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# taz.de -- Montagsinterview: Der unkoshere DJ: "Ich bin Jude und mache Witze �…
> Aviv Netter ist schwul, aus Tel Aviv und liebt jüdische Musik. Der
> Veranstalter der "Berlin Meschugge"-Parties provoziert gern mit
> Davidstern und Schweinsfigürchen. Das Berliner Partypublikum liebt ihn
> dafür.
Bild: Achtung, Juden in der Loreley: DJ Aviv in seiner mit neojüdischen Partyf…
taz: Herr Netter, Sie veranstalten jeden Monat die jüdische Partyreihe
"Berlin Meschugge". Was ist daran jüdisch?
Aviv Netter: Gute Frage. In Israel war das Jüdischsein für mich kein Thema.
Dort ist es ziemlich leicht, Jude zu sein. Ich glaube nicht an Gott und
folge keinerlei jüdischen Glaubensritualen. Seitdem ich hier in Berlin
lebe, frage ich mich aber dauernd: Was macht mich eigentlich zum Juden?
Was denn?
Nach religiösen Gesichtspunkten bist du nur Jude, wenn deine Mutter Jüdin
ist. In Israel ist die Diagnose aber ganz einfach: Wenn Hitler dich
umgebracht hätte, bist du ein Jude. Der israelische Staat verleiht dir die
Staatsbürgerschaft also auch, wenn du einen jüdischen Opa hast, denn damit
hätte man dich in Nazideutschland auch umgebracht. So sind die Gesetze.
Aber ich will nicht, dass Nazideutschland für mich entscheidet, ob ich Jude
bin.
Was macht Sie also zum Juden?
Ich glaube, ich bin aus kulturellen Gründen Jude. Das merke ich an kleinen
Dingen: wie sich meine Finger bewegen, wenn ich Klezmer höre. Oder die
traditionellen Speisen esse, mit denen ich aufgewachsen bin. Die
Bibelgeschichten, die ich in der Schule gehört habe. Das hat mich geprägt,
obwohl ich aus einer absolut nichtreligiösen Familie komme.
In Berlin merkten Sie also, dass Sie jüdischer sind, als Sie bisher gedacht
hatten?
Ja, in Berlin nannte man mich plötzlich jüdisch. "Berlin Meschugge" ist
eine neojüdische Party - wir sagen, wir wissen, was jüdisch und koscher,
ist und können trotzdem Witze über Schweine machen. Das ist lustig - und
neu. Auf meinen ersten Flyer druckte ich ein Schwein …
… neben einem Davidstern und einer israelischen Flagge.
Ja, ich finde, es ist okay, Witze über Dinge zu machen, die für
traditionelle Menschen etwas sensibler sind. Es ist okay, zu tanzen,
gemischt mit Mädchen und Jungs, und es ist okay, schwul zu sein. So sehe
ich das Jüdischsein heute. Und so sehen es auch viele andere junge Israelis
aus Tel Aviv. Dieses neue Gesicht des Jüdischseins wollte ich nach Berlin
bringen. Erst war es ein Experiment: Wir dachten, wir probieren mal aus,
einen Abend lang nur jüdische Musik zu spielen. Traditionellen Klezmer,
etwas Ofra Haza und neue Clubmusik. Das Resultat war überwältigend. Es gibt
ein riesiges Interesse an jüdischer Kultur, vor allem bei jungen Deutschen
in meinem Alter.
Was hat Sie nach Berlin verschlagen?
Zunächst der Zufall. Ich war in Tel Aviv bei der linken Partei Meretz aktiv
und zuständig für queere Themen. Die SPD lud uns ein, an einem
Jugendseminar irgendwo in Brandenburg teilzunehmen. Ich kam ohne
Erwartungen - und verliebte mich sofort in Berlin. Nachdem ich zweimal als
Tourist hier gewesen war und in Israel nach dem Auspacken sofort wieder an
die nächste Berlinreise dachte, wurde es Zeit umzuziehen.
Wie hat Ihre Familie reagiert, als sie von Ihrem Umzug nach Berlin erfahren
hat?
Für meine Familie ist es bis heute nicht leicht mitzuerleben, wie ich
Deutschland immer näherkomme. Deutschland war bei uns zu Hause nie ein
beliebtes Thema, wie in sehr vielen israelischen Familien. Die Gründe dafür
liegen auf der Hand.
Der Holocaust?
Ja. Aber über dieses Thema möchte ich lieber nicht öffentlich sprechen. Ich
will meine Familie nicht verletzen.
Seit ein paar Jahren kommen viele Touristen aus Israel nach Berlin,
besonders junge Leute. Warum ist das so?
Ich glaube, die Israelis entdecken Berlin seit ein paar Jahren. Die alte
Generation stirbt aus, was den jungen Israelis mehr Bewegungsfreiheit gibt.
Es gibt keine Gründe mehr, nicht hierherzukommen. Berlin ist eine tolle
Stadt, sie muss entdeckt werden!
