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# taz.de -- Streit um Franco-Diktatur: Richter Garzón wird kaltgestellt
> Spanien debattiert voller Leidenschaft: Richter Baltasar Garzón will die
> Verbrechen der Franco-Ära untersuchen lassen. 112.000 Morde ließ er
> ermitteln, jetzt droht ihm ein Berufsverbot.
Bild: Garzón hat viele Feinde.
Pro oder contra? Star oder einer, der über die Stränge schlägt? Spaniens
Öffentlichkeit und Presse debattieren voller Leidenschaft - nicht etwa über
einen Fußballer, sondern über einen Richter. Es vergeht kaum ein Tag, an
dem Baltasar Garzón, Ermittler am obersten spanischen Strafgerichtshof, der
Audiencia Nacional, nicht irgendeine Titelseite ziert oder das Thema langer
Analysen und Meinungskolumnen ist.
Der durch seine Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in
Chile und Argentinien international berühmt gewordene Richter war zuletzt
noch einen Schritt weiter gegangen: Er nahm Spaniens eigene, dunkle
Geschichte unter die Lupe und leitete Verfahren gegen die Führer des
Putsches um General Francisco Franco aus Armee und der faschistischen
Falange ein. Der Putsch mündete 1936 in einen Bürgerkrieg und eine 40 Jahre
dauernde Diktatur.
Spaniens Rechte reagiert empört und formiert sich, als sei sie noch immer
einem heiligen Schwur auf Caudillo und Vaterland verpflichtet. Allen voran
die Organisation Manos Limpias - Saubere Hände. Die rechtsradikale
Gewerkschaft strebt derzeit mit Erfolg eine Klage gegen den Ermittler an.
Garzón habe das Recht gebeugt, heißt es in der Anzeige, die von Spaniens
Oberstem Gerichtshof, dem Tribunal Supremo, zugelassen wurde. Schützenhilfe
bekommt Manos Limpias von der rassistischen Gruppierung Libertad y
Identidad und der rechtsradikalen Falange selbst.
Und wie reagiert die spanische Öffentlichkeit? Medien wie die
sensationalistische Tageszeitung El Mundo oder die konservative ABC
berichten über jeden noch so absurden Vorwurf gegen Garzón. Sollte das
Tribunal Supremo den Richter tatsächlich verurteilen, drohen ihm 20 Jahre
Suspendierung vom Dienst. Dies käme einem Berufsverbot des heute
54-Jährigen gleich und wäre ein herber Schlag für die Opfer von Verbrechen
gegen die Menschlichkeit - und für die Befürworter des Weltrechtsprinzips,
einer universellen Jurisdiktion, als deren Pionier Garzón gilt.
Garzón bekam im Dezember 2006 eine Anzeige von Angehörigen von
Verschwundenen aus dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) auf den Tisch.
Die standrechtlichen Erschießungen, Entführungen und Ermordungen von
Republikanern durch die Franco-Faschisten halten viele Opferanwälte für ein
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Garzón recherchierte in
verschiedenen staatlichen und kirchlichen Archiven die Einzelschicksale der
Opfer der brutalen Repression. Oft stieß er in den Ämtern auf eine Mauer
des Schweigens. Nur wenige Provinzen und einige Professoren, die das
traurige Kapitel der spanischen Geschichte erforschen, unterstützten
Garzón.
Der Richter kam zu dem Schluss, dass vom Kriegsausbruch 1936 bis zum Jahr
1951 mindestens 112.000 Todesopfer zu beklagen sind. Da er nicht einmal aus
einem Drittel Spaniens brauchbare Informationen erhalten hatte, ist mit
einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Die meisten Opfer wurden in
Massengräbern verscharrt. Spaniens Geschichte liegt am Straßenrand
begraben.
Mit den Ermittlungsergebnissen eröffnete Garzón im Oktober 2008 ein
Verfahren und ordnete die Suche nach den sterblichen Überresten der Opfer
"von gewaltsamem Verschwinden" an.
Doch die Staatsanwaltschaft ließ die Suche nach den Massengräbern sofort
stoppen. Garzón erklärte sich daraufhin für nicht zuständig und überwies
die Ermittlungen an die jeweiligen regionalen Amtsgerichte. Ein geschickter
Schachzug: Obwohl die meisten Amtsgerichte bis heute nicht auf die
Überstellung der Fälle reagiert haben, wiesen Richter aus Granada und
Madrid den Fall zurück an Garzón. Es handle sich eindeutig um Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, und für diese seien eben er und die Audiencia
Nacional zuständig.
"Und mit diesem Verfahren soll mein Mandat das Recht gebeugt haben?", sagt
Rechtsanwalt Martínez-Fresnedas. Der Strafrechtsspezialist aus Madrid
verteidigt Garzón gegen die Anschuldigungen von Manos Limpias, Libertad y
Identidad und der Falange. Diese sagen: Garzón habe das Verfahren
aufgenommen, obwohl er wusste, dass die Vergehen unter die Amnestie von
1977 fallen. "Ein Amnestiegesetz, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit
auszuradieren versucht, obwohl diese nicht als politische Verbrechen
angesehen werden können, ist nichtig", kontert Garzón.
