# taz.de -- Eskalation in Griechenland: "Protestiert, auch für mich!" | |
> Drei Tote sind die Bilanz des Generalstreiks. 20 Prozent weniger Gehalt, | |
> 33 Prozent höhere Benzinpreise: Ein Land zwischen Wut, Gewalt - und | |
> Ohnmacht. | |
Bild: Die Polizei will unbedingt ihre Macht demonstrieren, setzt massiv Tränen… | |
THESSALONIKI taz | Giannis K. bewacht die Alpha Bank in Thessaloniki. | |
"Protestiert, auch für mich", sagt der Polizist zu den Demonstranten, die | |
an ihm vorbeimarschieren. Giannis K. ist seit 20 Jahren im Dienst, er ist | |
41 Jahre alt und hat zwei Kinder. Sein letztes Monatsgehalt erhielt er am | |
29. April: 840 Euro. Vor einem Monat bekam er noch 960 Euro.Wenn die neuen, | |
rigideren Sparmaßnahmen der griechischen Regierung gegen den Staatsbankrott | |
greifen, dann wird sein Gehalt noch weiter schrumpfen. | |
Giannis K. ist wütend und verzweifelt. Und ohnmächtig. Genauso wie die | |
große Mehrheit der griechischen Gesellschaft. Die griechischen | |
Gewerkschaften haben gestern zu einem Generalstreik aufgefordert. | |
Hunderttausende sind dem Aufruf gefolgt. Es sind nicht nur die Beamten, die | |
demonstrieren. Es sind diesmal auch Arbeitnehmer der Privatindustrie, die | |
sonst nicht streiken. Jeder vierte Laden in Thessaloniki ist geschlossen. | |
Mehr als 25 Prozent der Arbeiter und der Angestellten sind nicht an ihrem | |
Arbeitsplatz erschienen, erklärte der nordgriechische Arbeitgeberverband | |
SBBE. In den Schulen streiken die Lehrer seit Dienstag, in Krankenhäusern | |
funktioniert nur noch die Notaufnahme. Busse, Bahnen, Fähren und Flugzeuge | |
stehen still. Die Demonstranten gehen lange Wege zu Fuß, um die | |
Protestkundgebungen zu erreichen. | |
Die Proteste verlaufen mehr oder weniger still. Als ob niemand die Kraft | |
hätte, Parolen zu brüllen. Sogar die in "Revolutionsgymnastik" erprobten | |
Mitglieder der altkommunistischen Gewerkschaft PAME marschieren stiller als | |
sonst. An den zwei Demonstrationszügen in Thessaloniki nehmen mindestens | |
15.000 Menschen teil. Dreimal so viele wie üblich. "Eigentlich hätte ich | |
noch mehr Leute erwartet, aber die meisten glauben, dass nichts mehr zu | |
machen ist, dass der Weg der harten Sparmaßnahmen eine Einbahnstraße ist, | |
die wir und unsere Kinder gehen müssen", sagt Eleni Komsopoulou, die mit | |
ihrer sechsjährigen Tochter unter einem Plakat der Bediensteten der | |
Präfektur marschiert. | |
"Die Maßnahmen sind ungerecht. Weg mit dem IWF" steht auf dem Plakat. Die | |
Mehrheit der Griechen denkt so - obwohl die meisten keine Ahnung davon | |
haben, was der Internationale Währungsfonds überhaupt ist. Sie bezeichnen | |
die Maßnahmen als ungerecht. Hochgerechnet verliert jeder Grieche | |
mindestens 20 Prozent seines Einkommens. Wegen der Lohn- und | |
Pensionskürzungen. Wegen des Anstiegs der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent. | |
Wegen des Anstiegs der Mineralölsteuer. Benzin kostet über 1,60 Euro pro | |
Liter. Vor ein paar Monaten waren es noch 1,20 Euro. | |
Für die Besserverdiener - in Griechenland ist man das mit 3.000 Euro im | |
Monat - sind die Einschnitte hart, aber noch zu verkraften. Aber für den | |
Durchschnittsbürger, der 1.300 Euro im Monat verdient, und für die sozial | |
Schwachen ist es ein Desaster. "Natürlich müssen wir unser Land sanieren. | |
Aber wie immer werden die kleinen Leute die Zeche bezahlen, und am Ende | |
werden wir sowieso pleitegehen", sagt Manolis Apostolou, ein | |
Gymnasiallehrer, der sein ganzes Leben lang die jetzt regierende Pasok | |
gewählt hat. | |
Es sei für ihn "Ehrensache", mit seinen Kollegen zu marschieren, sagt der | |
Lehrer. Aber er glaubt nicht mehr, dass die Streiks etwas bewirken können. | |
Und er glaubt nicht mehr an seine Partei. Seine Wut, die kollektive Wut ist | |
noch still, aber sie ist da. Die Wut auf die Politiker jedweder Couleur. | |
"Scheiß auf den Staat" ist überall zu hören. Niemand glaubt, dass die | |
Regierung die exzessive Steuerhinterziehung bekämpfen wird. Niemand glaubt, | |
dass die privilegierten hohen Beamten, die Industriellen und die Reeder | |
ihren Anteil für das kollektive Opfer erbringen. Und niemand glaubt, dass | |
die Hauptschuldigen für die Zuspitzung der Schuldenkrise jemals bestraft | |
werden. Politiker, Bankiers, Spekulanten. | |
Der stille Demonstrationszug zieht weiter, wird größer. Und plötzlich sind | |
wieder die üblichen Randalierer da. Eigentlich könnte man sie sofort | |
isolieren, aber die Polizei will unbedingt ihre Macht demonstrieren. | |
Provokativ und unfähig, die Bürger zu verteidigen. Die Polizei setzt massiv | |
Tränengas ein. | |
Manolis Apostolou kann nicht mehr atmen, aber auch nicht wegrennen. Der | |
Gymnasiallehrer sagt: "Hoffentlich werden meine Enkelkinder emigrieren. | |
Hier haben sie keine Zukunft." | |
6 May 2010 | |
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