# taz.de -- Parteienforscher Walter: "Die CDU-Wähler bleiben zu Hause" | |
> Wahlenthaltung ist die Protestform der bürgerlichen Milieus geworden, | |
> erklärt der Parteienforscher Franz Walter. Das Revival von Rot-Grün sei | |
> "interessant", der veränderte Bundesrat nicht überzubewerten. | |
Bild: Nach dem Kirchgang zur Wahl: Das war mal. | |
taz: Herr Walter, erleben wir ein Comeback von Rot-Grün? | |
Franz Walter: Das Revival von Rot-Grün ist schon interessant. Man hatte ja | |
den Eindruck, als wäre dieses Bündnis auf Dauer out. Doch bemerkenswert | |
war, in den letzten Wochen zu verfolgen, dass gerade viele frustrierte | |
SPD-Wähler Rot-Grün mit den schönen Zeiten assoziierten: kulturelle | |
Neuerung, mehr Toleranz, sozialökologisches Projekt. Agenda 2010, Hartz IV, | |
1-Euro-Jobs - das war Schröder oder Clement. Aber nicht Rot-Grün. | |
Sagt das NRW-Wahlergebnis mehr über Jürgen Rüttgers aus oder mehr über | |
Angela Merkel? | |
Rüttgers geht es 2010 wie Sigmar Gabriel 2003. Beide lagen als | |
Ministerpräsidenten einige Monate zuvor gut und sicher vor ihren | |
Gegenkandidaten. Dann kamen die Bundestagswahlen; das Volk war bald empört | |
und strafte bei den ersten Landtagswahlen die Kanzler(innen)partei ab. Das | |
ist übrigens eine Konstante in der bundesdeutschen Geschichte. Dennoch: Die | |
NRW-CDU ist in den vergangenen Wochen regelrecht implodiert, hat ohne Kraft | |
und Gegenwehr den Einbruch hingenommen. | |
Zur SPD sind die CDU-Wähler aber offenbar nicht gegangen … | |
Nein, in NRW bestätigt sich offensichtlich ein Trend, der seit 2005 fast | |
alle Landtagswahlen beherrscht hat: Das angeblich sozialdemokratische | |
Problem, dass die Wähler enttäuscht zu Hause bleiben, ist längst bei der | |
Union angekommen. Wahlenthaltung ist die Protestform der bürgerlichen | |
Milieus geworden. Nur die Bundestagswahl hat zuletzt diesen Trend | |
unterbrochen. | |
Wählte das enttäuschte Bürgertum nicht bislang FDP? | |
Nun, die Rolle als Ventilpartei für frustrierte Bürger hat die FDP jetzt | |
wahrhaftig verspielt. Dafür hat sie einfach zu viel falsch gemacht. Das | |
Ventil ist verstopft. | |
Na ja, in NRW hat sie ihr Ergebnis gehalten. | |
Es kommt aber auf den Vergleich mit der Bundestagswahl an: Im September | |
2009 erzielte die FDP in NRW 14,9 Prozent - das hat sie jetzt mehr als | |
halbiert. Die guten CDU-Ergebnisse von 2005 dagegen waren ein Ausrutscher | |
und nicht etwa ein Votum für Jürgen Rüttgers. Die Leute reagierten damals | |
auf Rot-Grün im Bund. Zur Bundestagswahl vergangenen September hatte die | |
CDU in NRW 33,1 Prozent. | |
Alle, die Schwarz-Grün wollten, sind mächtig enttäuscht. | |
Die vielbeschworene Idee von der "Scharnierpartei", von den "Grünen, an | |
denen keiner vorbeikommt", erfüllt sich vorläufig nicht. Mein Mitleid mit | |
den Schwarz-Grün-Fans hält sich allerdings in Grenzen. Mit der Masche, | |
Lagerwahlkämpfe zu führen, dabei aber bauernschlau andere Koalitionen | |
anzupeilen, nimmt man den Bürger nicht ernst. Das könnte übrigens auch ein | |
Grund sein, warum etliche Leute nicht mehr zur Wahl gehen. | |
Gibt NRW überhaupt noch den Trend für den Bund vor? | |
In vieler Hinsicht ist NRW kein Pionierland mehr, die Bundesländer haben | |
sich auseinanderentwickelt. Richtig aber ist, dass NRW enorm wichtig für | |
die Machtverteilung im Bund bleibt. Eine SPD-geführte Koalition in NRW | |
würde die SPD-Bundesspitze ins Zentrum der Verhandlungen rücken. Dann | |
schauen alle auf Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier - und keiner | |
mehr auf Guido Westerwelle. | |
Bislang haben alle gedacht, die Regierung Merkel begänne nach der NRW-Wahl | |
erst richtig zu regieren. Jetzt sieht es so aus, als würde ab heute erst | |
recht nicht mehr regiert. | |
Ach, es wird doch keine Bundesratsblockade geben. Das ist auch so ein | |
Klischee. Unterschiedliche Mehrheiten zwischen Länderkammer und | |
Zentralparlament hat es über viele Jahrzehnte gegeben, aber | |
Brachialblockaden gerade zwei Mal. Im Grunde ist der Vermittlungsausschuss | |
ein Kerninstitut des bundesdeutschen Parlamentarismus. Und diesen | |
Mechanismus bedient die Kanzlerin im Prinzip brillant. Aber klar: Dafür | |
braucht man Autorität. Und die ist angekratzt. | |
10 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüne, SPD und Linke: Die drei Siegerinnen | |
Die Grünen im Aufwind, ihre Themen sind in der Mitte der Gesellschaft | |
angekommen, die SPD wiedererstarkt – und die LINKE hat sich im Westen | |
etabliert. Analysen zur NRW-Wahl. | |
Schwarz-Gelb in NRW abgewählt: Klatsche für Merkel und Westerwelle | |
Nach sechs Monaten verliert Schwarz-Gelb die erste Testwahl und die | |
Mehrheit im Bundesrat. Kanzlerin Angela Merkel muss jetzt auf SPD und Grüne | |
zugehen. | |
Amtliches Wahlergebnis NRW: Hannelore Kraft doch nicht vorn | |
Die Hochrechnungen des frühen Abends fielen zu SPD-freundlich aus. Am Ende | |
ist Rüttgers CDU doch vorn. Und auch für Rot-Grün reicht es nicht. | |
Kommentar NRW-Wahl: Das Ende von Schwarz-Gelb in Berlin | |
Die Niederlage von Schwarz-Gelb in Düsseldorf ist mehr als bloß eine | |
verlorene Landtagswahl. Sie läutet das zähe Ende der Merkel-Westerwelle | |
Regierung ein. | |
Schwache Opposition: Die SPD kommt nicht in Fahrt | |
Trotz der Schwäche der Bundesregierung kann die Opposition nicht punkten. | |
Die Linke zerfleischt sich, die SPD kämpft mit der Vergangenheit. Sie wirkt | |
immer noch wie eine Nebenregierung. |