# taz.de -- Babyboom bei der Grünen Jugend: Kinder an die Macht | |
> Bei der Grünen Jugend bekommen die Frauen ungewöhnlich früh Nachwuchs. | |
> Hat Claudia Roth noch auf Kinder verzichtet, so ist die Partei heute | |
> familienfreundlicher - auch dank der Quote. | |
Bild: Wer anderen beim Kinderhaben zusehen kann, bekommt ebenfalls welche, sagt… | |
Ines Eichmüller ist jetzt 29, sie war 27, als sie ihr Kind bekam. Katrin | |
Rönicke hat erst kürzlich, mit 27, schon ihr zweites Kind bekommen. Nike | |
Wessel ist jetzt 28, und ihr zweites Kind ist acht Monate Jahre alt. | |
Die Frauen in Deutschland neigen eigentlich zu später Reproduktion, | |
insbesondere die Akademikerinnen. Bei der Grünen Jugend aber, wo fast nur | |
künftige, gegenwärtige und examinierte Studentinnen herumlaufen, steht die | |
deutsche Demografie kopf. Und die ehemaligen Amtsträgerinnen der | |
Grünen-Nachwuchsorganisation, Eichmüller, Wessel und Rönicke, sind nicht | |
die Einzigen, die trotz ihrer hohen Qualifikation so früh in Familie | |
gemacht haben. | |
Jede kann auf weitere Bekannte im Dunstkreis der Junggrünen verweisen, die | |
ebenfalls früh losgelegt haben. "Vielleicht ist es ansteckend", sagt | |
Rönicke. Sie kam mit 19 zur Grünen Jugend, zunächst in den | |
baden-württembergischen Landesvorstand, später wurde sie | |
Bundesschatzmeisterin. Sie habe damals zu einer anderen, ebenfalls noch | |
jungen Frau aufgeschaut, die bewies, dass Grünsein, Coolsein und Muttersein | |
zusammenpasste. Warum also nicht? Geheiratet hat sie dann auch bald, mit | |
21. | |
Ansteckung ist ein demografischer Faktor, den die Familiensoziologie | |
neuerdings stark betont: Kinder kriegt, wer anderen beim Kinderhaben | |
zusehen kann. Umgekehrt befördert ein kinderarmes Umfeld Kinderlosigkeit - | |
der krawallige Befindlichkeitsbestseller "Minimum" des FAZ-Herausgebers | |
Frank Schirrmacher fußt auf dieser Erkenntnis. | |
Doch nennt Rönicke noch eine andere wichtige Voraussetzung für ihre frühe | |
Entscheidung zum Kind: "Ich hatte nie Angst, dass ich es beruflich nicht | |
schaffe." Sie steht jetzt, mit Baby auf dem Arm, zwar noch ein Jahr vor | |
ihrem Bachelor-Abschluss in Soziologie, hat aber, wie sie sagt, | |
"mittlerweile viele Standbeine, darunter die Politik". Rönicke zeigt keine | |
Spur von der Unsicherheit, einer Mischung aus Konkurrenzangst und | |
Zukunftsdruck, die bei so vielen akademischen Twens durchschimmert. | |
Verglichen mit Rönicke war Katja Husen geradezu alt, nämlich im | |
bundesdeutschen Erstgebär-Durchschnittsalter von 30, als ihre Tochter | |
geboren wurde. Sie sagt, sie hatte vor allem den richtigen Mann dafür - "er | |
arbeitet weniger als ich und hat auch die Eingewöhnung in die Krippe | |
gemacht". Husen war Vorsitzende der Grünen Jugend, saß mit 26 im | |
Bundesvorstand der Partei und wurde dann Abgeordnete in der Hamburger | |
Bürgerschaft. Zum Kinderkriegen war "das Bürgerschaftsmandat ein sicherer | |
Job, ein total geschützter Raum". Wer hat mit Ende 20 schon einen | |
Arbeitsplatz, der immerhin auf ganze vier Jahre und nicht auf 18 Monate | |
oder weniger befristet ist? Das Baby sei ihr zum Stillen hinterhergetragen | |
worden, es sei großartig gewesen, sagt Husen. | |
Ausgerechnet ein Abgeordnetenmandat, ausgerechnet die Knochenmühle Politik | |
mit ihren nimmer endenden Abendsitzungen als ideales Umfeld zur | |
Familiengründung zu bezeichnen, klingt zunächst absurd. Doch stellt sich | |
heraus, dass speziell junge grüne Frauen die Politik mittlerweile eher als | |
familienfreundlichen Arbeitgeber betrachten denn als Privathölle. Auf | |
Kinder verzichten zugunsten der Politik, wie Grünen-Chefin Claudia Roth es | |
in ihrer Biografie beschreibt - und ein wenig bedauert? Nicht mit ihnen. | |
Das gilt umso mehr für die Nichtmandatierten, die Angestellten im | |
Politikbetrieb. Ines Eichmüller arbeitet wie der Vater ihres Kindes jetzt | |
auf 24-Stunden-Basis bei einer Grünen-Landtagsabgeordneten. Kinder mögen | |
ein Berufsrisiko sein, sagt sie, aber "junge Leute fühlen sich sowieso | |
einem ganzen Haufen Risiken ausgesetzt" - oft genug grundlos. | |