Was lieben Sie denn so an der Stadt?
Ganz besonders Mitte und den Rosenthaler Platz. Aber eigentlich liebe ich
alles. Klar, der Winter ist hart. Wenn man wie ich abends im Dunkeln aus
dem Haus geht, morgens um sechs heimkommt, wenn es noch dunkel ist, dann
muss man um drei nachmittags aufstehen, um wenigstens anderthalb Stunden
Sonne abzukriegen. Das ist ein Minus. Aber Berlin gibt einem so viel
zurück. Es gibt ja diesen Slogan "I love New York". Hier habe ich mal so
ein touristisches T-Shirt gesehen mit "Berlin loves you". Ich liebe das
Leben in dieser Stadt, besonders das schwule Nachtleben.
Sie stammen immerhin aus Tel Aviv - auch eine Hochburg des schwulen
Nachtlebens …
In Tel Aviv sind einfach alle schwul! Die Erklärung dafür ist einfach:
Israel hat sieben Millionen Einwohner, und drum herum sind: Syrien,
Jordanien, die palästinensischen Gebiete, Ägypten, Iran, Irak. Wo soll man
da als Schwuler hin? Tel Aviv ist nicht nur die einzig liberale Stadt in
Israel, sondern im gesamten Mittleren Osten. In Deutschland gibt es 80
Millionen Einwohner. Und so viele tolle liberale Städte drum herum,
zwischen denen man außerdem wählen kann: Paris, Barcelona, London …
Was ist nun das Besondere am schwulen Nachtleben Berlins?
Die Szenen vermischen sich: Ob schwul oder hetero ist an vielen Orten egal.
Meine Partys hießen anfangs Jewqueer Nights, jetzt nur noch Jewish Nights.
Denn ich bin schwul, der Barkeeper ist schwul, und fast jeder, der dort
arbeitet, ist schwul. Aber ich nenne die Partys nicht schwul. Etwa 30
Prozent meiner Gäste sind Frauen, es kommen viele aus der jüdischen
Community, Heteromänner, Israelfans aus der linken Szene. Oder Schwule, die
auf Israelis stehen.
Hatten Sie jemals Ärger wegen des jüdischen Partymottos?
Überraschenderweise nie. Nachdem uns das Magazin Tip zu unserem
zweijährigen Jubiläum eine Titelgeschichte widmete, forderte ich Security
an. Ich hatte mit Stress gerechnet, und alle rieten mir, vorsichtig zu
sein. Aber nichts passierte - zum Glück bis heute nicht. Auf der Website
bekomme ich gelegentlich antiisraelische oder auch antisemitische
Kommentare, aber selten. Bei "Berlin Meschugge" geht es um Kultur, nicht um
Politik. Die Leute scheinen das zu kapieren. Die Berliner Polizei war
übrigens noch nie da. Gut so - ich würde das nämlich nicht wollen.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Polizisten vor jüdischen Einrichtungen
und Geschäften sehen?
Es ist sehr traurig, das zu sehen. Wir können nicht einmal einen Buchladen
eröffnen, ohne eine Zielscheibe zu sein. Vor Restaurants anderer
Minderheiten stehen keine Polizisten. Natürlich würde ich mir wünschen,
dass es anders wäre. Aber so ist die Welt.
Haben Sie Kontakt mit der Jüdischen Gemeinde in Berlin?
Ich war ein paar Mal bei Veranstaltungen; man hatte mich eingeladen, auf
der letzten Chanukka-Party aufzulegen. Das war nett. Aber ich muss sagen,
dass ich mich nicht zugehörig fühle. Die Mentalität ist zu verschieden.
Hat das mit dem Alter zu tun?
Nein, in der Jüdischen Gemeinde sind jede Menge junger Leute aktiv. Vor
Kurzem habe ich mich mit einer jungen Frau unterhalten, die nach Israel
reisen wollte, wir haben Hebräisch gesprochen. Um am Schluss sagte sie:
"Ich bin auch Jüdin, gib mir doch deine Telefonnummer, damit wir in Kontakt
bleiben können." Ich hab ihr die Nummer gegeben, aber ich dachte: Für mich
ist das Jüdischsein allein keine Basis, Freunde zu werden. Obwohl ich hier
auch viele Freunde aus Tel Aviv habe.
Haben Sie hier angefangen, irgendwelche jüdischen Rituale zu pflegen?
Ich habe darüber nachgedacht. Aber es lief immer auf einen Punkt heraus:
Ich glaube einfach nicht an Gott! Die religiösen Juden versuchten, mir
gewisse Vorschriften rational näherzubringen: Es sei gut für den Magen,
Milchiges und Fleischiges zu trennen. Aber wenn man nicht glaubt, hilft
alles nicht. An Chanukka zünde ich immerhin Kerzen an. Und einmal im Monat
feiere ich meine Kultur mit der "Meschugge-Party". Am Schabbat bin ich
meistens voll fertig, weil wir da Partys machen. Aber mein Schabbat ist
montags!
