# taz.de -- FC St. Pauli: Aufsteigen kann jeder | |
> Nach dem Aufstieg der Hamburger, der auch mit einem Geldsegen verbunden | |
> ist, fordert Vereinspräsident Corny Littmann, man dürfe nicht wieder die | |
> alten Fehler machen. | |
Bild: Grund zum jubeln: Die Fußballer des FC St. Pauli nach ihrem Sieg gegen G… | |
HAMBURG taz | "Ich glaube, Aufsteigen ist nicht das Problem", sagt Corny | |
Littmann, der Präsident des FC St. Pauli. Auf den ersten Blick mag das | |
überheblich klingen, denn niemand hatte damit rechnen können, dass seinem | |
Klub der Sprung in Liga eins gelingt. Das Problem, das keines ist, ist seit | |
Sonntagabend endgültig gelöst, dank des 4:1-Erfolgs in Fürth. | |
Von Übermut kann indes keine Rede sein. Das "Problem", präzisiert Littmann, | |
der Theaterbesitzer, Regisseur und Schauspieler ist, besteht darin, dass | |
"man durch die erheblich höheren TV-Einnahmen und Vermarktungserlöse in die | |
Versuchung gerät, sich alles zu leisten, was man schon immer mal machen | |
wollte". | |
Littmann hat die Folgen einer solchen Unternehmensstrategie zu spüren | |
bekommen, als er bei St. Pauli Ende 2002, ein halbes Jahr nach dessen | |
letztem Erstligaabstieg, das Präsidentenamt antrat. Er fand "Strukturen" | |
vor, "die nach dem Abstieg überhaupt nicht in Frage gestellt" worden waren, | |
und war alles in allem schockiert vom "Ausmaß an Dilettantismus in der | |
Vereinsführung". Littmanns Lehre aus der damaligen Zeit: "Man braucht | |
tragfähige Strukturen, von denen man schnell wieder runterkommt." | |
Über seinen insgesamt fünften Aufstieg in Liga eins kann sich der Klub nun | |
in einer Phase freuen, für die ohnehin ausgiebiges Feiern vorgesehen war. | |
In ein paar Tagen wird der FC St. Pauli 100 Jahre alt, und das ist Anlass | |
für ein mehrmonatiges Jubiläumsprogramm. Es passt zum clever kultivierten | |
Underdog-Image des Vereins, dass dazu auch ein Spiel gegen den FC United of | |
Manchester gehört, ein Klub, den einstige Fans von Manchester United nach | |
der Übernahme des Vereins durch den US-Unternehmer Malcolm Glazer | |
gründeten. | |
Man wird europaweit wohl keinen Profiklub finden, der zu einem seiner | |
beiden Jubiläumsspiele einen Verein einlädt, der für den größtmöglichen | |
Protest gegen die Durchkapitalisierung des Fußballs steht. Man kann die | |
Geste aber auch als implizite Hommage an die traditionelle britische | |
Fußballkultur sehen, deren Verfechter sich am Millerntor zu Hause fühlen: | |
Es gehört zu den wenigen Segnungen des Billigflugtourismus, dass es | |
Engländern möglich gemacht wird, am Millerntor jene englische | |
Fußballatmosphäre erleben zu dürfen, die sie daheim nicht mehr finden. | |
Ein Gesandter der ehrwürdigen Tageszeitung The Times schrieb vor rund einer | |
Woche, nach einem 6:1-Sieg über TuS Koblenz: "Wenn eine Reunion-Tour von | |
The Clash möglich wäre", fände man am Millerntor das geeignete Publikum, | |
wobei die Zuschauer "den gesamten Gesang" übernehmen würden. | |
Auf den Rängen fiel an jenem Abend auch auf, dass einige Fans, als es schon | |
5:0 oder 6:0 stand, "Stani raus" (gemünzt auf Trainer Holger Stanislawski) | |
und "Wir wollen euch kämpfen sehen!" skandierten - ein Zeichen dafür, dass | |
man am Millerntor in puncto Humor anderen Fanszenen immer noch etwas | |
voraushat, aber auch eine subtil-hämische Reaktion auf die jämmerlichen und | |
berechenbaren Rituale, die Fans andernorts pflegen, wenn sie ihren Unmut | |
zum Ausdruck bringen wollen. | |
Hinter der Fassade der kreativen Fanfreude verbergen sich aber auch | |
zahlreiche Konflikte - zwischen Teilen der organisierten Fans und dem | |
Präsidium, dem die Supporter vorwerfen, Fanrechte zu missachten, zum | |
anderen zwischen Ultras und Old-School-St.-Paulianern und Fans, die bloß | |
die Stimmung im Stadion genießen wollen, womit die Lager aber nur grob | |
umrissen sind. | |
Corny Littmann sagt, er empfinde die Gemengelage "zumindest teilweise" als | |
amüsant, "denn die Diktion und die Rigidität, mit der in der Szene | |
diskutiert wird, erinnert mich an meine Studienzeit, so zwischen 1973 und | |
1975, als es an der Uni SSB, SSG, KB, KBW, KPD/A0 und MSB Spartakus gab, | |
die sich befehdet haben bis aufs Blut, als stünde die Weltrevolution | |
unmittelbar bevor". | |
Die Konflikte überlappen sich teilweise mit der ganz großen Frage, | |
inwieweit ein Profifußball-Unternehmen (St. Paulis geplanter Etat für die | |
Bundesliga: 39 Millionen Euro; das wäre eine Verdoppelung gegenüber der | |
ablaufenden Saison) überhaupt für eine Business-kritische oder sonst wie | |
alternative Haltung stehen kann. Die Tatsache, dass darüber, allenfalls | |
leicht variiert, seit rund 20 Jahren debattiert wird, ist allerdings ein | |
Indiz dafür, dass die Frage, ob es einen richtigen Fußball im falschen | |
gibt, sowieso falsch gestellt ist. | |
Möglicherweise kann Littmann solche Fragen bald gänzlich gelassen sehen. Es | |
würde zu ihm passen, wenn er während eines Erfolgshochs abtritt. | |
Aussichtsreichster Kandidat scheint Marcus Schulz zu sein, einer der vier | |
Vizepräsidenten. Er ist der Chef einer Zeitarbeitsfirma, die bundesweit | |
über rund 20 Niederlassungen verfügt. | |
Das Logo war am Sonntag, nach dem entscheidenden Spiel in Fürth, bundesweit | |
recht gut präsent. Es prangte auf dem Hemdkragen Holger Stanislawskis, als | |
dieser seine Fernseh-Interviews gab. Ein Trikotsponsor für die nächste | |
Saison wird übrigens noch gesucht. Ein "Problem" ist das selbstverständlich | |
nicht. | |
4 May 2010 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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