# taz.de -- SHANGHAI: Alte Pracht mit neuen Fassaden | |
> Einst spiegelte der Luxus die Herrschaft der verhassten Kolonialisten | |
> wider. Heute ist er Symbol für den Erfolg eines neuen China. | |
> Betrachtungen beim Kaffee im Seegull Hotel. | |
Bild: Feuerwerk zur Eröffnung der Expo 2010 in Shanghai. | |
Es ist drei Uhr nachmittags auf der Terrasse des Seegull Hotels von | |
Schanghai, und der Kaffee kommt nicht. Drinnen hocken, erschöpft vom | |
Mittagsgeschäft, die Kellner und ignorieren nach Kräften ihre Gäste - ganz | |
so wie in alten Zeiten. Die Kunden nehmen es gelassen hin, milde gestimmt | |
von der Frühlingssonne und dem atemberaubenden Blick über den Fluss | |
Huangpu. | |
Von der Terrasse des Seegull Hotels hat man eine der schönsten Aussichten | |
auf die 20-Millionen-Einwohner-Stadt und Gastgeberin der "Expo 2010". Auf | |
der linken Seite, im Bezirk Pudong (wörtlich: "östlich vom Huangpu") | |
spiegelt sich die Sonne in den Fassaden des neuen Schanghai mit seinen | |
gläsernen Wolkenkratzern und den lilafarbenen Kugeln des Fernsehturms. | |
Viele dieser Türme gehören staatlichen Firmen, und nicht alle Stockwerke | |
sind schon bewohnt. Doch was da in den letzten Jahren entstand, ist | |
imposant, und es geht immer höher in den Himmel. Der Fernsehturm wirkt fast | |
schmächtig neben dem Jing-Mao-Tower, der wiederum vom japanischen | |
Finanzzentrum überragt wird, das wie ein riesiger Flaschenöffner aussieht. | |
Schon bald wird es von einem über 600 Meter hohen Gebäude übertroffen | |
werden. | |
Schanghai, Chinas Hafen- und Handelsmetropole, war in den letzten Jahren | |
etwas aus dem Rampenlicht geraten. Die Hauptstadt Peking hatte mit den | |
Olympischen Spielen viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. | |
Korruptionsskandale erschütterten die Stadt: Der vorige Parteichef, einst | |
mächtigster Mann Schanghais, sitzt im Gefängnis. | |
Im alten Puxi ("westlich vom Huangpu") auf der anderen Seite des Flusses | |
spazieren zehntausende Schanghaier und Touristen aus ganz China auf der | |
erweiterten Uferpromenade, dem "Bund". Die letzten Bauzäune sind | |
verschwunden, gerade rechtzeitig zum Start der Weltausstellung am 1. Mai. | |
Drei Jahre lang dauerte die Renovierung des Uferstreifens. Sie war Teil | |
eines städtischen Umbaus, der über 40 Milliarden Euro verschlang. Die einst | |
elfspurige Trasse ist auf vier Spuren verengt, die Autos werden in einen | |
Tunnel umgeleitet. | |
Mächtige Gebäude aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts säumen das | |
Ufer. Ihre behäbigen Mauern sind geputzt, Plaketten erinnern an die | |
Architekten und Bauherren von einst. Heute residieren hier, wie vor der | |
kommunistischen Zeit, internationale Banken, Büros, Luxusboutiquen, Hotels, | |
Galerien und schicke Restaurants. | |
Mit ihren Säulen, Türmchen, Jugendstilreliefs und herrschaftlichen | |
Aufgängen stammen die Bauten aus jener Zeit in der ersten Hälfte des | |
vergangenen Jahrhunderts, als Teile Schanghais von Briten, Franzosen und | |
anderen ausländischen Mächten regiert wurden. Es war die Zeit, in der | |
Schanghai als "Paris des Ostens" galt, wohin sich auch jüdische Flüchtlinge | |
aus Deutschland retten konnten. Es war ein Treffpunkt von Kaufleuten, | |
Abenteurern und Geheimdienstlern, wie es die deutsche Schriftstellerin | |
Vicki Baum in ihrem Roman "Menschen im Hotel" beschrieb. | |
Diese Zeit war, so lernen es chinesische Schulkinder im | |
Geschichtsunterricht, eine Periode nationaler Demütigung. Damals wurden | |
chinesische Bewohner in der "internationalen Konzession" und dem | |
