# taz.de -- Theater: Das Spiel vom Tja | |
> Hauptmanns "Einsame Menschen" war Ex-"Stage Director in Residence" | |
> Christian Pades letzte Bremer Premiere. Sie zeigt, was es hätte sein | |
> können, mit ihm und der Stadt. | |
Bild: Johannes Vockerat (Jan Byl) erhält vom Vater (Siegfried W. Maschek) Beis… | |
Es ist zu Ende. Und das ist eine Erlösung, für alle. Zunächst natürlich für | |
die Figuren des Stücks "Einsame Menschen" - allen voran den suizidierten | |
Johannes Vockerat. Denn der kann tot nicht zermarterter sein, als in jenem | |
Leben, das ihm der Dramatiker Gerhart Hauptmann zugeschrieben hat. | |
Aber es ist auch eine Erlösung für die Premieren-ZuschauerInnen, die am | |
Freitag - großes Theaterglück! - fast drei Stunden die volle Qual dieser | |
sich nur mit den allerbesten Absichten selbst vernichtenden, prototypischen | |
Kernfamilie ausgekostet haben, eine echte Hölle, toll. Und dann ists wohl | |
auch für Regisseur Christian Pade eine Befreiung. | |
Pade, das ist der, den der gescheiterte Generalintendant Hans Joachim Frey | |
schon vor Beginn seiner ersten Bremer Saison mit dem affigen Titel eines | |
"Stage Director in Residence" demontiert hatte, nur mit den allerbesten | |
Absichten, versteht sich: Der künftige Seebühnenkapitän hatte ja eine fast | |
kindliche Freude an derlei Benennungen. Pade jedoch glückte in Bremen | |
nichts, bis er den seltsamen Posten quittierte. Dann gab es einen starken | |
Kleist und ein diskutiertes Sozio-Dram von Martin Crimp, "Das stille Kind". | |
Mit der jetzigen Premiere hat er seine Bremer Dernière hingelegt. | |
Und gezeigt, dass es etwas und was es denn hätte sein können, mit ihm und | |
der Stadt, tja. Und dass dem Theater etwas fehlen dürfte, ohne seinen ganz | |
auf die SchauspielerInnen und die Sprache vertrauenden, grimmig-ernsten | |
Stil. Weil er den AkteurInnen erlaubt, ihr Format zu entwickeln. Zum | |
Beispiel: Jan Byl, der seinen Johannes Vockerat spielt, als wäre er immer | |
schon Charakterdarsteller gewesen - und nicht bloß eine eher solide | |
Ensemble-Nachwuchskraft. Mitreißend. | |
Mit Panelen hat Alexander Lintl der Familie Vockerath eine geräumige | |
Kerkerzelle gebaut, und wie eine Formel der Einsamkeit rollt in ihr das | |
1891 uraufgeführte Stück ab: Unentrinnbare und unmögliche Bindungen hat | |
Hauptmann mit perfekt symmetrischem Tableau von sechs unsympathischen | |
Figuren zu einer Mann-zwischen-zwei-Frauen-Geschichte konstruiert: Johannes | |
Vockerat war Wunderkind, ist zum randständigen Privatgelehrten avanciert, | |
hat seine kleinbürgerliche Herkunft in Gestalt von Käthe geheiratet, durch | |
die Zeugung eines Kindes bekräftigt - und fühlt sich, er meint: rein | |
geistig, zur von Varia Linnéa Sjöström aufreizend unbefangen verkörperten | |
Studentin - sprich geistig aktiven Frau - Anna Mahr hingezogen: Die wollte | |
nur kurz Johannes Bohémien-Freund Braun besuchen, und bleibt nun bei der | |
jungen Familie, genau wie Muttern, die sensationell verhärmte Irene | |
Kleinschmidt, die doch bei der Kindstaufe helfen musste. Zu der war auch | |
Vater da. Zum Schluss kehrt er zurück, er wolle dem Sohn, tja, als Freund | |
beistehen, tja, weil er ihn auf Abwegen wähnt, und erklärt ihm: "Auf den | |
Gehorsam, mein ich, kommt es an, tja!" | |
Mitunter wird er als polternder Patriarch gegeben. Aber im Textbuch steht | |
"mit weicher schwach-belegter Stimme", und Siegfried W. Maschek beherrscht | |
dieses schwierige mezzo-Register, das viel stärker tyrannisiert als alles | |
Gebrüll und in dem erst der Tick des Vaters, das ständige "Tja" seine | |
nervtötende Wirkung voll entfaltet: Ein bisschen Nachsicht, ein bisschen | |
Vorwurf, ein bisschen Trauer, ein bisschen Zorn - alles schwingt mit, alles | |
bleibt ungesagt, im "Tja": Unmöglich dem zu widersprechen, unmöglich, dem | |
zu entfliehen. Außer durch Selbstmord. | |
12 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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