# taz.de -- Caio Koch-Weser über die Kolonie Rolândia: "Mich drängte es imme… | |
> Vor fast 80 Jahren gründeten Bremer eine Kolonie im brasilianischen | |
> Urwald. Der frühere Staatssekretär und Weltbank-Manager Caio Koch-Weser | |
> ist dort geboren. Ein Gespräch über das Leben in Einfachheit, Wohlstand, | |
> Deutschtümelei und den Roland als Heiligenfigur. | |
Bild: Caio Koch-Weser fühlt sich in mehreren Kulturen wohl. Hauptsächlich in … | |
taz: Sind Sie Kind des Kolonialismus, Herr Koch-Weser? | |
Caio Koch-Weser: Nein. | |
Ihr Geburtsort Rolândia wurde 1932 zunächst von zwei Bremern dem | |
südbrasilianischen Urwald abgerungen. Es ist damit die einzige zwischen den | |
beiden Weltkriegen erfolgreich von Deutschen besiedelte Kolonie … | |
Es war ja keine von Deutschland abhängige Kolonie oder Enklave - sondern | |
eine Siedlung im Urwald. Und die deutschen Siedler waren größtenteils | |
Kleinbauern, die mit wenig Geld kamen. Es zogen sehr rasch auch Menschen | |
aus ganz Brasilien hinzu, außerdem Japaner und Italiener. Und manch eine | |
von den deutschen Einwandererfamilien, deren Nachkommen nach Rolândia | |
kamen, war schon nach den Wirren von 1848 nach Südbrasilien gegangen. | |
Wann sind Sie zum letzten Mal da gewesen? | |
Vor fünf Jahren. Als meine Eltern zurück nach Europa gingen, verkauften sie | |
ihre Farm an gute Freunde der Familie. Deren Nachkommen führen sie heute | |
als Landhotel. Das Anwesen wird aber liebevoll und genau so erhalten wie | |
mein Vater es entworfen hat. Und so komme ich immer wieder gerne hin, habe | |
auch immer noch viele Freunde da. Natürlich interessiert mich aber auch die | |
Entwicklung des Bundesstaates Paraná - der einen großen Aufschwung genommen | |
hat, auch industriell. Vor 80 Jahre noch war das alles Urwald. | |
Das "Dritte Reich" wollte aus Rolândia eine Art "deutsche Mustersiedlung" | |
machen. | |
Ja, aber das wurde nie umgesetzt, auch wenn es Versuche gab, Einfluss zu | |
nehmen. Es war auch nach dem Krieg - anders als Paraguay - nicht der Ort, | |
an den viele Nazi-Flüchtlinge kamen, allenfalls einzelne. | |
Der KZ-Arzt Josef Mengele, war aber nicht darunter, wie immer mal gemutmaßt | |
wird? | |
Nein, das ist ein reines Gerücht. | |
Kolonieleiter und Tropenlandwirt Oswald Nixdorf war der NSDAP nahe, ihr | |
Großvater Erich Koch-Weser hingegen linksliberaler Politiker und als | |
"Halbjude" Opfer der Bücherverbrennung. Wie ging das zusammen? | |
Es gab natürlich immer wieder mal Spannungen - aber die waren nicht | |
herausragend. Der Nationalsozialismus hat nicht Fuß gefasst. Es gab | |
einzelne Sympathisanten, aber keine Gruppe aktiver Nazis. Die Siedlung war | |
sehr unabhängig und auch gerade von jüdischen oder katholischen Emigranten | |
geprägt. | |
Nixdorf sah sich in der Verpflichtung, das Gastland "heraufzuziehen" und | |
seinen Bewohnern "deutsche" Tugenden beizubringen. | |
Das war nicht der Geist von Rolândia oder die Haltung der großen Mehrheit. | |
Sicherlich wollte mancher zeigen, das man mit deutscher Tüchtigkeit aus dem | |
Urwald ein blühendes Gemeinwesen machen kann. Aber man darf das nicht | |
politisch sehen. Und der Erfolg war auch keineswegs nur den Deutschen zu | |
verdanken. Es war all jenen, die kamen, auch zunächst nicht klar, dass der | |
Kaffee dort so gut gedeihen würde. Dadurch erst kam ja ein bescheidener | |
Wohlstand auf - und es entstand eine Monokultur, also gerade das, was man | |
nicht wollte. | |
War da, als nach dem Krieg der Kaffeeboom kam, eine Goldgräberstimmung in | |
Rolândia? | |
Ein bisschen schon. Das machte die Gegend über Nacht wohlhabend, es wurden | |
sehr rasch Straßen gebaut, die städtischen Zentren und | |
Dienstleistungsbereiche entwickelten sich schnell. Das Land war rasch | |
vergeben. Da konnte man nicht über Nacht reich werden. Heute gedeiht in dem | |
Staat Paraná durch die Abholzung des Urwaldes allerdings gar kein Kaffee | |
mehr, weil nun aus dem Süden Kältewellen kommen und der Kaffee keinen Frost | |
verträgt. | |