"Erstmals steht den Opfern der Franco-Diktatur ein Gericht offen, und das
soll um jeden Preis verhindert werden", sagt Martínez-Fresneda im
taz-Gespräch. Die Gültigkeit der spanischen Amnestie zu bezweifeln, sei
keine Rechtsbeugung. Sowohl der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag
als auch der Europäische Gerichtshof in Straßburg halten solche politisch
motivierten Amnestien für Menschenrechtsverbrechen für ungültig.
"Macht den Garzón fertig", nennt Martínez-Fresnedas das, was in Spanien
gerade geschieht. Jeder noch so absurde Vorwurf gegen den Richter werde von
den Medien aufgegriffen und gegen Garzón gespielt. So soll er Einkünfte aus
Universitätsvorträgen nicht angemeldet haben, Gefälligkeitsurteile für
Sponsoren von Tagungen gefällt haben etc.
"Der Fall Garzón reiht sich in besorgniserregende internationale
Entwicklungen ein", sagt Martínez-Fresneda und spielt dabei auf die
Entwicklung in Italien unter Berlusconi an. Aber auch auf die weitgehende
Untätigkeit der US-Justiz im Falle Guantánamo oder anderer Rechtsbrechungen
im "Krieg gegen den Terror".
Garzón, der 1998 Chiles Exdiktator Pinochet per internationalen Haftbefehl
in London festsetzen ließ, hat viele Feinde. Nur wenige Richter sind so
bekannt wie er. Garzón ermittelte wegen Folter, Mord und Verschwindenlassen
von spanischen Staatsbürgern zu Zeiten des chilenischen Militärputsches
1973. Nach Garzón können Verbrechen gegen die Menschlichkeit zudem
unabhängig von Nationalität von allen Rechtsstaaten gleichermaßen verfolgt
werden.
In Spanien selbst ging Garzón entschieden gegen die Drogenmafia, die
bewaffneten Separatisten von ETA oder gegen die Korruption vor. Und es war
Garzón, der das wohl dunkelste Kapitel der jungen Geschichte der spanischen
Demokratie, den schmutzige Krieg der Todesschwadronen GAL zu Zeiten des
Übergangs von Diktatur zur Demokratie, gerichtlich aufarbeiten ließ.
Er konnte beweisen, dass die GAL, denen in den 1980er-Jahren 23 Menschen
aus ETA und Umfeld zum Opfer fielen, von der damaligen Regierung selbst
gesteuert wurde. Ein ehemaliger Innenminister und sein Sicherheitssekretär
mussten hinter Gitter. Felipe González, der damalige sozialistische
Regierungschef, entkam nur knapp den Ermittlungen. Garzón trug an der
Spitze der GAL-Hierarchie ein X ein. Ganz Spanien weiß, wen er damit
meinte.
Bereits damals geriet Garzón ins Kreuzfeuer der Kritik - allerdings unter
vertauschten Vorzeichen. Viele, die ihn heute angreifen, verteidigten
damals seine Ermittlungen gegen die sozialistische Regierung. Und so
mancher, der ihn heute in Schutz nimmt, hätte dem Richter, der anders als
viele seiner Kollegen weder dem fortschrittlichen noch dem konservativen
Richterverband angehört, am liebsten den Fall entzogen.
"Die Vorwürfe gegen Garzón sind nur Blendwerk", sagt auch Joan Garcés. Der
Anwalt aus Madrid vertrat Opfer, die gegen den ehemaligen chilenischen
Diktator Augusto Pinochet klagten. Für ihn ist Garzóns Arbeit ein
Meilenstein für die "universelle Jurisdiktion". Ohne den Richter aus Madrid
und den Fall Pinochet wären die heutigen Verfahren gegen die
Verantwortlichen der argentinischen Militärdiktatur in Santiago und Buenos
Aires wohl kaum vorangekommen.
Während ein Teil der Spanier sich auf die Suche ihrer Geschichte macht,
unternimmt die Gegenseite alles, um genau dies zu verhindern. Auch in
Argentinien sei der erste Richter, der sich der juristischen Aufarbeitung
der Diktatur annahm, vom Dienst suspendiert worden, sagt Garcés. "Ob sie
jetzt Garzón schaffen, hängt von der Stärke der demokratischen
Öffentlichkeit ab."
Und diese formiert sich nun langsam. Opferverbände schlagen Baltasar Garzón
für den Sacharow-Preis des EU-Parlaments vor. Intellektuelle, Regisseure,
Schauspieler oder Schriftsteller wie José Saramago unterzeichnen
Solidaritätsadressen. Anwälte, Richter und Staatsanwälte schreiben Artikel
zu seiner Verteidigung. "Eine Ungerechtigkeit am Einzelnen ist eine Gefahr
für die gesamte Gesellschaft", schrieben Mitarbeiter Garzóns von der
Audiencia Nacional in einem Kommuniqué.
12 Mar 2010
## AUTOREN
Reiner Wandler
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