| # taz.de -- Afghanistans Präsident droht USA: Die Marionette will nicht mehr | |
| > Der afghanische Präsident droht mit Widerstand gegen eine Nato-Offensive. | |
| > Der Westen wird sich an unfreundlichere Töne gewöhnen müssen. | |
| Bild: Ein Anruf von US-Außenministerin Clinton hat Afghanistans Präsident Kar… | |
| Der afghanische Präsident Hamid Karsai setzt seine Konfrontationspolitik | |
| gegenüber den USA fort. Auf einem Treffen mit 1.500 Stammesältesten in der | |
| Taliban-Hochburg Kandahar drohte er am Sonntag, die geplante Nato-Operation | |
| gegen die Aufständischen in der Region zu blockieren, wenn die Bevölkerung | |
| diese nicht befürworte. Afghanistan werde erst dann zur Ruhe kommen, wenn | |
| die Bevölkerung daran glaube, dass ihr Präsident unabhängig sei und „keine | |
| Marionette“. Die Nato plant derzeit die größte Offensive gegen die Taliban | |
| seit Beginn des Krieges in Afghanistan vor acht Jahren. | |
| Bereits vorige Woche hatte Karsai dem Westen und den Vereinten Nationen | |
| vorgeworfen, seine Regierung durch Korruptionsvorwürfe zu schwächen. „Sie | |
| wollen, dass das Parlament und ich als Präsident wirkungslos sind“, sagte | |
| er. Auf einem privaten Treffen mit Parlamentariern soll er laut dem Wall | |
| Street Journal sogar gesagt haben, er würde sich den Taliban anschließen, | |
| sollten die USA der Regierung in Kabul weiterhin vorschreiben, was sie zu | |
| tun habe. Diese Äußerungen dementierte ein Sprecher jedoch später. Am | |
| Montag war kein Vertreter seiner Regierung zu einer Stellungnahme bereit. | |
| Anscheinend ist Karsai nicht bereit, die in den vergangenen Monaten immer | |
| schroffer gewordenen Korruptionsvorwürfe der USA länger hinzunehmen. Der | |
| der Volksgruppe der Paschtunen, die über einen ausgeprägten Ehrenkodex | |
| verfügt, angehörende Präsident muss offenbar seine Ehre wiederherstellen, | |
| um überhaupt noch politisch relevant zu bleiben. Zugleich ist er schon seit | |
| Längerem dabei, seine Machtbasis zu afghanisieren. Wenn der Abzug der | |
| ausländischen Truppen droht, bleibt Karsai nicht viel übrig, als darauf zu | |
| hoffen, die Aufständischen auf seine Seite bringen zu können. Denn besiegen | |
| kann er sie allein mit der Afghanischen Nationalarmee nicht. | |
| In der bevorstehenden Großen Ratsversammlung will er die Taliban und den | |
| abtrünnigen Warlord Gulbuddin Hekmatjar in seine Regierung holen. Ein | |
| Abkommen mit Hekmatjar scheint in greifbarer Nähe. Wie die Taliban fordert | |
| dieser den Abzug der ausländischen Truppen. | |
| Unter Afghanen verfehlte Karsais Rede ihre Wirkung nicht. Auf | |
| Internetseiten wie Facebook finden sich hunderte von Einträgen wie | |
| folgender von Abdullah Kausar: „Bravo, Herr Karsai. Wir sind stolz auf | |
| diese mutige Rede. Weiter so!“ Doch es gibt auch Stimmen, die darauf | |
| hinweisen, dass Afghanistan auf das Geld des Auslands angewiesen sei. | |
| Ein Telefonanruf von Außenministerin Hillary Clinton am Freitag hat Karsai | |
| offenbar nicht von seiner neuen Linie abbringen können. Der Sprecher von | |
| US-Präsident Barack Obama, Robert Gibbs, nannte Karsais Äußerungen einen | |
| „Anlass zu echter Sorge“. Der Sprecher des Außenministeriums Robert Crowley | |
| hingegen tat sie als „angeberisch“ ab. | |
| Die Afghanistanexpertin Martine van Bijlert vom unabhängigen „Afghan | |
| Analysts Network“ vermutet, dass Karsai vor allem auf das Parlament zielt, | |
| das in der vergangenen Woche ein neues Wahlgesetz verabschieden sollte, das | |
| es dem Präsidenten in Zukunft erlaubt hätte, alle Vertreter der | |
| „unabhängigen“ Wahlkommission selbst zu ernennen. Dabei haben die Vertreter | |
| der internationalen Gemeinschaft offenbar enorm Druck auf die | |
| Parlamentarier ausgeübt, das Gesetz abzulehnen. Mit Erfolg. „Diese | |
| Situation wird schwer zu entschärfen sein“, sagt van Biljert. Die | |
| internationale Gemeinschaft sei nicht in der Lage gewesen, den Wahlbetrug | |
| im vergangenen Jahr zu verhindern, und werde ihrerseits der Manipulation | |
| beschuldigt. | |
| Das wird auch in den USA so gesehen. Alex Thier vom US Institute for Peace | |
| weist darauf hin, dass „Karsai der Präsident von Afghanistan ist - solange | |
| keine drastischeren Mittel angewandt werden“. Und die wären wohl unter der | |
| derzeitigen Strategie Washingtons, die auf einen mittelfristigen | |
| Truppenabzug aus Afghanistan zielt, noch schwerer durchzusetzen. Entweder | |
| müssten sich die USA stärker in Afghanistan einmischen - was sie nicht | |
| wollen. Oder sie müssten Karsai mit einem Truppenabzug drohen, um ihn zur | |
| Räson zu bringen - was sie nicht können. | |
| Im Westen wird man sich daher wohl an unfreundlichere Töne aus Kabul | |
| gewöhnen müssen. Kurzfristig hat Deutschland davon zumindest profitiert. In | |
| der Aufregung um Karsais Rede ist der Tod von sechs afghanischen Soldaten | |
| durch „Friendly Fire“ der Bundeswehr in Kundus am Wochenende fast | |
| untergegangen. Leichter wird es dadurch auch für Deutschland nicht. | |
| 6 Apr 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Britta Petersen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
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