# taz.de -- Teilnehmerinnen der Islamkonferenz: "Es ist nicht gottgewollt zu le… | |
> Hamideh Mohagheghi und Armina Omerika gehören der neuen Islamkonferenz | |
> an. Ein Gespräch über Gleichberechtigung und Schnaps, Partisaninnen und | |
> Mädchen, die mit 18 heiraten wollen. | |
Bild: Hamideh Mohagheghi (li) und Armina Omerika | |
taz: Frau Mohagheghi, Frau Omerika, Sie sind beide erstmals in der | |
Islamkonferenz vertreten. Der Bundesinnenminister will dort als eines von | |
drei großen Themen über Gleichberechtigung reden. Haben Sie | |
Gesprächsbedarf? | |
Hamideh Mohagheghi: Ich persönlich? Nein! Aber in traditionellen, | |
islamischen Familien gibt es Frauenbilder, die innerislamisch stark einer | |
Diskussion bedürfen. | |
Armina Omerika: Allerdings. Aber meine persönlichen Erfahrungen sind auch | |
andere. Ich komme aus Bosnien-Herzegowina, aus einem säkularen Umfeld, und | |
unter dem Einfluss der Kommunisten war das Thema Gleichberechtigung der | |
Geschlechter nie ein Problem. Im meiner Familie gibt es eine Linie von | |
starken Frauen, die aus traditionellen Rollenmustern herausfallen, meine | |
Großmutter zum Beispiel war Partisanin im Zweiten Weltkrieg. Aber in einem | |
größeren Umfeld gibt es schon bestimmte Erwartungen, die eine Frau erfüllen | |
soll. | |
Welche? | |
Omerika: Dass sie beispielsweise schnell heiraten und Kinder kriegen – und | |
am besten auch noch gleichzeitig berufstätig sein soll. Aber das ist nicht | |
unbedingt eine religiöse Erwartung. Und unterscheidet sich gar nicht so | |
sehr von den Vorstellungen konservativer, deutscher Familien. | |
Mohagheghi: Meine Mutter ist mit 36 Jahren Witwe geworden, wir sind fünf | |
Kinder. Aus finanziellen Gründen war klar, dass die Mädchen so schnell wie | |
möglich heiraten sollten. Meine älteren Schwestern haben mit 16 geheiratet, | |
ich war die jüngste und sollte das auch. Dagegen habe ich mich gewehrt. Ich | |
wollte weiter zu Schule gehen und studieren. | |
Wie haben Sie sich durchgesetzt? | |
Mohagheghi: Ich habe die vorgeschlagenen Bewerber abgelehnt und nach und | |
nach musste meine Mutter das akzeptieren. Ehen wurden im Iran ja | |
vermittelt, aber man hatte die Möglichkeit, Nein zu sagen. Das ist der | |
Unterschied zur Zwangsehe. | |
Omerika: Als ich nach Deutschland gekommen bin, hat mich jemand gefragt, ob | |
ich versprochen bin und ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet. | |
Arrangierte Ehen, Zwangsehen oder auch Polygamie kenne ich aus der | |
bosnischen islamischen Tradition nicht. Ich beobachte sogar unter Bosniaken | |
in Deutschland oft, dass Eltern wollen, dass ihre Töchter zur Schule gehen, | |
studieren, Berufe erlernen, aber die Mädchen verzichten darauf, um mit 18 | |
oder 19 zu heiraten. | |
Frau Mohagheghi, Sie tragen ein Kopftuch - hat das irgendetwas mit dem | |
Thema Gleichberechtigung zu tun? | |
Mohagheghi: Für mich nicht, nein. Ich bin mit Kopftuch aufgewachsen, ich | |
fühle mich damit wohl. Ich hatte diese Phasen, habe es mal abgesetzt, dann | |
wieder aufgesetzt. Aber ich persönlich halte das Kopftuch nicht für ein | |
religiöses Gebot, wie manche das tun. Diese Aussage im Koran, dass Frauen, | |
übrigens auch Männer, sich bedecken sollen, kann man unterschiedlich | |
interpretieren. Wenn das Kopftuch als religiöse Pflicht verstanden wird, | |
sagt man: Die Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen eine Sünde. Das ist | |
für mich problematisch. | |
Wie sehen das Ihre Töchter? | |
