# taz.de -- Frauenbewegung: Indien kämpft um die Quote | |
> Im April entscheidet Indien über die Frauenquote. Ein Drittel der Sitze | |
> im Parlament soll dann an Frauen gehen. Doch der Plan löst Streit aus - | |
> auch unter Indiens bekannten Feministinnen. | |
Bild: Aktivistinnen der Bharatiya-Janata-Partei feiern nach der Abstimmung im i… | |
DELHI taz | Shatabdi Roy trägt ein langes, orangefarbenes Oberkleid über | |
eng anliegenden Hosen. Ihr üppiges, hennagefärbtes Haar liegt locker auf | |
den Schultern. Sie lächelt viel. Sie passt so gar nicht zu dem alten, | |
missmutigen Mann, der am Frühstückstisch eines mittelmäßigen Hotels in | |
Neu-Delhi neben ihr sitzt. Die beiden stellen ein ungleiches | |
Abgeordnetenpaar dar, das aber eine Gemeinsamkeit hat: Sie kritisieren | |
Indiens geplante Frauenquote. | |
Shadi Lal Batra ist ein politischer Routinier der regierenden indischen | |
Kongresspartei. Er hat ein Mandat im Oberhaus, der Kammer der indischen | |
Bundesstaaten, die vor Kurzem mit großer Mehrheit einer Verfassungsänderung | |
für eine Frauenquote zugestimmt hat. Ein ambitioniertes Programm: Ein | |
Drittel aller Sitze im nationalen Parlament und allen Bundesstaaten wäre | |
dann Frauen vorbehalten. Eine ähnliche Quote gibt es bisher nur in Nepal. | |
Shatabdi Roy, Jahrgang 1968, erregt das alles wenig. Sie ist Mitglied der | |
westbengalischen Regionalpartei Trinamool Congress, die mit der | |
Kongresspartei koaliert. Sie sitzt im Unterhaus, der maßgeblichen | |
Parlamentskammer, die im April endgültig über die Frauenquote entscheiden | |
wird. Vor allem aber ist Shatabdi Roy eine berühmte Schauspielerin - ein | |
Superstar des bengalischen Films. Sie kann Männern schmeicheln. | |
Batra ist trotz seiner schlechten Laune hingerissen von ihr. Er leidet | |
darunter, dass er aufgrund des in Indien üblichen Fraktionszwangs für die | |
Quote stimmen musste. "Warum führen wir nicht zuerst weitere Quoten für die | |
unteren Kasten ein?", schimpft Batra, spürbar verlegen. Er kommt aus | |
Haryana, einem sehr patriarchalischen Bundesstaat, in dem auf 1.000 Jungen | |
weniger als 800 Mädchen kommen. Jedes fünfte Mädchen wird dort vor der | |
Geburt abgetrieben. | |
Shatabdi Roys Kritik klingt eher beiläufig. Ihre kleine bengalische Partei | |
pocht darauf, dass bei Einführung einer Frauenquote für Indiens Parlamente | |
auch eine Quote für Frauen aus den unteren Kasten eingeführt werden muss. | |
Sonst würden nur Frauen aus den oberen Schichten davon profitieren. Doch | |
Roy formuliert diese Einwände eher pflichtgemäß. Auch sie muss sich an die | |
Parteilinie halten. | |
Roy hat anschließend einen Fototermin vor dem India Gate, dem Wahrzeichen | |
Neu-Delhis. Der noch von den englischen Kolonialherren errichtete Torbogen | |
ehrt Indiens im Ersten Weltkrieg für Großbritannien gefallene Soldaten. | |
Heute ist der riesige grüne Platz Treffpunkt der Hauptstadtjugend. Roy | |
gesellt sich problemlos zu den jungen Leuten, hebt ihre Arme in Siegerpose | |
und lächelt wieder. | |
Vergisst man einmal, dass Roy auch Schauspielerin ist, dann wirkt sie jetzt | |
wie der neue weibliche Politikstar, der gerade Indiens Hauptstadt erobert. | |
Vielleicht ist ja etwas dran. Unaufhaltsam, selbstbewusst - eine Frau, die | |
keine Quote braucht. Roy ist das alles. Tatsächlich hat sie ihren armen | |
dörflichen Wahlkreis in Bengalen gleich mit ihrer ersten Kandidatur im | |
Handstreich erobert. Sie kennt von daher die bittere Armut ihrer Wähler, | |
aber für sich selbst kennt sie nur Fortschritt und Erfolg. | |
So verhält es sich auch mit den beiden einflussreichen Fraktionschefinnen | |
der größten Parteien im Unterhaus und der Präsidentin. Die mächtigste | |
dieser drei Frauen ist Sonia Gandhi, die Vorsitzende der Kongresspartei und | |
aus einer der einflussreichsten Familien Indiens. Wie Roy ist Gandhi eine | |
Frau, die nie eine Quote brauchte. Aufgrund ihrer Frauenpower von oben | |
