Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kulturelle Landpartie: Der Kosmos zu Gast im Wendland
> Der kulturelle Arm der Anti-Atom-Bewegung lädt seit Himmelfahrt wieder
> ins Wendland. Zu sehen sind Installationen zu den Schwingungen des
> Wassers, und ein mobiles Kino zeigt Filme über die jüngste Menschenkette
> gegen Atomkraft.
Bild: Findet sich zuweilen an überraschenden Orten: Kunst im Wendland.
In die Bäume hinter seinem Haus hat Erich Bäuerle Steine gehängt. Gibt er
ihnen einen leichten Stoß, schwingen sie an ihren dünnen Seilen hin und
her. Manche Pendel beschreiben Achten und andere, noch kompliziertere
Figuren. Die Zuschauer sehen, wie sich ein Stein nach immer neuen Kurven
und Kreisen genau an seinen Ausgangspunkt zurück bewegt. "Ein bestimmter
Druck erzeugt bestimmte Schwingungen", sagt Bäuerle. "Das lässt sich alles
genau berechnen."
Vor 14 Jahren ist der Meeresphysiker von Kiel, wo er an der Uni arbeitete,
in das Dörfchen Moislingen im Wendland gezogen. Genau so lange beteiligt er
sich schon mit eigenen Installationen an der "Kulturellen Landpartie", bei
der jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten Aussteiger, Künstler und
Kulturschaffende ihre Ateliers und Werkstätten öffnen.
"Moislinger Wasseransichten" nennt Bäuerle seinen Parcours. Außer den
Pendeln besteht er aus einer Vielzahl mit Wasser gefüllter Gefäße. Bäuerle
schlägt eine Metallschale an, ein tiefer Brummton entsteht und verstärkt
sich, auf der Wasseroberfläche bilden sich Kringel und Muster. Als Bäuerle
seine Hände kurz ins kalte Nass taucht, zieht sich das Wasser wie eine
Qualle auseinander und wieder zusammen. "Ich lausche mit meinen Händen, wie
das Wasser gern schwingen würde", sagt der Wissenschaftler.
Bäuerle bringt Wasser in Bewegung, er lässt es sprudeln und schwappen,
erzeugt Wellen und Strudel und gibt blaue Tintentropfen in die Behälter, wo
sie sich in formschöne Rosetten und Kränze verwandeln. Fast zwei Stunden
dauert die Runde über das Grundstück. Keiner der rund 40 Teilnehmer ist
vorher gegangen, die meisten Kinder wollen nach der Führung weiter
experimentieren.
Zum elften Mal findet die "Kulturelle Landpartie" dieses Jahr statt, an
zahlreichen Orten gibt es Ausstellungen, Konzerte, Kabarett und
Theateraufführungen. Viele Angebote richten sich insbesondere an gestresste
Städter: Therapeuten offerieren in Gärten und Scheunen Reiki,
Medizinradarbeit und Massagen. In Mützingen verspricht "Shin Tai und
Shiatsu in beheizter mongolischer Jurte" Heilung. Wem das nicht hilft, kann
es ein paar Zelte weiter mit "Vitametik" oder tibetischen Klangmassagen
probieren oder einen Workshop für zentralasiatischen Ober- und
Untertongesang besuchen.
Weithin sichtbar sind die Landschaftskunstaktionen. Über die ehemalige
deutsch-deutsche Grenze verbinden Fahnen, gemeinsam von Künstlern und
Besuchern gestaltet, das niedersächsische Wendland mit der
sachsen-anhaltinischen Altmark. In einem Garten in Güstritz hängt eine
Konstruktion, die den Metallzaun, der das Land bis vor 20 Jahren teilte,
wieder zusammenschieben soll. Jeden Tag ein Stückchen mehr.
An fast allen der rund 100 Ausstellungspunkten werden die Besucher mit
selbst gebackenen Kuchen und regionalen Spezialitäten verwöhnt. Eine
Wohngemeinschaft bewirtet Gäste mit "Brennessel-Tapas" und "zapatistischem
Bio-Kaffee". Es gibt fangfrischen Fisch aus Gorleben und Bratwurst vom
Wildschwein aus den weitläufigen Wendland-Wäldern. Und in Kussebode jeden
Tag eine Führung durch die kleine Brauerei, die seit ein paar Jahren das
heimische "Wendland-Bräu" vertreibt.
Obwohl viele Gäste mit dem Rad unterwegs und in den meisten Orten
provisorische Parkplätze ausgewiesen sind, kommt es auf den schmalen
Dorfstraßen bisweilen zum Chaos. Als zur besten Kaffeezeit in Bülitz alle
Wege zugeparkt sind, müssen Clowns mit bunten Staubwedeln zwecks
Verkehrslenkung einschreiten.
Ein großes Thema ist natürlich die Atomkraft und der Widerstand dagegen. 20
Maler und Bildhauer präsentieren in Jameln die Ausstellung "Was Künstler
zur Atomkraft sagen". In einer ehemaligen Sargtischlerei in Hitzacker
werden Ideen für eine alternative Nutzung des Gorlebener Salzstocks
vorgestellt und prämiert. Über die Dörfer tuckert auch ein kleiner grüner
Trecker mit blauem Anhänger, in dem sich ein mobiles Kino befindet.
"Contratom" und "Graswurzel TV" zeigen dort Filme über die
Anti-Atomkraft-Menschenkette am 24. April und den jüngsten Treck der
Gorlebener Bauern nach Krümmel.
Rechtzeitig zur Landpartie, haben die Bürgerinitiative Umweltschutz
Lüchow-Dannenberg und die Organisation "Ausgestrahlt" überall im Wendland
große Plakate verklebt, um die Gäste zu einem weiteren Besuch im Wendland
einzuladen. Für den November, wenn der nächste Castortransport kommt.
17 May 2010
## AUTOREN
Reimar Paul
Reimar Paul
## TAGS
Wendland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kulturfestival im Wendland: Yoga im Obstgarten
Die „Kulturelle Landpartie“ im Wendland lockt mit 1.600 Veranstaltungen.
Das Festival geht auf den Protest gegen Atomanlagen und Castortransporte
zurück.
Protest gegen Atomkraft: Ein bisschen Müll für die Union
Wohin mit dem Atommüll? Aktivisten werfen der Union Haushaltsmüll vor die
Haustür, weil sie Kernkraftwerke laufen lässt - ohne einen Platz für die
hochradioaktiven Abfälle zu haben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.