Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hamburger Bischöfin über Religion & Sinneslust: "Sexualität ist …
> Die Bischöfin Jepsen über die Schönheit der Sexualität, eine verkrampfte
> Körperlichkeit als Wurzel von Missbrauch und die Notwendigkeit eines
> offenen Umgangs mit Prostitution.
Bild: "Wir haben es nicht gelernt, über Sexualität zu reden.", Bischöfin Mar…
taz: Frau Jepsen, ist jetzt, wo auch in der evangelischen Kirche
Missbrauchsfälle bekannt geworden sind, bewiesen, dass Missbrauch mit dem
Zölibat nichts zu tun hat?
Maria Jepsen: Mein katholischer Bischofsbruder Jaschke aus Hamburg hat
gesagt, der Zölibat reizt vielleicht besondere Männer, den Priesterstand
anzustreben. Ich glaube aber nicht, dass der Zölibat und der sexuelle
Missbrauch direkt verbunden sind. Man kann den Zölibat sehr wohl leben. Und
wir haben ja - Gott seis geklagt! - auch glücklich verheiratete Männer, die
Kinder sexuell missbrauchen.
Finden Sie den Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Missbrauch
angemessen?
Ich glaube, das trifft auf die evangelische Kirche auch zu: Wir sind
überrascht, was geschehen ist. Wir als Gesellschaft insgesamt waren anfangs
zögerlich, weil wir es nicht gelernt haben, klar über Sexualität und
Sexualitätsmissbrauch zu reden.
Auch in der evangelischen Kirche?
Auch da. Bei uns ist es nicht so stark, weil wir schon früher die Frage der
Sexualität aufgenommen haben. Wir führen ja schon seit zwanzig Jahren
Debatten zum Thema Lebensformen, also Homosexualität oder dem Paragrafen
218, also dem Schwangerschaftsabbruch. Es ist auch so, dass Frauen mehr
dazu drängen, das Thema Sexualität anzusprechen. Es kommt nicht von
ungefähr, dass wir es als erste evangelisch-lutherische Bischöfinnen in den
ersten Jahren nicht leicht hatten, das Thema Homosexualität zu benennen,
oft gegen die kirchenleitenden Männer.
Sehen Sie in der christlichen Sexualmoral immer noch etwas
Körperfeindliches, oder würden Sie das nur für die katholische Moral sehen?
Im Lutherischen Weltbund spielt das Thema Homosexualität und Sexualität
insgeheim eine große Rolle. Es ist über Jahre nicht so thematisiert worden,
wie es hätte thematisiert werden müssen. Wir müssen Sexualität als eine
gute Gabe Gottes entdecken.
Das heißt?
Sexualität hat zu tun mit der Schönheit etwa dessen, was wir biblisch im
Hohen Lied der Liebe finden. Leider ist dies, was uns eigentlich mitgegeben
wurde, durch den körperfeindlichen Neuplatonismus der ersten christlichen
Jahrhunderte aus dem normalen Leben rausgenommen worden. Man hat alles
irgendwie sublimiert, in die Spiritualität gesteckt. Daran haben wir zu
arbeiten. Biblisch gesehen, betont die Sexualität die Ganzheitlichkeit des
Körpers.
Wie meine Sie das?
Es war etwa eine Fehlentwicklung, dass die Idee der Erbsünde an die
Sexualität gebunden und nur Jesus und Maria aus dieser Erbsünde
herausgenommen wurden, als sei Sexualität etwas Böses. Die Schönheit der
Sexualität, die haben wir nicht gelernt. Und das merken wir alle, wie
verkrampft wir damit umgehen.
Immer noch?
Ja, indem wir einerseits Sexualität in billigster Weise anbieten, also
käuflich bis dorthinaus, und sie gleichzeitig bloß nicht erwähnt wird. Wir
haben also nicht gelernt, die normale Sexualität in Verantwortung
wahrzunehmen. Wir haben heute keine richtige Ordnung mehr, auch nicht in
Fragen der Prostitution. Das wird ja heimlich gemacht, anstatt dass man
sagt, es gibt Bereiche, die sind einfach da.
Sie sprechen für Prostitution?
Ich spreche nicht gegen Prostitution. Ich setze mich dafür ein, dass
Prostitution als ein legaler und anerkannter Beruf da ist. Und dann sollen
die Leute auch dazu stehen. Beim Thema Prostitution wird alles heimlich
gemacht, deshalb kann da auch Menschenhandel stattfinden. Und alle leugnen,
dass sie zu Prostituierten gehen. Da muss man doch ehrlich sein. Es gibt
Menschen, die eine besondere Form der Sexualität leben wollen. Da sollen
die auch dazu stehen und sich nicht heimlich Frauen aus anderen Ländern als
Sklavin hierher holen oder in diese Länder gehen und sie dort ausbeuten -
und dann keine Verantwortung für sie tragen. Diese Männer leben ihre
Sexualität auf Kosten anderer Menschen. Es gibt da eine Ernsthaftigkeit,
die wir beim Thema Prostitution reinlegen müssen.
Haben Sie die Befürchtung, der massive Vertrauensverlust, der laut Umfragen
nun die katholische Kirche erschüttert, könnte auch die evangelische Kirche
treffen?
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Auch in
evangelischen Einrichtungen gab es ja Missbrauchsfälle. Wieder: Man muss
Sexualität ernst nehmen. Man sprach früher nicht darüber. Kinder und
Jugendlichen, die diese verbrecherische Form von Sexualität erlitten haben,
haben es nicht gewagt, darüber zu reden. Wenn wir ein normales Verhältnis
zur Sexualität gehabt hätten, wäre die Reaktion vielleicht anders gewesen.
Es ist ein Vertrauensverlust für uns alle.
3 Apr 2010
## AUTOREN
Philipp Gessler
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erzbischof Marx über katholische Kirche: "Unser Sterbeglöcklein bimmelt nicht"
Ein Gespräch mit Reinhard Marx, dem Erzbischof von München, über die
Missbrauchs-Skandale in seiner Kirche, das Zölibat, den Ökumenischen
Kirchentag und das Schöne am Protestantismus.
Prügel-Vorwürfe gegen Bischof Mixa: Ostern ohne frohe Botschaft
Der Augsburger Bischof Walter Mixa wehrt sich gegen die
Misshandlungsvorwürfe und will mit den Betroffenen reden. Doch die lehnen
ab
Gottesdienst für Missbrauch-Opfer: Österreichs Klerus tut Buße
Kardinal Schönborn zelebriert für die Opfer sexueller oder physischer
Gewalt durch Vertreter kirchlicher Institutionen einen Gottesdienst. Das
Schuldbekenntnis fällt deutlich aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.