Sind Sie Teil einer neuen Generation von Juden, die "einfach nur eine
Minderheit unter vielen" sein wollen, wie es kürzlich in der Wochenzeitung
Zeit stand?
Ich möchte meine Herkunft nicht verleugnen, aber auch keine Privilegien
oder gar Sonderrechte bekommen. Von diesen ganzen Verkrampfungen ist im
täglichen Umgang mit anderen Berlinern aber auch nichts zu spüren. Thomas
zum Beispiel, mit dem zusammen ich die "Citiboy"-Partys veranstalte, kommt
aus einer deutschen Adelsfamilie, sein Opa war bei der Wehrmacht. Wir
machen darüber sogar Witze. Wir 20- bis 30-Jährigen gehen sehr viel
entspannter mit dem Thema um als die Älteren. Ein etwa 45-jähriger
Deutscher erzählte mir mal, dass er sich als deutscher Israeltourist dort
sehr unwohl gefühlt habe. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Ich fühle
mich als Israeli in Berlin ja auch kein bisschen komisch. Obwohl: Wenn wir
im Zug sitzen und gegenüber sitzt so ein ganz alter Deutscher, dann
tauschen wir schon mal Blicke aus, denken: Was der wohl im Krieg gemacht
hat? Aber das sind einzelne Momente.
Haben Sie manchmal Angst, der lustige Partyjude zu werden, der den Leuten
Spaß bringt - statt schlechtem Gewissen?
Die Gefahr eines Etiketts besteht. Im ersten Jahr in Berlin hatte ich
Probleme, DJ-Aufträge zu kriegen. Überall war ich nur der Typ, der jüdische
Musik auflegt. Aber aus der Ecke bin ich rausgekommen, nicht zuletzt mit
den "Cityboy"-Partys. Dort spiele ich einfach elektronische Musik.
Natürlich bin ich für die Medien vor allem wegen dieser jüdischen
Geschichte interessant, aber das ist okay. Und ich will meinen Hintergrund
ja auch nicht verhehlen: Ich bin stolz darauf, Israeli und Jude zu sein.
Aber warum fragen Sie mich eigentlich nicht nach Politik?
Sollten wir?
Unbedingt. Noch vor ein paar Jahren war die Politik mein Leben. Einer der
Gründe, warum ich Israel verlassen habe, war Frustration darüber, wie man
politische Probleme dort löst. Ich war irgendwann sehr müde von der
Politik. Hier gehe ich auch zu Demonstrationen und verfolge Debatten. Aber
ich bin irritiert über die Haltung der deutschen Linken zum Nahostkonflikt.
Sie unterscheidet sich sehr von der Position der israelischen Linken.
Inwiefern?
Die Linke in Deutschland besteht aus einem Korb politischer Ideen zu Themen
wie Umweltschutz, Arbeit, Sozialem. In Israel kreist die gesamte Politik
aller Parteien um den Nahostkonflikt. Es ist das bestimmende politische
Thema. Die Position der Linken in Israel ist folgende: Sie ist für Frieden,
gegen die Siedler, gegen die Mauer. Wir sind aber eine Minderheit. Meine
Partei verlor mit jeder Wahl mehr Stimmen. Wir hatten mal 10 Prozent der
Parlamentssitze, jetzt sind es weniger als 3 Prozent. Ich habe die
politische Niederlage viel zu persönlich genommen und einen hohen Preis für
mein politisches Engagement bezahlt. Für meine Familie war es schwierig,
mit meinen Ansichten zu leben. Für sie war es viel problematischer, dass
ich den Wehrdienst verweigert habe, als dass ich schwul bin.
Wie hat sich Ihre Einstellung denn hier in Deutschland geändert?
Die hat sich nicht geändert: Ich war und bin für das sofortige Ende der
Besatzung. Womit ich aber Probleme habe, sind ein paar Positionen, die hier
in linken Kreisen üblich sind. Bei einer Demonstration für Frieden im Nahen
Osten sah ich Transparente mit Hisbollah-Führern darauf. Und ein Bild des
israelischen Premiers, dem Blut aus den Mundwinkeln läuft wie einem Vampir.
Das fand ich wirklich hart! Beim Diskutieren zeigte sich: Viele, die da
mitlaufen, haben keine Ahnung vom Nahostkonflikt, sie finden die umkämpften
Gebiete nicht mal auf der Landkarte. Aber sie finden es cool, gegen Israel
zu sein.
Finden Sie das antisemitisch?
Manchmal schon. Aber vor allem finde ich es unpolitisch. Da werden
verschiedene Dinge vermischt. Auf meiner Facebook-Seite finde ich manchmal
Kommentare wie: "Jüdische Party? Befreit erst mal Palästina, dann sehen wir
weiter." Was hat das damit zu tun, dass ich jüdische Musik in Berlin
spielen will?
28 Mar 2010
## AUTOREN
Nina Apin
Kathleen Fietz
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