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# taz.de -- Kolumne Mäner: Showgirls
> Nun verstehe ich, warum so wenige Männer "Germany's next Topmodel" sehen.
Als ich meinen Freunden von meiner heimlichen Leidenschaft berichtete,
waren sie verwirrt. Sie hätten das ja nicht geahnt, sagten sie und fragten,
warum ich so etwas tue. Ich entgegnete, das sei doch ganz normal
heutzutage. Sie sollten sich mal keine Sorgen machen, ich hätte das im
Griff. Aber ich kann schon verstehen, dass es sie verstört. Ich weiß ja
selbst nicht recht, warum ich, ein erwachsener Mann, "Germany's Next
Topmodel" gucke.
Nun gut, mir ist das schon klar. Woche für Woche lässt sich eine Gruppe
sehr hübscher, kaum bekleideter junger Frauen freiwillig von einem
seelenlosen Stahlbolzen namens Heidi Klum runtermachen. Ihr Ziel ist es
dabei, beim "Live Walk" eine gute Figur zu machen. Wenn sie fehlerfrei
geradeaus gelaufen sind, was selten gelingt, freuen sie sich sehr und
bekommen eine Belohnung: Sie dürfen sich eine weitere Woche lang demütigen
lassen. Auf dass sie eines Tages "dem Kunden" freudig den Rest ihres
bisschen Selbstwertgefühls opfern dürfen. Bei dieser Show ist also für
jeden Geschmack was dabei: Sex, Niedertracht und Irrsinn. Und das Schöne:
Ich darf mich so richtig schön aufregen über diese Niederungen menschlichen
Charakters, ohne daran teilzuhaben. Zumindest dachte ich das bis vor
kurzem.
Wir sitzen auf der bequemsten Couch der Welt und gucken die Show. Wir, das
sind drei Frauen und drei Männer. Bei uns hat das ständige Leben seinen
Tribut gefordert. Wir sehen aus wie Anfang 30, was daran liegen könnte,
dass wir es auch sind. Welche Beleidigung für den Kunden!
Die beiden anderen Herren sehen die Show zum ersten Mal. Sie blicken, als
gelte es, einer Frau beim Erzählen eines Witzes zuzuhören: ungläubig,
verwirrt und gelangweilt. Die drei Frauen sind hingegen ein eingespieltes
Team. Als eines der Möchtegern-Models erfährt, dass es rausfliegt, röhrt
eine Frau auf der Couch sehr zufrieden: "Jawoll!", und die anderen beiden
lachen laut auf.
Der nächste Akt bei "Germany's Next Top Model". Ein paar Kandidatinnen
müssen sich in schreiend bunte Stretchkleider zwängen, die nicht einmal
diesen untergewichtigen 16- bis 23-Jährigen stehen können. "Scheiß
Klamotten", sage ich. "Scheiß Klamotten?", fragt die Rädelsführerin der
drei Frauen auf der Couch höhnisch. "Scheiß Figur!"
Ich merke, ich bin fehl am Platz. "This is not America", sang einst ein
trauriger David Bowie. Heute möchte ich singen: "This is not my ,Germany's
Next Topmodel'." Ich will mich doch bloß schön über das niederträchtige
Konzept der Show echauffieren und bei der Gelegenheit halbnackte junge
Frauen begaffen. Warum die drei Damen die Mager-Models selbst so lustvoll
hassen, kann ich leider nicht erfragen. Es klingelt. Die bestellte Pizza
kommt.
Eine Woche darauf, es wird wieder Zeit für "GNTM", ist die Gastgeberin vom
Fernsehabend am Telefon. Sie sagt kühl, sie lade keine Männer mehr zum
Zuschauen ein. Die Männer hätten ja die ganze Zeit geredet und gelacht. Sie
habe fast den Eindruck, wir nähmen die Sache gar nicht ernst. In mir steigt
ein schrecklicher Gedanke auf: Muss ich jetzt etwa anfangen, mich für
Fußball zu interessieren?
15 Apr 2010
## AUTOREN
Matthias Lohre
## TAGS
taz.gazete
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