# taz.de -- Umsturz in Kirgisistan: Flucht unter Kirschbäume | |
> Der nach dem Umsturz aus der Hauptstadt Bischkek geflohene kirgisische | |
> Präsident Kurmanbek Bakijew lehnt seinen Rücktritt ab und will mit den | |
> Putschisten verhandeln. | |
Bild: In Kirgisistan werden die Opfer des blutigen Umsturzes zu Grabe getragen. | |
DSCHALALABAD taz | Eine Jurte steht zwischen blühenden Kirschbäume. Darin | |
sitzt, frisch rasiert und in einem grauen Anzug, der aus Bischkek geflohene | |
kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew in einem grünen Sessel. Der | |
Handdruck ist weich. "Ich bin nach wie vor der Präsident Kirgisiens", sagt | |
Bakijew mit sanfter Stimme. Daran habe sich bisher nichts geändert. "Ich | |
kann entweder selbst zurücktreten oder nur vom Parlament abgesetzt werden", | |
erklärt Bakijew. Beides sei bisher nicht geschehen. | |
Das Stadtviertel, in das sich der Präsident und seine nahen Verwandten | |
zurückgezogen haben, liegt kaum einen Kilometer vom Gouverneurssitz in | |
Dschalalabad, im Süden Kirgistans, entfernt. Umgedrehte Betonstelen | |
blockieren die Straßen und eine Handvoll Männer in Trainingsanzügen, mit | |
Kalaschnikows und Funkgeräten bewaffnet, bewachen die Zufahrten. | |
Die kirgisischen Jungmänner sind unrasiert, ihre Augen sind gerötet. Ein | |
stämmiger Mann in dunkelblauem Sportdress um die 30 Jahre befehligt die | |
Wachmannschaften und in seinem müden Gesicht fand sich die Ähnlichkeit mit | |
Bakijew, den am Dienstag die blutige Straßenrevolte aus dem Amtssitz in der | |
kirgisischen Hauptstadt Bischkek geworfen hatte. Seither ist der | |
kirgisische Präsident auf der Flucht im Süden des vom Tienshan Gebirges | |
geteilten zentralasiatischen Landes an der chinesischen Grenze. | |
Seit dem Zerfall der Sowjetunion ringen die Klaneliten um Einfluss und | |
Macht in dem bitterarmen Land mit knapp fünf Millionen Einwohnern. Das mit | |
Schnee und Gletschern bedeckte Gebirge trennt den wirtschaftlich stärkeren | |
Norden von dem ärmeren Süden. Das unruhige zentralasiatische Land ist von | |
geostrategischer Bedeutung, die Amerikaner unterhalten am Flughafen in | |
Bischkek eine Luftwaffenbasis für den Krieg in Afghanistan, und auch | |
Russland zeigt in Kirgisien militärische Präsenz. | |
"Ich bin aus Bischkek geflohen, um meine Sicherheit und die des Landes zu | |
retten", sagt Bakijew. Denn wäre er in der Hauptstadt getötet worden, wäre | |
ein Bürgerkrieg unvermeidbar gewesen. Der gestürzte kirgisische Präsident | |
stammt ursprünglich aus der südkirgisischen Stadt Dschalalabad, wo er jetzt | |
Zuflucht gesucht hat. "Ich bin nach Dschalalabad zurückgekehrt, um von hier | |
über die Zukunft des Landes zu verhandeln", sagt er. Ein Kreis schließt | |
sich. Vor fünf Jahren nahm die sogenannte Tulpenrevolution in Dschalalabad | |
ihren Anfang und trug den jetzt Flüchtigen in den aus weißem Marmor | |
errichteten Präsidentenpalast nach Bischkek. | |
Bakijews damalige Mitstreiter sind heute seine erbitterten Gegner. Sie | |
werfen ihm vor, die Tulpenrevolution verraten zu haben und die Reichtümer | |
des Landes an seine Familie zu verteilen. Die Opposition machte sich den | |
wachsenden Unmut der Bevölkerung zunutze. Als Präsident erhöhte Bakijew | |
massiv die Preise für Strom und Telefon und drehte an der Steuerschraube. | |
Als eine der ersten Amtshandlungen setzte die provisorische Regierung alle | |
Preiserhöhungen aus. Aber Bakijew ist überzeugt, dass dies nichts mit der | |
Revolution zu tun habe. "Wir stehen ökonomisch und politisch besser da, die | |
Opposition hat dem Land nichts zu bieten", sagt der Präsident. | |
Bei der Revolte ist Blut geflossen. Zum Schutz des Präsidentenpalastes | |
hatten Sicherheitskräfte am Dienstag in Bischkek in die vorrückende Menge | |
geschossen. Mehr als 60 Menschen sollen dabei getötet wurde sein. Schanisch | |
Bakijew, einer der Brüder des Präsidenten, soll als Sicherheitschef den | |
Schießbefehl gegeben haben. Er wird von der provisorischen Regierung per | |
Haftbefehl gesucht. Kurmanbek Bakijew hat der neuen Chefin im Land, Rosa | |
Utanbajewa, jedoch Straffreiheit zugesagt, sollte er nicht zurücktreten. | |
Bakijew erklärt, dass allein die Opposition für die Toten verantwortlich | |
sei. "Sie haben als Erste geschossen - direkt in mein Büro, und sie haben | |
mich beinahe getötet", sagt Bakijew aufgeregt. Erst nach dem Angriff der | |
Opposition hätten die Wachmannschaften das Feuer eröffnet. Sein Bruder | |
Schanisch Bakijew erklärte später, dass dies ein Akt der Notwehr gewesen | |
sei. "Der Präsidentenpalast wurde mit Schusswaffen angegriffen und da | |
mussten wir reagieren." | |
Kurmanbek Bakijews Familie ist groß. Ein Bruder war sein Sicherheitschef, | |
