Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kunst im Raum: Erschwerte Zugänge
> Die Kunsthalle Bremerhaven zeigt mit "Personal Kill", eine Ausstellung
> zweier Künstler, die sich jahrelang auf Truppenübungsplätzen aufgehalten
> haben. Eine interessante, aber nicht ganz einfach zu erschließende Schau.
> Der Weg dorthin lohnt sich ohnehin, auch das Kunstmuseum nebenan ist
> allerfeinst.
Bild: Von Truppenübungsplätzen inspiriert: die Ausstellung "Personal Kill".
Der Attentäter könnte durch das Badezimmer kommen. Er trägt eine Bombe am
Körper, die er dort zünden könnte, sodass das dahinter befindliche
Wohnzimmer einstürzen würde. Wie kann man ihn also stoppen, ihn
überwältigen, von wo aus massiv unter Feuer nehmen? Es ist ein ganz
normaler Wohnungsgrundriss, wie ihn jeder kennt, der sich schon mal für
eine Wohnung interessiert hat, bevor er sie dann leibhaftig betritt: Türen
und Fenster sind eingezeichnet, die Räume mit Quadratmeterangaben versehen.
Gefunden haben diesen Zettel die Künstler Beate Geissler und Oliver Sann,
die seit Jahren auf Truppenübungsplätzen unterwegs sind. Nun hängt das
Flugblatt mit den Grundinformationen für eine Häuserkampfübung hinter Glas,
ordentlich gerahmt in der Kunsthalle Bremerhaven, die dort vom Kunstverein
betrieben wird.
"Personal Kill" heißt die Ausstellung und es ist eine interessante, aber
nicht ganz einfach zu erschließende Schau. "Es ging uns auch darum, dass
ein politisches Statement nicht die Autonomie der Kunst in Frage stellt",
sagt Kurator Klaus Becké: "Das ist uns - glaube ich - gelungen."
Geissler und Sann haben 300 Meter Absperrgitter verbaut. Haben so die
Kunsthalle in Gänge und Zwischenräume unterteilt, erschweren Zugänge, geben
die Richtung vor, wie der Besucher zu gehen hat. Zwischendurch finden sich
auch Absperrgitterstapel, die sich zu silbern schimmernde Mustern formen.
Es könnte jetzt auch ein Exkurs in die Minimal Art der 60er ein: Daniel
Judd oder Sol LeWitt macht Kunst in Bauabsperrungen.
Aus den 60ern stammt auch der Bau der Kunsthalle selbst, sodass sich
Geissler und Sanns Absperrszenario als eine Entgegnung auf den Raum und
seine Funktion des Ordnens und Kontrollierens lesen und erst Recht
beschreiten lässt: Eine Auftragsarbeit, erbaut von dem Bremer Architekten
Gerhard Müller-Menckens; ein streng modernistischer Bau, ohne Schnörkel,
Rückzugsmöglichkeiten oder verborgene Winkel. Ein Raum, wie ein Bunker; mit
Lüftungsschlitzen, statt Fenstern. Sodass, obwohl er im ersten Stock liegt
und es die Stufen hoch geht, der Besucher die Empfindung hat, er sei
irgendwo unten - vielleicht sogar unter der Erde. Entsprechend versteht
sich diese Rauminstallation über die Thematisierung abgesperrter
Truppenübungsplätze hinaus als ein Rekurs auf Modernität und Krieg, auf
Aufklärung im architektonischen wie philosophischen und auch im
militärischen Sinne.
Um Aufklärung geht es noch einmal anders im angrenzenden Flügel des Hauses:
Hinter weiteren Absperrgittern, diesmal mit grünen Tarnnetzen verstärkt,
wird eine Pressekonferenz des Militärs vorbereitet, an der der Besucher
nicht teilnehmen kann - nur beobachten kann er sie, aus weiter Ferne.
Räume sind eine Spezialität der Bremerhavener Kunstwelt. Gleich gegenüber
der Kunsthalle - man muss sich nicht mal die Jacke überstreifen - erhebt
sich das Kunstmuseum, das den Sammlungsbestand des Kunstvereins enthält.
Ein einladender, heller Bau, die Räume kompakt und übersichtlich angelegt.