scheint die Frauenquote heute auch im Unterhaus nicht mehr zu verhindern zu | |
sein. Aber ist das wirklich ein Sieg für Indiens Frauen? | |
Aruna Roy sagt Nein, aber es sei doch ein Anfang, eine neue Chance für die | |
Frauen. Sie ist eine ältere Dame, etwa im Alter Sonia Gandhis, und trägt | |
wie diese graue Saris. Sie empfängt, nachdem sie die verrosteten Türläden | |
hochgezogen hat, in einer Art Garage mit Computer, dem Büro ihrer | |
ländlichen Bürgerbewegung in Neu-Delhi. Aruna Roy stammt aus Rajasthan, dem | |
Nachbarstaat Haryanas in Nordwestindien. | |
Beide Staaten werden von ehemaligen, stark patriarchalisch geprägten | |
Kriegerkasten dominiert. Doch in Rajasthan organisiert Roy bis heute eine | |
der erfolgreichsten außerparlamentarischen Protestbewegungen nach dem | |
Vorbild Mahatma Gandhis - mit viel Frauenbeteiligung. Roy und ihrer | |
Bewegung gelang es im Jahr 2005, ein neues Verfassungsrecht auf Information | |
durchzusetzen. Seither ist auch Roy ein Star der indischen Politik. | |
Dennoch hasst sie den Politikbetrieb in Delhi. Längst hätte sie ihre kleine | |
Garage verlassen können, sie war offizielle Beraterin des Premierministers. | |
Doch sie wollte immer zurück nach Rajasthan, zu den einfachen Leuten. Ihren | |
Erfolgen in Delhi traute sie nicht. Trotzdem befürwortet sie jetzt die | |
Frauenquote. "Unsere Sozialstruktur erlaubt es Frauen nicht, ohne Quoten in | |
den öffentlichen Raum zu treten. Dann würde das Patriarchat unverändert | |
andauern", sagt Roy. Aber sie warnt auch, dass viele Frauen in Indien zu | |
arm und ungebildet seien, um das Konzept der Frauenquote überhaupt zu | |
verstehen. | |
Aruna Roy schenkt Tee ein. Sie hat ihr anspruchsloses Landleben auch in | |
Delhi nie aufgegeben. Wie einst Mahatma Gandhi. Auch er ergriff immer | |
wieder atemberaubene Initiativen, sogar das Kastenwesen wollte er | |
abschaffen, aber nie gelangen diese Pläne ganz. Wird das auch mit der | |
Frauenquote so sein? | |
Arundhati Roy schüttelt über solche Fragen den Kopf. Die berühmte | |
Schriftstellerin kann den Optimismus der Quotenbefürworter nicht ertragen. | |
Sie hat Wichtigeres zu tun: Indiens "Krieg" gegen die Maoisten zu beklagen. | |
Vergangene Woche hielt sie in Neu-Delhi eine Pressekonferenz vor einem | |
Dschungel indischer Fernsehkameras. Sie beschwört und appelliert, sie gibt | |
eine Glanzvorstellung, ihre Bilder sind später überall in den Medien. | |
Sie fordert Sympathie mit Indiens Ureinwohnern, denen nur noch die Maoisten | |
helfen würden, ihre Wälder vor dem Angriff der großen Rohstoffkonzerne zu | |
schützen. Das Frauenthema scheint sie nicht zu interessieren. "Frauen hat | |
es in der indischen Politik schon immer gegeben. Sie waren alle keine | |
Feministinnen. In Wirklichkeit übersieht man, dass Indiens demokratisches | |
System - egal ob Männer oder Frauen es führen - heute mithilfe der großen | |
Unternehmen gegen die Armen arbeitet", sagt Roy, die | |
Kapitalismuskritikerin. | |
Alle drei Roys haben Vorbehalte und Kritik. Alle drei sind mächtige, | |
einflussreiche Frauen. Von ihnen wird es in Indien bald mehr geben - erst | |
recht, wenn die Quote kommt. | |
18 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Georg Blume | |
## TAGS | |
Indien | |
Indien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ländliche Zeitung von Frauen in Indien: Gegen alle Widerstände | |
Frauen aus marginalisierten Gruppen machen in Indien die feministische | |
Zeitung „Khabar Lahariya“. Sie berichten über Themen, die andere | |
tabuisieren. | |
Streit ums Kastenwesen in Indien: Vom Segen des Rückständigen | |
Die einflussreichste Kaste in Gujarat will als „rückständig“ gelten. Das | |
bringt Geld. Ministerpräsident Modi ist das peinlich. | |
Gleichberechtigung in Spitzenpositionen: Mehr Chefinnen nur durch Zwang | |
Sollen mehr Frauen ins Topmanagement, muss dies per Gesetz vorgeschrieben | |
werden. Das zeigen die Erfahrungen in Norwegen. Nur: CDU-Ministerin | |
Schröder zögert. |