| # taz.de -- Der taz hinterher: Reise ans Ende der Nacht | |
| > Welchen Weg eine taz so alles nimmt, bis sie auf Ihrem Frühstückstisch | |
| > landet? Wir haben ihn mitgemacht: Von der Druckerei in Pinneberg bis nach | |
| > Langeoog. | |
| Bild: Irgendwo am Bremer Flughafen, kurz nach zehn: Hier soll uns der nächste … | |
| Dienstag, 18.29 Uhr: Wenn ich nach links gucke, blicke ich in die Zukunft, | |
| sehe mich selbst in acht Stunden - oder in zehn: Mein Sitznachbar in der | |
| S-Bahn von Hamburg-Altona nach Pinneberg nickt immer wieder weg; sein Kopf | |
| fällt ihm auf die Brust und pendelt von links nach rechts und wieder | |
| zurück. Er muss einen langen Tag gehabt haben. | |
| Vor uns liegt eine lange Nacht: Wir wollen den Weg einer taz verfolgen - | |
| von der Druckerei in Pinneberg bis zu Lothar Redmann, einem von zwei | |
| taz-Abonnenten auf Langeoog. Am nächsten Morgen, halb acht, werden die taz | |
| und wir mit der ersten Fähre auf der Ostfriesischen Insel ankommen - wenn | |
| alles gut geht. | |
| 19.05 Uhr: Sechs Tage die Woche werden bei A. Beig in Pinneberg je rund | |
| 20.000 Exemplare der taz Nord gedruckt. Druckkundenbetreuerin Christiane | |
| Rödel führt uns durch die Anlage: Es riecht nach Farbe und Maschinenöl. Die | |
| MAN Colorman XXL rattert ohrenbetäubend, wir haben Schwierigkeiten, Frau | |
| Rödels Ausführungen zu folgen. Das könnte allerdings auch an unserer | |
| mangelnden Erfahrung mit "Falztrichtern", "Strangpaketen" und | |
| "Schneidzylindern" liegen. Wer für eine Zeitung schreibt und fotografiert, | |
| weiß eben längst nicht immer auch, wie die elektronisch übermittelten Daten | |
| aufs Papier kommen. Und noch weniger, wie die Zeitung dann zum Leser kommt. | |
| Deswegen sind wir hier. | |
| 20.11 Uhr: Ibrahim Kunuk ist das erste Glied der Vertriebskette. Auch wenn | |
| er kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungen ist, kennt er | |
| die Tour gut: Früher ist er sie regelmäßig gefahren. Mit geschätzten 250 | |
| Kilogramm taz hinten im Sprinter - die Zahl der Exemplare ist für ihn | |
| irrelevant - geht es in Richtung Bremen. Elbtunnel. A 7. A 261. A 1. Kunuk | |
| lüftet ausgiebig - weil er beim Fahren raucht und es jedes Mal nach etwa | |
| einer Stunde Fahrtzeit aus der Dunkelheit penetrant nach Schlachthof | |
| stinkt. "Vitakraft grüßt alle Tierfreunde", steht auf einer Fassade. | |
| Bremen. Über den gottverlassenen Parkplatz eines Real-Supermarkts und | |
| vorbei an der Freien Evangelischen Bekenntnisschule steuert Kunuk auf den | |
| dunklen Hof der Zeitschriften-Handelsgesellschaft Müller & Schultz, wo er | |
| die ersten Pakete auslädt. Die Süddeutsche ist schon da. | |
| 22.10 Uhr: Nachdem er auf dem Postgelände am Bremer Flughafen noch einige | |
| Pakete mit Aboexemplaren abgelegt hat, trennt sich Ibrahim Kunuk auf einem | |
| Parkplatz von einem großen Teil seiner Ladung. Und von uns. Gegen halb elf | |
| soll uns hier der nächste Fahrer aufnehmen. Im Erdgeschoss des Gebäudes | |
| hinter uns sitzen zwei Leute Schreibtischen und wundern sich gar nicht, wer | |
| da vor ihrem Bürofenster rumspukt. Sie könnten uns allerdings ruhig eine | |
| Tasse Kaffee anbieten - uns ist nämlich kalt. | |
| 22.37 Uhr: Ein Mercedes-Kombi biegt auf den Parkplatz. Ein Kombi? Reicht | |
| das denn? Als Ralf Rüdebusch dann aber betont lässig wendet und mit dem | |
| Heck an die Rampe heranfährt, ist die Erleichterung groß - und dann bietet | |
| er auch noch an, in Oldenburg bei McDonalds zu halten. Er selbst esse da ja | |
| nicht mehr: "Ich habe es eine Zeit lang nachts übertrieben mit dem Scheiß, | |
| wog 130 Kilo." Bevor wir einsteigen können, muss Rüdebusch noch seine | |
| Hantel vom Beifahrersitz nehmen. "Ohne ist mir immer so langweilig", sagt | |
| er. | |
| Seit 1988 fährt er die taz und ist stolz darauf, dass sie "nicht einen Tag | |
| liegen geblieben" sei. Für die Spedition Dekker, spezialisiert auf | |
| Pressevertrieb, und ihren 87-jährigen Chef plant er tagsüber die Touren. | |
| Und sitzt trotzdem jede Nacht selbst im Auto, "weil ich wissen muss, was so | |
| läuft". Ein einziges Privileg gönnt er sich: die kürzeste Tour von allen. | |
| Mit 220 Stundenkilometern und zwei Fingern am Lenkrad schießt Rüdebusch den | |
| Kombi zu zwei Umschlagplätzen in Oldenburg und von da aus weiter nach | |
| Wilhelmshaven. Es ist kurz nach halb eins. | |
| Mittwoch, 1.05 Uhr: In dieser Nacht bleibt Lothar Redmanns taz lange beim, | |
| so Rüdebusch, "wie Fort Knox gesicherten" Pressegrossisten Friesenpresse | |