"Ich hatte freitags meine Abschlussprüfung und habe montags angefangen zu | |
arbeiten - ich kann nicht erkennen, dass ich mit Kind schlechtere | |
Startchancen hatte", sagt Eichmüller. Hat man früh ein Kind oder sogar | |
mehrere, "kann der Arbeitgeber ja davon ausgehen, dass man mit der | |
Familiengründung durch ist" - und nicht gleich nach Jobantritt in | |
Elternzeit verschwindet, erläutert sie. | |
Statistisch erfasst ist das Phänomen der vielen jungen grünen Mütter | |
übrigens nicht. Auch so feingliedrige demografische Datensätze wie das | |
Sozio-oekonomische Panel (SOEP) in Berlin führen aktuell keinen Nachweis | |
auf, dass eine kleine Untergruppe etwa der politisch Engagierten wieder zum | |
früheren und häufigeren Kinderkriegen neigt. | |
Die insgesamt registrierte Kinderlosenquote stieg im letzten Bericht des | |
Statistischen Bundesamts wieder an. Das betrifft speziell die Gruppe, in | |
die Junggrüne maßgeblich hineinwachsen: 2008 hatten demnach 28 Prozent der | |
westdeutschen Akademikerinnen im Alter von 40 bis 75 Jahren keine Kinder - | |
ein Anteil, der dank nachgebesserter Messweisen inzwischen für realistisch | |
gehalten werden kann. | |
Woher aber rührt das besondere Selbstbewusstsein in der Junggrünen-Szene, | |
dass ein Kind schon kein Risiko für Beruf und Zukunft darstellen wird? Das | |
Elterngeld wirkt, wenn überhaupt, dann eher in die entgegengesetzte | |
Richtung: Denn belohnt wird dadurch, wer schon einen Job hat, während | |
Studentinnen durch die Neuregelung seit 2007 eher bestraft werden. Wahr | |
ist: Junggrüne sind meist Akademiker-, oft Beamtenkinder und haben | |
elterliche Unterstützung und auch eine gewisse Erbschaft zu erwarten. Aber | |
angesichts der Langlebigkeit ebendieses Teils der Elterngeneration spielt | |
das für deren Kinder mit Mitte 20 selten eine Rolle. | |
Viele Junggrüne sind außerdem in bürgerliche Lebensformen geradezu verliebt | |
- speziell die verhältnismäßig frühe Hochzeit, gern in Weiß, bedeutet für | |
sie eine erstrebenswerte Form privater Sicherheit. | |
Die ehemalige Vorsitzende Nike Wessel berichtet verblüfft: "Ich war allein | |
im vergangenen Jahr auf fünf Hochzeiten - alle in Weiß." Auch und gerade | |
die Männer wollten heiraten und "meine Frau" sagen können. Wessel ist | |
Geschäftsführerin eines kleinen Medienunternehmens. Nach dem Studium, sagt | |
sie, "war ich total euphorisiert. Ich dachte, ich krieg alles hin." Auch | |
Selbstständigkeit und Kinder, dazu noch mit einem mehr als Vollzeit | |
arbeitenden Vater. | |
Einen grünen modernen Kümmermann als Entscheidungshilfe hatte Wessel also | |
gerade nicht. Aber: Die Erfahrung als junge Grünen-Politikerin habe sie | |
risikofreudiger gemacht, sagt sie. Ähnliches berichtet jede der jungen | |
Frauen, egal ob sie sich zur "Bionade Biedermeier"-Szene rechnet oder | |
gerade nicht, ob sie sich von ihren Eltern abgrenzt oder gerade nicht, ob | |
das Kind einen geschlechter- und arbeitszeitpolitisch aufgeklärten Vater | |
hat oder gerade nicht. | |
"Die Quote macht einen Unterschied", erklärt Wessel. "Man hat einen | |
leichten Vorteil gegenüber den Jungen, man wird ernst genommen." Eichmüller | |
sagt: "Die Quote ist ein wirksames Instrument, um Frauen in Posten zu | |
bekommen. Aber es sind die unglaublichen Ansprüche, die eine Partei | |
stellt", die das Gefühl wachsen ließen, "Verantwortung übernehmen zu | |
können". Und Rönicke sagt: "Die Quote stärkt unmittelbar das | |
Selbstbewusstsein. Denn sie sorgt dafür, dass Frauen angesprochen werden, | |
ob sie ein Amt übernehmen, und dann stehen sie auch in der Pflicht, sich | |
dessen würdig zu erweisen." | |
Husen sagt: "Die Quote führt zu einer deutlich höheren Schlagzahl an | |
Erfolgserlebnissen. Es wird einem immer mehr zugetraut, als man sich selber | |
zutraut." Quote schafft Nachwuchs - diese Nachricht muss jetzt nur noch bei | |
denen ankommen, die immer noch glauben, ohne Hausfrauen gäbe es auch keine | |
Kinder mehr. | |
4 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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