Mohagheghi: Sie tragen beide kein Kopftuch, die Ältere ist mit einem | |
Deutschen verheiratet. Wir haben immer gesagt, wir leben etwas vor, aber | |
die Kinder sollen selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen. | |
Als Eltern wünscht man sich natürlich, dass die Kinder den gleichen Weg | |
gehen, vor allem wenn man davon überzeugt und damit glücklich ist. | |
Emotional ist es nicht immer einfach, wenn sie sich anders entscheiden. | |
Omerika: Ich trage ja kein Kopftuch, aber von Freundinnen weiß ich, was | |
auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Dass die Motive, warum | |
muslimische Frauen das Kopftuch tragen, vielfältig sind. Und es ärgert | |
mich, dass das meist außer Acht gelassen wird und nur von Zwang und | |
Unterdrückung die Rede ist. | |
Frau Mohagheghi, haben Sie schon einmal negative Erfahrungen gemacht, weil | |
Sie ein Kopftuch tragen? | |
Mohagheghi: Nach dem 11. September gab es schon komische Blicke, aber | |
angesprochen oder gar angegriffen worden, wie es anderen passiert ist, bin | |
ich nicht. Ich hatte ja das Glück, dass ich als Erwachsene nach Deutschland | |
gekommen bin und fertig studiert hatte, ich musste mir nicht auf dem freien | |
Markt einen Praktikumsplatz oder eine Arbeit suchen. Da höre ich immer | |
wieder von Problemen. | |
Omerika: Wie das Kopftuch wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, wo man | |
ist. Im Ruhrgebiet ist es das normalste der Welt, aber in Erfurt in | |
Thüringen, wo ich zwei Jahre gearbeitet habe, passiert es, dass eine Frau | |
mit Kopftuch ein Taxi von der Arbeit nach Hause nimmt, weil sie sich nicht | |
sicher fühlt. Übrigens glaube ich, dass sich die Mehrheitsgesellschaft | |
nicht besonders dafür interessiert hat, ob muslimische Frauen unterdrückt | |
werden, solange sie als Fabrikarbeiterinnen oder Putzfrauen gearbeitet | |
haben. Aber als sie angefangen haben, Rechte für sich zu beanspruchen, zum | |
Beispiel als Lehrerin, da wurde es ein Thema. | |
Mohagheghi: Und es ist gut, dass das - und der Islam überhaupt - endlich | |
ein Thema ist. Nur die Ansätze sind manchmal schlecht: Man geht von | |
Sicherheit und Terror aus, theologische Diskussionen werden viel zu wenig | |
geführt. | |
Omerika: Es wird doch schon lange über den Islam geredet, nur haben die | |
Muslime wenig über sich selbst gesprochen. Dass sie jetzt an diesen | |
Diskussionen teilnehmen, ist positiv, auch wenn das noch lange nicht | |
ausreicht. Aber in welchen Zusammenhängen diskutiert wird, ist schwierig. | |
Entweder es geht um Gewalt oder darum, dass der Islam nicht mit | |
westlich-aufgeklärten Gesellschaften kompatibel ist. Da ist natürlich sehr | |
viel Ignoranz und Unkenntnis im Spiel gegenüber den Reformen, die es ja | |
seit mindestens einem Jahrhundert im Islam gegeben hat. Auf der anderen | |
Seite führt das häufig zu einer apologetischen Haltung und einer gewissen | |
Verklärung des Islams unter den Muslimen. Die Weise, wie die Muslime den | |
Islam gelebt haben, ist ohnehin viel lockerer als die religiösen | |
Vorschriften. In Bosnien-Herzegowina kann ein Mann, der regelmäßig sein | |
Gebet verrichtet, durchaus Schnaps trinken. | |
Mohagheghi: Man kann den Koran eben unterschiedlich verstehen. Es gibt | |
Muslime, die das Alkoholverbot nicht absolut sehen. Sie sagen, dass der | |
Nachteil des Alkohols ist, dass man im berauschten Zustand Dinge tut, die | |
nicht menschenwürdig sind. Aber ein Glas ist okay. Der Koran ist ein | |
Offenbarungsbuch, das in einem historischen Kontext entstanden ist. Nicht | |