"Französischen Viertel nur geduldet. Sie durften für die ausländische | |
Herrschaft putzen und kochen, sie verdingten sich als Träger und | |
Rikschafahrer, aber das Sagen hatten die Kolonialbeamten und ihre | |
Polizisten. | |
Die KP wurde in der Nähe gegründet, die damals nationalchinesische | |
Regierung bediente sich der Triaden, um den Revolutionär Mao zu bekämpfen. | |
1949 wurde alles anders: Von nun an sorgte die KP dafür, so steht es in den | |
Schulbüchern, dass die Schanghaier Herren im eigenen Haus wurden, als sie | |
die ausländischen Kapitalisten vertrieben. | |
Gleich neben dem Seegull Hotel steht nach wie vor das Russische | |
Generalkonsulat. In einer Vitrine künden alte Plakate von jenen ersten | |
Jahren des neuen Schanghai, als sowjetische Techniker und Ingenieure mit | |
ihren chinesischen Kollegen den Sozialismus aufbauten: "Um des Friedens und | |
des Glückes willen, lasst uns die Freundschaft stärken!" Von Frieden und | |
Glück ist auch in diesen Tagen der Weltausstellung mit ihrem Motto "Bessere | |
Stadt, besseres Leben" viel die Rede - vom Sozialismus und Mao Zedongs | |
Klassenkämpfen allerdings weniger. | |
Am Ufer des Huangpu und des kleineren Suzhou-Flusses und in den Geschäfts- | |
und Wohnblocks dahinter haben die Baukolonnen begonnen, die Erinnerung an | |
jene revolutionären Zeiten auszulöschen. Nun ist hier zum Beispiel das | |
Fünf-Sterne-Hotel Peninsula eingezogen, es wird bald das ehemalige | |
britische Konsulat daneben in einen Klub verwandeln. | |
Bis in die Achtzigerjahre lebten viele Schanghaier in diesem Viertel so | |
dicht gedrängt, dass manche Familien Zwischendecken einzogen, um genug | |
Platz für alle zu schaffen. Aufrecht gehen konnte man in diesen Behausungen | |
nicht. Inzwischen sind die Immobilienpreise in Schanghai so hoch wie in den | |
teuersten Metropolen der Welt. Schanghaier KP-Funktionäre wurden reich, | |
weil nur sie die Bodentitel vergeben können. Wer in der Nähe des Bund ein | |
paar Quadratmeter besitzt, ist Millionär. | |
Hunderttausende der früheren Bewohner mussten teuren Geschäften und neuen | |
Häusern weichen, gleichzeitig wurden alte Gebäude saniert, Zweckgebäude | |
beseitigt und nicht wenige wertvolle historische Bauten zerstört. Wer Glück | |
hatte, erhielt eine Entschädigung, mit der er sich in erreichbarer Distanz | |
eine neue Wohnung kaufen konnte. Wer Pech hatte - und das waren viele -, | |
landete irgendwo weit draußen. Wer protestierte, riskierte Hausarrest oder | |
Haft. | |
Nun kommt wieder die Pracht der vorrevolutionären Zeiten zum Vorschein, im | |
Art-Deco-Stil etwa wie die 1930 gegründete Druckerei der ehemaligen | |
Baptistenkirche. In der Yuanming-Yuan-Straße entsteht eine Fußgängerzeile | |
mit Luxusgeschäften. In einem gerade restaurierten Gebäude der "Royal | |
Asiatic Society" von 1932 in der Huqiu-Straße eröffnet in diesen Tagen das | |
"Rockbund"-Museum für moderne Kunst, dem der berühmte Feuerwerkskünstler | |
Chinas, Cai Guoqiang, seine Sammlung vermacht hat. | |
So lässt die Metropole Schanghai hier am Bund die Widersprüchlichkeit und | |
Verwirrung erahnen, mit der nicht nur ihre Bewohner, sondern wohl alle | |
Chinesen und der Rest der Welt heute fertig werden müssen: Da erscheinen | |
die alten Bauwerke, Wahrzeichen der verhassten Kolonialisten von einst, als | |
Symbole für den Erfolg eines neuen starken China unter der Regierung der | |
Kommunistischen Partei. | |
19 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
## TAGS | |
Reiseland China | |
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