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# taz.de -- Kirche und Körper: Ihr könnt uns mal
> Die aktuellen Missbrauchsfälle sind auch ein Widerhall der
> menschenfeindlichen Sexualmoral der Kirchen in den Fünfzigerjahren.
Bild: Beide Kirchen haben nichts unversucht gelassen, das Sexuelle zu verteufel…
BERLIN taz | Vielleicht lässt sich die Debatte um Züchtigungen und
sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche so zusammenfassen: Alle
Fälle taugen für Skandale. Was früher unter der nachtklammen Decke der
peinsamen Verschwiegenheit gehalten worden wäre, ist nicht mehr zu
verheimlichen. Kein Priester kann sich noch erlauben, ein ihm
schutzbefohlenes Kind sexuell zu berühren, ohne zu wissen, dass ihm dies
Job und den Leumund kosten kann.
Keine noch so gottesfürchtige Eltern können es sich mehr leisten, im Namen
des Herrn und der Seligkeit des Klerus die Leiden seines Kindes für
unwichtig zu halten. Was - hauptsächlich - unter katholischen Amtsdächern
geschah und geschieht, ist nicht mehr okay. Das ist die Differenz zu den
Fünfziger-, Sechziger- und Siebziegerjahren, das ist die Differenz zu allen
Zeiten, in denen der Klerus glaubte, mit seinen Schäfchen im Grunde alles
machen zu können.
Mittlerweile ist die Debatte um Kirche und Körper weit über die Kreise der
ohnehin Interessierten hinausgewachsen. Einlassungen wie von Bischöfen, in
den Neunzigerjahren seien Ohrfeigen ("Watschn") noch gang und gäbe gewesen,
Hinweise von kirchlichen Würdenträgern, man habe in den Sechzigerjahren
züchtigende, demütigende Gewalt gegen Kinder und Jugendliche für ein
gewöhnliches, offenbar erfolgversprechendes Erziehungsmittel gehalten,
ernten kein Verständnis mehr, sondern allenfalls respektarmes Lachen und
bitteres Entsetzen.
Ob die Skandale um sadistisch anmutende Gewalt und sexuellen Missbrauch,
als deren prominentestes Opfer, besser: prominentester Täter, völlig zu
Recht der Augsburger Bischof Walter Mixa auf der Strecke blieb, dem
katholischen Klerus einen Reformprozess aufhalsen, ob all diese Vorfälle
eine Art jesuanisch inspirierte Wende im römisch-katholischen Klerus
einleiten, ist natürlich offen. Die frohe Botschaft aber mag lauten: In
einer säkularen Gesellschaft, in einem Staat, in dem der Klerus nicht mehr
die Definitionsmacht über das hat, was schicklich und was unreinlich ist,
kann einem das einerlei sein.
Beiden hiesigen Kirchen geht es wie den therapeutischen Disziplinen, etwa
wie der Psychoanalyse: Sie wirken nicht aus sich selbst heraus plausibel,
sondern müssen sich dauernd erklären. Ein homosexueller Patient, der an
gewissen Formen antischwulen Selbsthasses leidet, wird jede therapeutische
Kur meiden, die den Verzicht auf das homosexuelle Begehren bewirken will.
So wird es den christlichen Amtskirchen auch ergehen: Wer sich in die
hinein begibt und statt der Botschaft von jesuanischer Gesamtgeborgenheit
nur Drohungen erleiden muss, Angst erlebt und Gewalt, wird sie meiden - und
seinen oder ihren höchstpersönlichen Christenglauben nicht mehr in den
offiziellen Großreligionsgemeinschaften ausleben.
Das ist im Übrigen eine Entwicklung, die dem Vatikan Kummer bereitet. Worte
aus diesem Hause haben selbst bei einer CDU-Kanzlerin wie Angela Merkel
nicht dieses außerpolitische Gewicht, das sich über die Welt stellt und
mehr ein Befehl ist denn eine Meinung. Eine Kirche, reformiert oder nicht,
die ihre Mitglieder unzufrieden macht, kann auf Gefolgschaft nicht
vertrauen, wenn in ihr das allermeiste schiefläuft: Bange machen gilt nicht
mehr, Gott sei Dank.
Die Missbrauchsskandale, die in den vergangenen Monaten ruchbar gewordenen
sind, sind auch ein ferner Widerhall auf die Rolle der Kirchen in der
Nachkriegszeit. Zur Erinnerung: Beide Kirchen hatten auf ihre Weise sich
auf die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland einen Reim
gemacht. Sie begannen mit dem, was später Vergangenheitsbewältigung genannt
wurde. Und den Grund für das Übel des völkischen Regimes erkannten sie in
der Entfesselung des Bösen - und das Böse, so findet es sich in einer Fülle
von Schriften sowohl der katholischen wie der evangelischen Kirche der
Nachkriegszeit, war das Sexuelle, die Freizügigkeit, die Begünstigung des
Leiblichen, die Entfesselung.
Die sexuelle Verklemmung, die die Bewegung der Achtundsechziger abzutragen
hatte, war auch eine christlich gestiftete, und zwar eine, die in den
späten Vierzigerjahren wurzelt. Die Kirchen in Union mit den Regierungen
Konrad Adenauers trugen maßgeblich dazu bei, dass die Bundesrepublik die
Nazigesetzgebung zu Homosexualität beibehielt. Die Kirchen waren es, die
die Abtreibung in den Rang eines Kapitalverbrechens hoben - und bis heute
können es katholische Bischöfe nicht lassen, Frauen, die eine
Schwangerschaft mit einer Abtreibung unterbrachen, mit Holocausttätern
gleichzusetzen. Beide Kirchen, zuvörderst die katholische, haben nichts
unversucht gelassen, das Sexuelle zu verteufeln - und der römische Zweig
des Christlichen hält Sex für ein Begehren, das nur dann nicht sündig ist,
wenn es der Fortpflanzung dient.
