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# taz.de -- Arbeitsbedingungen in der Biobranche: Ein Ökokapitalist sahnt ab
> Alnatura hat seinen Umsatz um 18 Prozent gesteigert. Statt Tariflöhne
> bekommen die Mitarbeiter Yoga-Kurse. Der Chef meint, das genüge. Ver.di
> meint: "Fair" sieht anders aus.
Bild: Verkauferin in einem Darmstädter Alnatura-Supermarkt: Die Bezahlung sei …
BERLIN taz | Götz Rehn eröffnet gerade die bundesweit 54. Filiale seiner
Biomarktkette Alnatura. Im Bergmannviertel des Berliner Bezirks Kreuzberg.
Hier wird schon lange mehrheitlich Grün gewählt, man hat Geld - ein
Traumstandort für einen Ökomarkt. Unzählige Scheinwerfer tauchen den 600
Quadratmeter großen Laden in gleißendes Licht, alles ist sauber, geräumig
und gediegen. Rehn spricht vor geladenen Gästen über das Wachstum der
Biobranche, das gut für Mensch und Umwelt sei.
Alnatura jedenfalls floriert. Im Geschäftsjahr 2008/2009 nahm Deutschlands
größter Ökofilialist 361 Millionen Euro ein - 18 Prozent mehr als im
Vorjahr. Über den Gewinn schweigen sich die Hessen aus, aber dass es einen
gibt, ist unstrittig. Dennoch werden die Mitarbeiter oft schlechter als
ihre Kollegen in konventionellen Läden bezahlt. Obwohl das 26 Jahre alte
Unternehmen mit mehr als 1.300 Beschäftigten etabliert ist, akzeptiert es
wie offenbar alle anderen Biohändler auch immer noch nicht die
Tarifverträge mit ihren teils höheren Löhnen (die taz berichtete). Mehr als
zwei Drittel des Personals im deutschen Einzelhandel werden laut
Branchenverband HDE nach Tarif bezahlt. Das an der anthroposophischen
Weltanschauung ausgerichtete Unternehmen Alnatura wirbt jedoch wie viele
Ökofirmen u. a. damit, "fair mit unseren Partnern in Produktion und Handel"
zusammenzuarbeiten.
Rehn - 60 Jahre, weißgraue Haare unterhalb der Glatze, ruhige, tiefe
Stimme, "Prof. Dr." auf dem Namensschild - ist Gründer, Geschäftsführer und
alleiniger Eigentümer von Alnatura. "Uns war es wichtig, sehr stark den
Leistungsbezug zu beachten", antwortet der Biopatriarch in einem Interview
der taz am Rande der Eröffnungsparty auf die Frage, warum er nicht nach
Tarifvertrag zahlt. Junge Mitarbeiter, die besonders schnell aufsteigen,
wolle Alnatura höher entlohnen, als die Tarifkonditionen es vorsähen.
Das mag sich unverfänglich anhören. Aber in Wirklichkeit verbietet
natürlich kein Tarifvertrag, einen Beschäftigten höher zu bezahlen. So
argumentiert auch Peter Henlein, Betriebsrat bei Basic, der drittgrößten
Biosupermarktkette. Alnatura-Chef Rehn braucht die Flexibilität eben vor
allem, um den Leuten weniger als Tarif zu überweisen.
Tarif 33 Prozent höher
Der niedrigste Lohn beträgt nach seinen Angaben auf die Stunde umgerechnet
7,50 Euro. Das liegt 16 Prozent unter dem geringsten Gehalt, das die
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) und der Arbeitgeberverband im
Tarifvertrag für die Hauptstadt festgelegt haben. Für die anderen
Gehaltsgruppen nennt Rehn lediglich Mittelwerte, die sich schwer mit den
Tariflöhnen vergleichen lassen. Er wisse nicht, wie viele Beschäftigte ein
Gehalt mindestens in Höhe des Tarifs bekommen, sagt der Chef.
Die Verkäuferin, die an der Kasse der Kreuzberger Filiale sitzt und sich um
die Abteilung für Milchprodukte kümmert, erhält auf jeden Fall weniger:
9,73 Euro pro Stunde. Gemäß Tarifvertrag müsste sie mit ihren
Berufserfahrung mindestens 12,98 Euro verdienen - also 33 Prozent mehr.
Selbst wenn man die Extraleistungen Gewinnbeteiligung, Urlaubs- und
Weihnachtsgeld einbezieht, geht die Alnatura-Kassiererin für die gleiche
Arbeit mit rund 19 Prozent weniger Geld nach Hause als eine nach Tarif
bezahlte. Immerhin: Ihre Schichtleiterin im ersten Berufsjahr verdient 2
Prozent mehr als Tarif: 12,14 Euro pro Stunde. Lehrlinge bekommen laut Rehn
200 Euro mehr im Monat als im Tarifvertrag vorgesehen.
Unzufrieden wirkt auch die schlechter entlohnte Alnatura-Kassiererin nicht.
"Bei dem Discounter, wo ich früher gearbeitet habe, war die Bezahlung
besser. Aber das Klima war sehr unkollegial, und es gab Mobbing. Bei
Alnatura nicht", sagt sie. Gut findet die Verkäuferin außerdem das
Seminarprogramm, das die Kette ihren Beschäftigten bietet. Darauf hebt auch
ihr Firmenchef Rehn gern ab. "Wir haben eine Bieneninitiative. Wir haben
Theatergruppen. Wir haben einen Chor. Wir haben die Yoga-Gruppe. Wir haben
Winterseminare", zählt er auf. "Das bedeutet ja alles eine Erhöhung des
Gehalts." Sein Fazit: "Ich glaube, wir müssen uns da nichts vorwerfen
lassen."
