# taz.de -- Kommentar Belgien: Linguistischer Schulterschluss | |
> Die aktuelle Krise offenbart, dass der Kompromiss zwischen den | |
> Sprachgruppen in Belgien kaum noch gepflegt wird. Auch Politiker | |
> beherrschen ihn nicht mehr. | |
Bild: König Albert II (links) entlässt die Regierung von Premierminister Yves… | |
Als es vorbei war, kamen die Details ans Licht. Schon während der | |
Krisengespräche letzte Woche sahen die frankophonen Parteien keine Chance | |
mehr auf einen Kompromiss. Sie stellten sich bereits auf vorgezogene | |
Neuwahlen ein, bevor die Regierung überhaupt gefallen war. Eine Lösung des | |
Streits um Brüssel-Halle-Vilvoorde, den symbolpolitisch aufgeladenen | |
Wahlkreis der Hauptstadt, stand also nie ernsthaft zur Debatte. | |
Neuwahlen, so die Logik zumal der flämischen Parteien, sollen nun endlich | |
eine stabile Koalition zuwege bringen und damit den Boden für eine Lösung | |
der Probleme zwischen den beiden Sprachgruppen bereiten. Ein Optimismus, | |
der jeder Grundlage entbehrt, denn auch die neue Regierung muss auf beiden | |
Seiten der Sprachgrenze eine Mehrheit finden. Eine solche Mehrheit aber | |
gründet sich auf einem politischen Profil, das zunehmend die flämische oder | |
die frankophone Identität betont. | |
Für neue Verhandlungen sind dies keine guten Bedingungen. Mehr als einmal | |
zeigte sich im Dauerkonflikt der letzten drei Jahre zudem die | |
besorgniserregende Tendenz zum linguistischen Schulterschluss. Während | |
Belgien mit den Folgen der Wirtschaftskrise kämpft, wird die sprachliche | |
Identität bei Flamen wie Frankophonen zunehmend zum politischen Merkmal. | |
Eine neue Entwicklung ist das nicht. Der nun erneut gescheiterte Yves | |
Leterme wurde 2007 vor allem gewählt, um Flanderns Befugnisse zu Lasten der | |
Zentralregierung zu vergrößern. Dieser Prozess dauert schon seit 1970 an, | |
und der politische Wille dazu ist ungebrochen. | |
Auch diese Krise aber wird nicht, wie von außen gerne behauptet, Belgiens | |
Ende sein. Sie offenbart nur drastisch, dass der Kompromiss zwischen den | |
Sprachgruppen kaum noch gepflegt wird. Es gibt auch fast keine Politiker | |
mehr, die ihn beherrschen. | |
28 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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