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# taz.de -- Prozess gegen Khaled El Masri: Verschleppt und für immer gefangen
> Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen Khaled El Masri - weil er den
> Neu-Ulmer Oberbürgermeister schlug. Eigentlich ist er ein Opfer von CIA
> und deutscher Stammtischpresse.
Bild: Da hoffte er noch auf Gerechtigkeit: 2008 klagte Khaled El Masri wegen se…
Am Ende blieb ihm nichts. Als die CIA den libanesischstämmigen Khaled El
Masri 2003 verschleppte und monatelang folterte, verlor er die Freiheit.
Als er in Deutschland keine Entschuldigung seiner Regierung für ihre
Mitwisserschaft und Untätigkeit bekam, verlor er die Gewissheit, zu dieser
Gesellschaft dazuzugehören. Als alle Instanzen der US-Gerichtsbarkeit
seiner Schadensersatzklage gegen die CIA ablehnten, verlor er das Vertrauen
in die Justiz. Als die Bild-Zeitung ihn als kriminellen, mutmaßlichen
Lügner und "angebliches CIA-Opfer" verhöhnte, verlor er seine Würde. Als
die Bundesregierung sich weigerte, die internationalen Haftbefehle der
Staatsanwaltschaft München gegen dreizehn CIA-Agenten energisch
weiterzuverfolgen, verlor er den Glauben daran, dass das noch Zufälle sein
könnten. Und als er am 11. September 2009 ins Büro des Oberbürgermeisters
von Neu-Ulm stürmte und ihn schlug, verlor er, nicht zum ersten Mal seit
seiner Entführung, die Kontrolle.
Khaled El Masri ist ein Opfer. Und er ist ein Täter geworden. Am Donnerstag
beginnt der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht Memmingen, weil er den
Oberbürgermeister Gerold Noerenberg prügelte. Warum er ihn geschlagen hat,
weiß nur El Masri selbst. Er schweigt. Selbst sein Anwalt hat seit Monaten
keinen Kontakt mehr zu ihm.
Khaled El Masri hat viele Feinde. Ob die Geheimdienste, von denen er sich
unablässig verfolgt fühlt, wirklich noch dazugehören, ist nicht
nachzuweisen. Sicher ist hingegen, dass Bild-Zeitung und Lokalpresse ihm
und seiner Familie den Kampf angesagt haben. "Wie wurde aus diesem
Libanesen eigentlich ein Deutscher?", fragte die Bild im Dezember 2006.
Damals beschäftigte die illegale Entführung El Masris in afghanische
CIA-Geheimgefängnisse gerade einen Untersuchungsausschuss des Bundestages,
der klären sollte, zu welchem Zeitpunkt die Regierung in Gestalt des
früheren Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier und des Innenministers
Otto Schily davon gewusst hatten. Beide haben sich bis heute nicht für ihr
damaliges Verhalten entschuldigt. Und sie haben El Masri auch nicht gegen
die Angriffe der Bild in Schutz genommen, die ihn als jemanden vorstellte,
der sich qua Scheinehe die deutsche Staatsbürgerschaft ergaunert habe und
dessen "Entführungsgeschichte" höchst unglaubwürdig sei.
Die Bild legte nach. Im Mai 2007, als El Masri in offenbar zunehmender
Verwirrung einen Elektromarkt angesteckt hatte, schrieb die Redaktion der
größten deutschen Zeitung: "Dieser Mann empört ganz Deutschland: Der
Deutsch-Libanese Khaled al-Masri (43). Monatelang terrorisierte der
Islamist als angebliches CIA-Folteropfer die Bundesregierung, Parlament und
Öffentlichkeit! Nun stellt sich raus: Al-Masri ist ein durchgeknallter
Schläger, Querulant und Brandstifter. Auch ein Lügner?"
Da hatten alle Gerichte längst festgestellt, dass die Schilderung El Masris
über seine Entführung nahezu erschreckend akkurat ist. Aber die Bild
legitimierte die Hetzfrage wohl durch ein vermutetes Volksempfinden: So
einer kann doch kein Deutscher sein! Und eigentlich kein Opfer. Irgendwas
an ihm wird faul sein.
Wer immer sich je mit der Traumatisierung von Opfern von Gewaltverbrechen,
erst recht solchen im staatlichen Auftrag, beschäftigt hat, der weiß,
welche Schäden solche Art von Berichterstattung bei den Betroffenen
anrichten. Wenn das Unrecht, das die Opfer erlitten haben, auch noch gegen
sie verwendet wird, verlieren sie jeden Boden unter den Füßen.
Seit seiner Freilassung durch die CIA ist El Masri mehrfach ausgerastet. Er
fühlte sich bedroht und bedrohte andere. Einmal verprügelte er einen Lehrer
der Dekra, wo er eine Fortbildung zum Lkw-Fahrer absolvierte. Dann legte er
in dem Metro-Markt Feuer, weil er sich wegen eines defekten MP3-Players
geärgert hatte. Haftstrafen, zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich der
Überfall auf den Neu-Ulmer Oberbürgermeister, dessen Motiv bis heute im
Unklaren liegt, und seither Untersuchungshaft in Kempten. Machte El Masri
den Lokalpolitiker für seine Entführung verantwortlich? Gibt es überhaupt
solch ein nachvollziehbares Motiv?
Eine schützenswerte Privatsphäre scheint in den Augen der lokalen Presse
auch El Masris Familie nicht zu haben. Ein Rechtsstreit von El Masris Frau
Aischa, die mit den sechs Kindern der Familie in einem Mietshaus in Senden
lebt, und der Vermieterin fand dieser Tage in allen Einzelheiten Eingang in
die Berichterstattung der Augsburger Allgemeinen. Es ging um Drohbriefe El
Masris an die Vermieterin und um Kinderlärm. Das Verfahren endete mit einem
Vergleich - ein recht gewöhnlicher Vorgang. Die Zeitung hingegen zeigt sich
mit dem Anwalt der Vermieterin erstaunt, dass der Staat im Wege der
Prozesskostenhilfe die Kosten des Verfahrens für die Hartz-IV-Empfängerin
übernimmt, deren Mann in Untersuchungshaft einsitzt. Schließlich beziehe
sie monatlich rund 2.500 Euro Hartz IV für sich und die Kinder.
Seit El Masri von der CIA freigelassen wurde, kann er in Deutschland stets
dasselbe lernen. Er wird nie dazugehören, man wird ihm immer misstrauen.
Schlechte Voraussetzungen, um Traumatisierung und Verfolgungsangst zu
heilen. Aber ausrasten, darüber wacht die deutsche Gesellschaft dann schon,
darf er natürlich nicht. Denn dafür kommt man ins Gefängnis.
20 Mar 2010
## AUTOREN
Bernd Pickert
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