Marat ist kirgisischer Botschafter in Berlin, ein weiterer Bruder machte | |
sich als Geschäftsmann einen Namen und der Jüngste organisierte am | |
Samstagmorgen die Wachen in dem Stadtviertel. | |
Mehrere hundert Kirgisen versammeln sich auf dem Hof des Grundstücks von | |
Bakijew. In einem Leinensack werden Brotfladen hereingebracht. Kurmanbek | |
Bakijew berät sich mit den Gästen und schüttelt Hände. An diesem Abend | |
steht ein Telefongespräch mit Jan Kubisch, einem Vertreter der OSZE an. | |
Kurmanbek Bakijew setzt auf Verhandlungen. Er fordert eine | |
UN-Friedensmission für den Norden des Landes und eine internationale | |
Kommission, die die Vorfälle am 7. April untersuchen soll. "Ich gehe davon | |
aus, dass der Umsturz vom Ausland gesteuert wurde", sagt Bakijew. Er | |
reaktiviert die schnelle Unterstützung der neuen Regierung in Bischkek | |
durch Russland. Putin habe die Lage nur beruhigen wollen, sagt Bakijew. Der | |
gestürzte Präsident fühlt sich in Dschalalabad jedoch nicht sicher. Von der | |
neuen Staatsmacht ist allerdings nichts zu sehen. Von der Stadt Osch bis | |
vor das Vaterhaus des Präsidenten in Dschalalabad patrouillierten weder | |
Militär noch Polizei. | |
Am Samstag kursierten in Dschalalabad allerdings Gerüchte, dass aus | |
Bischkek eine Spezialeinheit angereist sei, um Bakijew festzunehmen. | |
Daraufhin flüchtete Bakijew samt Familie Hals über Kopf aus dem | |
Stadtviertel und kehrte aber Sonntag wieder zurück. | |
Der Gouverneur und der Bürgermeister von Dschalalabad sind nach dem Umsturz | |
abgesetzt worden. Bisher wurde die südkirgisische Stadt von Plünderungen | |
und Ausschreitungen verschont. Im Stadtzentrum hängt noch ein großflächiges | |
Plakat, das Bakijew mit dem russischen Präsidenten Medwedjew zeigt. | |
"Die Anhänger Bakijews sind schwer bewaffnet, und es sind um die 300 Mann", | |
sagt der Sprecher der neuen Macht im Gouverneurssitz, der bislang | |
Kirgisiens Botschafter in Pakistan war. "Wir haben ihnen klargemacht, dass | |
ein Konflikt vermieden werden muss." Bakijew behauptet, seine | |
Wachmannschaften entlassen zu haben. Nur noch wenige seien bewaffnet. | |
Außer den Anhängern Bakijews fürchtet die neue Macht in Dschalalabad, in | |
der mehrheitlich usbekischstämmige Einwohner leben, einen ethnischen | |
Konflikt. Mehrere tausend Usbeken versammelten sich am Samstag in der | |
privaten Universität der Völkerfreundschaft, um offiziell der Toten in | |
Bischkek zu gedenken. Knapp einen Kilometer davon entfernt kommen die | |
Kirgisen der Stadt ebenfalls zu einer Ratsversammlung zusammen. Die neuen | |
Machthaber untersagten aus Angst vor Unruhen zwar die Versammlung der | |
Kirgisen, trotzdem finden sich einige hundert auf dem Platz ein. Unter | |
ihnen bekennen sich einige lautstark zu Bakijew. "Er ist der rechtmäßige | |
Präsident", ruft ein stämmiger Mann zornig. | |
Auch in Osch, der bevölkerungsreichsten Stadt im Süden Kirgisiens, gibt es | |
noch Anhänger Bakijews. Selbst der Bürgermeister von Osch wurde nicht | |
ausgetauscht und kontrolliert mit einer Jungmännerschar die Stadt. Unter | |
den muskelbepackten Kirgisen finden sich viele, die Bakijiew nach wie vor | |
die Treue halten. Der Bürgermeister von Osch beschwört aber seine Loyalität | |
gegenüber der neuen Macht in Bischkek. | |
In Dschalalabad entspannt sich die Lage. Gegen Sonntagmittag lösen sich die | |
Versammlungen der Kirgisen und Usbeken auf, und Bakijews Anhänger sind auch | |
aus dem Stadtzentrum verschwunden. Die Usbeken begrüßen den Umsturz in | |
Bischkek und hoffen, dass die neue Regierung sie nicht mehr drangsalieren | |
wird. | |
Während der Revolte kam es noch zu Provokationen. In der Nacht des | |
Umsturzes fuhr ein weißer Mercedes ohne Nummernschilder am usbekischen | |
Kulturzentrum in Dschalalabad vorbei und feuerte mehrere Schrotladungen in | |
das Gebäude. An der Außenwand sind die Einschusslöcher sichtbar und die | |
Fenster gingen zu Bruch. "Wir lassen uns aber nicht provozieren", sagt ein | |
Usbeke. | |
Das Leben geht derweil in der südkirgisischen Stadt weiter. Brautpaare | |
lassen sich trotz Revolte und Machtumsturz trauen. Sie legen traditionell | |
am Stadttor von Dschalalabad vor einem Denkmal eines kirgisischen | |
Dschigiten, der mit erhobener Lanze hoch zu Ross reitet, Blumen nieder und | |
lassen sich davor fotografieren. Er war vor vielen hundert Jahren ein | |
Feldherr in der Region, und offensichtlich erfolgreicher als sein | |
Namensvetter. Auf dem Sockel des Reiterdenkmals prangt der Namen: | |
Kurmanbek. | |
12 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Marcus Bensmann | |
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