"Die Bremerhavener haben es nicht so mit der Kunst", sagt der nette ältere
Herr am Tresen, der die Aufsicht führt: "Und auch die Touristen, die kommen
hier rein und wollen immer nur wissen, wo denn das Auswandererhaus ist."
Natürlich weist er ihnen den Weg, geht mit raus vor die Tür und zeigt, wie
sie über den Parkplatz zum Weserdeich kommen, von wo aus es zum
Auswandererhaus und zum Zoo am Meer geht: "Ich sag ihnen dann, das wir auch
was zu zeigen haben, Kunst, aber es klappt nicht immer, dass sie sich
umschauen."
Sollten sie aber. Denn was das Haus zu bieten hat, ist allerfeinst: Gerhard
Richter ist vertreten, Andreas Slominski und Blinky Palermo. Franz Erhard
Walter zeigt seine halbierten Westen, von Norbert Schwontkowski ist Malerei
zu genießen und es wurden Künstlerräume geschaffen, in denen sich die
Präsenz der einzelnen Exponate wie von selbst verstärkt. Und all das mündet
im obersten Stock mit einem Blick auf das Werk des Raumkünstlers per se:
Gregor Schneider. Fotoserien seiner Arbeiten zum Haus Ur reihen sich
aneinander.
Schneider ist öfter nach Bremerhaven gekommen, hat das Bremerhaven
Stipendium erhalten. "Er hat sich hier wohl gefühlt, Mönchengladbach-Rheydt
und Bremerhaven, die Städte haben schon viel gemeinsam", sagt Julia Schleis
vom Kunstverein: "Beide ausgeblutet, beide so seltsam verbaut und beide
eigen." Jüngst hat man eine etwas untypische Arbeit von Schneider erwerben
können: "Toilette". Ein Raum steht im Raum, die Tür halb offen. Darin: eine
Toilette. Müll, Farbreste, Pinsel, Krimskrams. Hier wird gewerkelt! Aber
zieht jemand ein oder aus oder wird renoviert, damit sich die Welt ändert?
Ganz nebenbei wird diesem Herrn Duchamp mit seinem Urinal eine Nase
gedreht.
Und noch einen Raum gibt es, der die Möglichkeit einer körperlichen
Erfahrung durch die Hand eines Künstlers ermöglicht. "Waren Sie schon im
Kubus?", fragt unten der nette ältere Herr und ist schon aufgesprungen,
holt einen Schlüssel hervor: "Kommen Sie, ich führ Sie hin." Wieder geht es
über die Straße, an der Kunsthalle vorbei und dann steht er da, ein
Backsteinwürfel, sieben mal sechs mal sechs Meter, mit einem Eisengitter
verschlossen. Geschaffen hat ihn der russische Objektkünstler Ilja Kabakov,
"The Last Step" der Titel. Hier an dieser Stelle war einst ein Gasthof, in
dem die Auswanderer noch eine Mahlzeit einnehmen konnten, bevor es die
letzten Schritte rauf aufs Schiff und dann rüber in die neue Welt ging. Die
Wände und die Decke zieren Umrisse von Menschen, die an Deck eines Seglers
lagern. "Herr Kabakov ist extra noch mal gekommen, hat das hier gemalt, der
ist gerne hier gewesen", sagt mein Museumsfreund.
Der Boden besteht aus Feldsteinen unterschiedlicher Größe, ist entsprechend
uneben, es ist unangenehm, längere Zeit darauf zu stehen: "Der Boden ist
extra so, er soll das Schwanken darstellen, wie das dann auf den Schiffen
war", sagt er. Er lacht: "Ich bin selbst lange zur See gefahren, ich weiß
noch, wie man auch wieder an Land noch stundenlang so wankte." Und dann
geht er ein paar Schritte, breitbeinig und bedächtig, ein Seemann, der
heute in Bremerhaven die Kunst preist.
17 Mar 2010
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Arktis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wissenschaft trifft Kunst: Ausflug nach Spitzbergen
Der Kunstverein Bremerhaven zeigt Teil II der Arktis-Ausstellung von
Nathalie Grenzhaeuser. Sie bildet ab, was sie vorfindet – aber stark
bearbeitet
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.