alle Inhalte sind in ihrem äußeren Wortlaut auf heute zu übertragen. Es ist | |
die ewige innere Botschaft, die erfasst werden muss. | |
Omerika: Aber was macht man mit einem Moslem, der sagt: Dieses Buch gilt | |
wortwörtlich für alle Zeiten? Ich habe solche Debatten mit meinem Vater, | |
der dann sagt: Aber es steht doch so im Koran. Und wenn in den Familien | |
Gewalt gegen Frauen und Mädchen religiös begründet wird, dann dürfen wir | |
das nicht wegleugnen. | |
Mohagheghi: Da hilft nur Bildung, auch religiöse Bildung. Huda, unser | |
Netzwerk für muslimische Frauen, bietet seit 1997 telefonische Beratung für | |
Frauen an; in dieser Arbeit erfahren wir immer wieder, dass noch eine Menge | |
zu tun ist, um die Frauen davon zu überzeugen, dass es nicht Gott gewollt | |
ist, dass sie leiden. Diese Vorstellung, dass sie durch das Leid auf dieser | |
Welt einen Platz im Paradies erwerben, hält sie davon ab, über ihr Leben zu | |
entscheiden. Das muss aus den Köpfen raus. | |
Omerika: Diese Debatte müssen wir innerislamisch führen. | |
Mohagheghi: Da passiert schon einiges. Bei uns in Hannover gibt es seit 20 | |
Jahren eine Frauengruppe. Manche der Frauen haben es vor einigen Jahren | |
nicht gewagt, ihre Meinung zu sagen. Heute können sie - mit theologischer | |
Begründung - auch zu ihren Männern mal Nein sagen, wenn von ihnen etwas | |
erwartet wird, das weniger mit der islamischen Lehre, sondern mit einer | |
bestimmten islamischen Kultur zu tun hat. | |
Omerika: Der islamische Religionsunterricht ist dafür enorm wichtig: Kinder | |
und Jugendliche müssen von klein auf lernen, kritisch mit der Religion | |
umzugehen, ohne dass gleich der Abfall vom Glauben droht. | |
Mohagheghi: Das Problem ist, dass der Staat für die Einführung des | |
Religionsunterrichts einen Ansprechpartner ähnlich den Kirchen will, wir | |
diesen aber nicht haben. Schaffen wir also Organisationen, die atypisch für | |
den Islam sind? Es wäre auf jeden Fall fatal, wenn der Staat sich auf einen | |
Verband oder eine Organisation festlegen würde. | |
Omerika: Die Verbände als religiöse Organisationen haben ohne Frage ihre | |
Berechtigung. Das Problem entsteht, wenn sie für sich beanspruchen, den | |
Islam in seiner Gesamtheit zu repräsentieren, denn sie können nicht für | |
alle Muslime hierzulande sprechen. Aber ich denke, dass dies mittlerweile | |
auch in der Öffentlichkeit angekommen ist. | |
Was kann die Islamkonferenz bei all dem bewirken? | |
Omerika: Sie kann die Debatte versachlichen. | |
Mohagheghi: Und dazu beitragen, dass wir irgendwann diese Extraräume für | |
Muslime nicht mehr brauchen, weil ihre Belange gesamtgesellschaftlich | |
diskutiert werden. | |
*** | |
Hamideh Mohagheghi, 55, ist im Iran geboren und studierte in Teheran Jura. | |
In Hamburg kam ein Studium der islamischen Theologie dazu. Die gläubige | |
Muslimin ist Mitbegründerin des Frauennetzwerks Huda, Vorsitzende der | |
Muslimischen Akademie in Deutschland und Lehrbeauftragte für islamische | |
Theologie an der Universität Paderborn. Sie ist verheiratet und hat zwei | |
Töchter. | |
Armina Omerika ,33, ist in Mühlheim/Ruhr geboren, in | |
Mostar/Bosnien-Herzegowina aufgewachsen und lebt seit ihrem 14. Lebensjahr | |
wieder in Deutschland. Die Islamwissenschaftlerin, die derzeit an der | |
Universität Bochum arbeitet, praktiziert ihre Religion nicht, versteht sich | |
aber als Muslima. | |
13 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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