Was es mit der römisch-katholischen Aufrichtigkeit auf sich hat, wenn es
ums Sexuelle geht, erfährt die Öffentlichkeit nun an den Fällen sexuellen
Missbrauchs, die bis in die Jetztzeit reichen. Man hört: Das Personal des
Klerus kommt erst dann richtig auf Touren, ist eine sexuelle Verheißung mit
Strafen, mit Sünden und mit Verboten behaftet. Wir erfahren: In den Reihen
der Kirche werden nicht jene Männer Priester, die sich, schwer genug, auf
ein zölibatäres Verständnis des Christendienstes einlassen möchten, sondern
vor allem Männer, denen eine bürgerliche Existenz als schwule Person zu
beschwerlich ist - und lieber unter zölibatären Falschzeichen das leben,
was sie nicht Sexualität nennen und im Praktischen wohl in erster Linie
masturbatorischen Handlungen nahekommt. Selbstbefriedigung an sich und gern
mit anderen, gerichtet auf Mädchen oder Jungs.
Wie gesagt: Ideologische Apparate wie die Kirche bieten auch Tröstliches,
Gutes, Schönes. All das Soziale, das Barmherzige, das Anteilnehmende. Doch
wir, das Publikum, erkennen in diesen Diensten oft nur den Vorwand für das
Eigentliche, das Gewalttätige, das Verhüllte, das Verklemmte. Und das ist,
weltlichem Verständnis gemäß, nichts als Heuchelei. Man fragt sich: Und
diese Kirchen maßen sich an, moralische Leitplanken zu setzen und immer
dann besonders laut zu werden, wenn sogenannte Werte berührt sind? Hat die
katholische Kirche nicht allmählich genügend Gründe, kleinlaut zu werden
und vernehmlichere Tonlagen erst dann wieder anzuschlagen, wenn sie den
eigenen Laden einer gründlichen Inventur unterzogen hat?
Wahrscheinlich ist der römische Klerus samt seinen deutschen Filialen von
solch einer Läuterung so weit entfernt wie die Philister selbst von der
biblischen Botschaft. Zuversicht stiften zumindest die viel lebendigeren
protestantischen Kirchen. "Seid fruchtbar und mehret euch" wird in diesen
christlichen Zweigen nicht mehr als Kampfformel missbraucht: als Credo des
Christlichen, das nicht auf die Lust des Lebens vertraut, sondern als
Fingerzeig, das sexuelle Durcheinander in Hinblick auf die Kinderproduktion
zu sortieren. Das biblische Schnipselchen meint ohnehin, modern gedeutet,
nur dies: Seid als Christen so, dass ihr für die jesuanische Botschaft
einstehen könnt - und sammelt um euch herum mehr Menschen, die diesem
Programm dienen möchten. Eben nur als Satz, der über jeder jesuanischen
Tafel schweben könnte, nicht als Anmutung, die aus dem Sexuellen alles
aussparen möchte, das in die Zeugungsformel nicht passen kann.
Dass insofern auch die protestantischen Kirchen nicht mehr ein Hort für
jene sein können, die bekennenderweise die Verfolgung Homosexueller
gutheißen - wie etwa die besonders in Osteuropa tätigen, missionarisch
orientierten Freikirchen -, wäre nur logisch. Die schwedisch-lutherische
Kirche hat diese Freiheit sich genommen: Wer aus ihr austrat, weil sie
nicht Mitglied einer Institution sein wollen, die eine lesbische Theologin
wie Eva Brunne zur Bischöfin von Stockholm wählte, kann nicht bedingungslos
wieder in den Schoß der Kirche zurück. Er oder sie sollen sich erklären -
und sagen, was sie bewog, eine Glaubensgemeinschaft zu verlassen, weil
diese in ihrer Mehrheit nicht bereit ist, Homosexuelle zu entwerten, zu
diskriminieren, zum Schweigen zu bringen.
So weit sind die deutschen protestantischen Kirchen noch nicht. Aber
immerhin: Sie anerkennen das Institut der Eingetragenen
Lebenspartnerschaft, das allein ist ein gravierender Unterschied zu
katholischen Einrichtungen. In den protestantischen Kirchen hingegen können
Christinnen und Christen zu PastorInnen gewählt werden, die lesbisch oder
schwul sind. Und die mit ihren PartnerInnen im Pfarrhaus zusammenleben
möchten. Für viele Christen ist allein diese Vorstellung noch eine
Zumutung.
Aber was solls, ließe sich argumentieren: Jesus Christus von Nazareth war
in seiner Zeit nichts als eine solche. Zumutungen sind der Grund für die
Gründung dieser Religion gewesen. Das, zumindest das, sollte man ernst
nehmen.
Die sexuelle Verklemmung, die die Bewegung der Achtund-sechziger abzutragen
hatte, war auch eine christlich gestifteteHat die katholische Kirche nicht
genügend Gründe, vernehmlichere Tonlagen erst dann wieder anzuschlagen,
wenn sie den eigenen Laden einer gründlichen Inventur unterzogen hat?
12 May 2010
## AUTOREN
Jan Feddersen
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