Gewerkschafter Ulrich Dalibor ist anderer Meinung. "Keines dieser Goodys
kann eine so große Differenz zum Tarifgehalt wettmachen. Das scheint mir
kein fairer Kompromiss zu sein", erklärt der Leiter der
Ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel. Die Tarifverträge gäben den
Mitarbeitern auch einen Anspruch, den sie im Zweifelsfall vor Gericht
einklagen könnten. "Was nicht vertraglich vereinbart ist, kann schnell
verschlechtert oder abgeschafft werden von der Seite, die am längeren Hebel
sitzt. Und das sind die Arbeitgeber." Außerdem gebe es auch tarifgebundene
Unternehmen, die sich über das Obligatorische hinaus für ihre Mitarbeiter
engagieren.
Höhere Lohnzahlungen, meint Rehn dazu, seien aber bei den aktuellen
Biolebensmittelpreisen nicht möglich. Er redet dann von den vielen kleinen
Ökoläden, die "aus Idealismus" arbeiten. "Wenn man sich diese Läden
anschaut, kann man nicht den Eindruck haben, dass sie sich irgendwie
bereichern oder eine goldene Nase verdienen, sondern die Kunden lassen
nicht mehr zu." Ver.di lässt dieses Argument nicht gelten, schließlich
stelle sich die Biobranche mittlerweile genauso wie konventionelle
Unternehmen in großen Ketten auf. Tatsächlich ist Alnatura weder klein noch
unprofitabel, sondern das erfolgreichste Biohandelsunternehmen
Deutschlands.
Da kommt Rehn etwas ins Schwimmen. Er antwortet nicht direkt. Stattdessen
sagt er Sätze wie: "Wir machen nicht unser Unternehmen, um Gewinn zu
machen, sondern um einen Gewinn an Sinn in die Welt zu bringen." Alnatura
arbeite aus Idealismus. Der alleinige Alnatura-Gesellschafter betont, dass
es nicht um Profitmaximierung gehe: "Die gesamten Erlöse bleiben im
Unternehmen." Er bekomme natürlich ein Gehalt - wie hoch das ist, lässt er
aber offen.
Doch sollen Tarifverträge nicht auch die schwächere Position der
Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ausgleichen? "Der Schutz ist ja dann
notwendig, wenn die Menschen schutzbedürftig sind", meint Rehn. Bei
Alnatura seien die Bedingungen aber so gut, dass die Mitarbeiter diesen
Schutz nicht brauchten.
Deswegen hält er es auch nicht für nötig, einen Betriebsrat in seiner Firma
zu gründen. "Wir haben ein Unternehmen mit einer sehr flachen Hierarchie",
betont der Chef und ergänzt: "Wir haben eine Kultur der Selbstverantwortung
mit starken Persönlichkeiten. Und die Mitarbeiter gestalten ihr
Unternehmen."
Basic-Betriebsrat Henlein hat allerdings andere Erfahrungen gemacht. "So
gut kann ein Unternehmen gar nicht sein, dass es keinen Betriebsrat
braucht", sagt der Arbeitnehmervertreter. Firmen wie Basic oder Alnatura
hätten so viele Filialen und Mitarbeiter, dass die Unternehmensleitung ein
Sprachrohr der Beschäftigten brauche, um zu wissen, was an der Basis
passiere. Rehn wiederholt auf diesen Einwand hin im Wesentlichen nur, dass
Alnatura ja so flache Hierarchien habe.
Betriebsräte könnten natürlich auf Ideen kommen, die dem Firmenchef
überhaupt nicht passen. Etwa Tarifverträge durchzusetzen.
Genau daran arbeitet Basic-Mann Henlein gerade. Auch für das Unternehmen
wäre das ein Vorteil, meint der Arbeitnehmervertreter. Schließlich würden
immer mehr Biofirmen mit dem Label "fair" werben. Fair sollten seiner
Meinung nach aber nicht nur die Bedingungen etwa für Kaffeebauern in
Afrika, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Verkäufer in Deutschland
sein. "Wenn wir der erste Biolebensmittelhändler wären, wo Tarifbindung
erreicht würde, würde das das Image heben", meint Henlein.
Unter den derzeitigen Bedingungen könnte die Werbung mit dem fairen Image
aber auch wie ein Bumerang wirken. Ver.di-Funktionär Dalibor hält es für
"einen Bruch in der Glaubwürdigkeit", wenn Ketten wie Alnatura mit dem
Attribut "fair" werben, aber dann unter Tarif zahlten.
Zu einem Boykott der Biobranche, die ja etwa Bauern in Europa und
Entwicklungsländern höhere Einkommen beschert und die Umwelt entlastet,
ruft der Gewerkschafter die Verbraucher jedoch ausdrücklich nicht auf. Er
hat eine andere Forderung an die Konsumenten: "Sie sollten", sagt Dalibor,
"ihre Ansprüche bezüglich fairer Arbeitsbedingungen formulieren und das
dann auch den Unternehmen sagen."
29 Mar 2010
## AUTOREN
Jost Maurin
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