| liegen, weil die Bild auf sich warten lässt: Die Fußballergebnisse vom | |
| Abend mussten noch in die Zeitung. "Und ohne die Bild brauchen wir gar | |
| nicht beim Kunden aufzutauchen", sagt Thomas Klingenberg, Abteilungsleiter | |
| Technik bei dem Pressegroßhändler, einem Monopolisten in seiner Region, wie | |
| fas überall in Deutschland. Klingenberg ist extra für uns nachts noch mal | |
| ins Büro gekommen und kocht Kaffee. Zu tun gibt es wenig für ihn: Den | |
| Nachtdienst schmeißt Schichtleiter Reinhard Hechler, der die Zeitungen in | |
| Empfang nimmt. Wie die elf Fahrer ist er bei einem Subunternehmer | |
| angestellt. Hinzu kommen bei der Friesenpresse 80 Festangestellte. | |
| Tour 25 rund um Wittmund und Esens fährt in dieser Nacht Fredy Tholn, der | |
| ebenfalls für seinen Chef, im Hauptberuf Steuerberater, die Touren | |
| disponiert, aber auch sieben Tage die Woche selbst auf dem Bock sitzt, | |
| "weil wir nicht genug Personal haben, um nur fünf Tage zu fahren und ich | |
| mir das auch nicht leisten könnte". Wie viel er verdient, will Tholn nicht | |
| verraten. Am Aero, einem intelligenten Regalsystem, kommissioniert er die | |
| Zeitungen für seine Tour: Ein Display zeigt ihm an, wie viele Exemplare | |
| eines Titels der jeweilige Kunde bekommt und in welchem Fach sie abzulegen | |
| sind. Als um um kurz vor halb drei endlich die Bild-Zeitung eintrifft, muss | |
| Tholn sich beeilen, um auch rechtzeitig am Fähranleger in Bensersiel | |
| anzukommen. | |
| 3.50 Uhr: Tholn stoppt beim Spar-Markt Burger in Burhafe. Für die meisten | |
| seiner 75 Kunden hat er Schlüssel - zumindest für den Vorraum, wo er die | |
| Lieferung einsperrt. Oder das Klo. Mit an Bord ist auch die Zeitung für | |
| Lothar Redmann, der sie nicht wie sonst in ländlichen Gebieten üblich per | |
| Post bekommt, sondern vom selben Austräger, der auch insgesamt 19 | |
| Verkaufsstellen auf Langeoog beliefert - mit dem Fahrrad. Zehn | |
| taz-Exemplare gehen an diesem Tag auf die Insel, in der Saison sind es bis | |
| zu 30. | |
| Aldi. Bäckerei. Netto. Tankstelle. Lidl. Kiosk. So geht das die nächsten | |
| zwei Stunden. Während Tholn sich abrackert, fallen uns die Köpfe auf die | |
| Brust, pendeln nach links und rechts und wieder zurück. | |
| 5.53 Uhr: Die Fotografin kann kaum ihre Kamera halten, als wir am | |
| Fähranleger in Bensersiel aus dem Auto stolpern. Tholn deponiert die für | |
| die Insel bestimmten Zeitungen in einem Anhänger und muss gleich wieder | |
| los. Wegen der Verspätung der Bild musste er seine Tour umstellen, sodass | |
| er jetzt noch einige Kunden zu beliefern hat. Und die wollen ihre Zeitungen | |
| haben, bevor sie den Laden aufsperren. In einem ansonsten menschenleeren | |
| Aufenthaltsraum warten wir auf die erste Fähre um 6.45 Uhr. | |
| 7.30 Uhr: Lothar Redmann erwartet uns am Bahnhof Langeoog. Nur wir sind | |
| nicht da. Ein Missverständnis: Wir dachten, er würde uns am Anleger | |
| abholen. Deswegen sitzen wir erst verspätet und nach einem unfreiwilligen | |
| Erkundungsspaziergang bei grünem Tee und selbst gebackenem Brot in seinem | |
| Wohnzimmer. 1974 kam der heute 66-Jährige auf die Insel, als Lehrer. Seit | |
| seiner Pensionierung vor sechs Jahren engagiert er sich verstärkt | |
| politisch: Für die SPD sitzt er seit 2006 im Rat der Inselgemeinde und | |
| wurde zum Schiedsmann gewählt. "Dabei gehöre ich noch nicht mal zur | |
| Ratsmehrheit" - ein schöner Vertrauensbeweis, findet Redmann. | |
| taz-Abonnent ist Redmann, der sich selbst für "in manchen Dingen ein wenig | |
| solitär" hält, übrigens erst seit etwa einem halben Jahr. An seiner Zeitung | |
| schätzt er die "orginale, eigenständige, reflektierte Art", andere Medien | |
| kämen ihm immer "seltsam gleichgeschaltet" vor, sagt er. Trotz seiner | |
| Pensionierung hat Redmann fast immer zu wenig Zeit, sie auch zu lesen: "Ich | |
| habe im Kern eigentlich nichts zu tun", sagt er, "und deswegen umso mehr." | |
| Auch an diesem Tag wird er vorerst nur fürs Foto reingucken: Später will er | |
| nämlich noch seine Tochter besuchen. Auf dem Festland. | |
| 23 Apr 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| David Denk | |
| David Denk | |
| ## TAGS | |
| Druckerei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Abschied von der Druckerei: Abends bleibt das Telefon jetzt still | |
| Bisher endete jeder taz-Tag mit dem Anruf in der Druckerei. Dabei sind | |
| jahrzehntelange Beziehungen entstanden. Nun ist Schluss damit. |