Die Kindheit in Rolândia wird oft als "großartiges Leben in Einfachheit" | |
beschrieben … | |
Ja, das war so. | |
Verklärt man das nicht? | |
Sicher ein wenig in den Erinnerungen, zumal die Verhältnisse auch unsicher | |
waren: Man wusste bei Frosteinbrüchen ja nicht, ob es überhaupt eine | |
Kaffeeernte gibt. Wir ritten auf dem nackten Pferderücken in die Schule, | |
wir trugen keine Schuhe, bis wir 14 waren, weil es viel praktischer so war. | |
Und die ersten Jahre nach dem Krieg hatten wir kein Auto, keine | |
Elektrizität, kein Telefon. Und auch als sich meine Eltern schon mehr | |
hätten leisten können, blieben sie weiter sehr spartanisch in ihrem | |
Lebensstil. Wir lebten ziemlich abgeschieden, abends las man, machte Sport, | |
besuchte Freunde. Und unsere Schule war eine Zwergenschule mit Lehrern aus | |
Deutschland und nur einer Handvoll Schülern pro Klasse. | |
Warum sind Sie dann in den 1960er Jahren nach Deutschland gegangen? | |
Um das Abitur zu machen und zu studieren. Mich drängte es immer hinaus. Die | |
Farm meiner Eltern war als Musterbetrieb weit bekannt, da hat man es als | |
Sohn schwer, selbst etwas hinzuzufügen. Es war mir nicht herausfordernd | |
genug. Außerdem war die Rückkehr nach Europa auch in den Köpfen meiner | |
Eltern immer präsent. Und Brasilien konnte damals auch noch keine so gute | |
Ausbildung bieten. | |
War das Internat in Schwarzwald nicht ein Kulturschock? | |
Ein bisschen - zumindest in den ersten Monaten. Deutschland kam mir damals | |
schon sehr reich vor, aber auch etwas stur und reglementiert. Ich war aber | |
auch als Jugendlicher früh auf Europa, die europäische Idee fixiert. Das | |
war auch viel später einer der Gründe, warum ich aus dem Management der | |
Weltbank in die Schröder-Regierung gegangen bin. Ich hab mich aber nicht in | |
die Parteipolitik begeben. Meine Devise war immer, etwa alle sieben Jahre | |
was Neues zu machen und eine neue Herausforderung anzunehmen. | |
Heute können Sie in großem materiellem Wohlstand leben. Was bedeutet Ihnen | |
Geld? | |
Es gibt einem, rein gefühlsmäßig, eine große Unabhängigkeit. Wir alle leben | |
in Deutschland unglaublich gut, verglichen mit dem größten Teil der Welt. | |
Ich weiß, was für ein Luxus das ist, denn ich hatte bei der Weltbank sehr | |
lange Verantwortung in den armen Teilen der Welt, in Afrika genauso wie im | |
chinesischen Hinterland der 80er-Jahre. Geld war mir auch nie der große | |
Motivator - aber natürlich kann man sagen: Der hat gut reden. Als ich aus | |
dem Vorstand der Weltbank als Staatssekretär in die Bundesregierung | |
gewechselt bin, war das durchaus ein großer Schnitt. Aber mich reizte die | |
Aufgabe. Ich versuche, das auch weiterzugeben: Mein Sohn studiert zwar | |
heute in Harvard, hat aber auch in den Slums von Sao Paulo gearbeitet, dort | |
unter primitiven und gefährlichen Verhältnissen gelebt. | |
Wo sind Sie zu Hause? | |
Gute Frage. Ich fühle mich als Wanderer zwischen den Welten, gewissermaßen | |
als Weltbürger, auch wenn das anspruchsvoll klingt. Ich fühle mich in | |
mehreren Kulturen wohl. Hauptsächlich in Deutschland, hier vor allem in | |
Berlin und Sachsen, aber gefühlsmäßig bin ich auch stark in Brasilien | |
verwurzelt. | |
In Rolândia aber besteht das deutsche Erbe heute unter anderem in einem | |
Wies'n-Imitat. | |
Das ist natürlich Deutschtümelei. Da gibt es einen "Club Concordia", wo ab | |
zu geschuhplattlert wird, aber ansonsten ist das eine brasilianische Stadt | |
wie viele andere geworden. Auch wenn da eine originalgetreue Kopie des | |
Bremer Roland auf dem Marktplatz steht, ein Geschenk des Bremer Senats zum | |
25.Geburtstag Rolândias 1957. | |
Wirkt der in Brasilien nicht wie ein Außerirdischer? | |
Die Menschen dort sind stolz darauf, aber manche dort glauben auch, das ist | |
eine Heiligenfigur, knien davor, beten und legen Blumen nieder. | |
14 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
Jan Zier | |
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