer Veranstaltung ein- und dann wieder ausgeladen hatten. Finkelstein | |
| wird vorgeworfen, immer wieder Israelis mit Nazis zu vergleichen. Hefets | |
| sah in der Ausladung aber ein "Redeverbot", das mithilfe einer | |
| "Mystifizierung" des doch gut dokumentierten Völkermords an den Juden | |
| durchgesetzt werde. An dieser sei auch vielen Deutschen gelegen: So müssten | |
| sich die Deutschen mit den Fakten nicht mehr auseinandersetzen. | |
| "Bevor ein junger Israeli zur Armee geht, muss er mindestens einmal Suff, | |
| Sex und eine Auschwitzreise erlebt haben", schrieb Hefets über das Gedenken | |
| in Israel. Aussagen wie diese und von ihr benutzte Begriffe wie der | |
| "Schoah-Kult", bei dem es sich "um eine Art Religion mit festen Ritualen" | |
| handle, erregten vielerorts Anstoß und führten auch innerhalb der taz zu | |
| kontroversen Debatten. | |
| Auch der Auftritt der Aktivisten in der Synagoge bleibt nicht ohne | |
| Reaktionen. Einige Zuschauer stehen auf, einige brüllen, die Aktivisten | |
| erfahren lautstarke Zustimmung, aber auch ebenso lautstarke Ablehnung. Das | |
| Publikum, so zeigt sich während des weiteren Verlaufs, setzt sich aus ganz | |
| unterschiedlichen Milieus zusammen. Weder die Israelfreunde noch die | |
| vehementen Kritiker der israelischen Politik dominieren. | |
| Im Tumult ergreift Ines Pohl das Wort. Nicht nur Hefets' Text, der | |
| eigentlich "Anlass, nicht Gegenstand" (Moderator Chervel) zum Gespräch sein | |
| sollte, sondern auch die Autorin selbst seien mit Süsskinds | |
| Einführungsvortrag zum Gegenstand vehementer Anschuldigungen geworden. Nun | |
| müsse derselben doch die Möglichkeit gegeben werden, sich zu äußern. Das | |
| sei eine Frage der Demokratie. Einer will nun wissen, dass Hefets in der | |
| Nähe sei. Doch seitens der Jüdischen Gemeinde heißt es, angesichts der | |
| Äußerungen der Autorin sehe man keinen Anlass, ihr im eigenen Haus eine | |
| Plattform zu bieten. | |
| Die Debatte wogt, zum großen Teil unverständlich, zwischen Podium und | |
| ersten Reihen hin und her. Pohl wird bespuckt und als Nazi beschimpft. Sie | |
| verlässt bald darauf den Saal. Die Aktivisten, die sich auch auf mehrmalige | |
| Aufforderung hin nicht setzen wollen, werden schon vorher von Ordnern | |
| hinausgeführt. Ihnen folgen dreißig der insgesamt gut vierhundert | |
| Teilnehmer der Veranstaltung. Der daraufhin angebotene Kompromissvorschlag | |
| Chervels, Hefets könne im Anschluss zehn Minuten sprechen, kommt zu spät, | |
| zu Ines Pohl dringt er nicht mehr durch. Thomas Schmid wirft der Abwesenden | |
| bald danach vor, den Eklat inszeniert zu haben, um sich der Debatte zu | |
| entziehen. | |
| Sie verläuft ab jetzt so "steril", wie Thierry Chervel befürchtet. Zwar | |
| wird auf die anerkannten Definitionen von Antisemitismus und seine neueren | |
| antizionistischen Formen eingegangen, aber keiner der Diskutierenden | |
| unternimmt auch nur den Versuch, Passagen aus Hefets' umstrittenen Text | |
| tatsächlich als antisemitisch zu klassifizieren. Vor allem wird kein | |
| Gedanke an die Frage verschwendet, die die Veranstalter vorher formuliert | |
| hatten: "Welchen Stellenwert hat das Gedenken an die Schoah für Politik und | |
| Medien in Deutschland und wie soll der mediale Umgang mit dem Gedenken | |
| künftig gestaltet werden?" | |
| 29 Apr 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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