# taz.de -- Kabarettist Dieter Hildebrandt: "Ich bleibe AZ-Abonnent" | |
> Kabarettist Dieter Hildebrandt hat ein Treueverhältnis zu seiner | |
> Abendzeitung. Einst spielte er den Klatsch-Fotografen Herbie Fried in | |
> Helmut Dietls Fernsehserie "Kir Royal". | |
Bild: Bleibt ebenfalls Anhänger von 1860 München: Dieter Hildebrandt, 82. | |
taz: Herr Hildebrandt, als Baby Schimmerlos' Fotograf Herbie Fried in "Kir | |
Royal" kriegten sie Blondinen ins Bett, weil die in die AZ wollten. So | |
potent war die AZ? | |
Dieter Hildebrandt: Na ja, die sogenannte Gesellschaftsspalte wurde nicht | |
von Herrn Graeter erfunden, sondern von seinem Vorgänger Hunter. Der hat | |
eine Art Schleuse eingerichtet: Wer prominent war, wurde bei ihm erwähnt, | |
wer nicht, wollte rein. Die Lokale waren damals wirklich voll mit Leuten, | |
die drauf gewartet haben, dass der AZ-Reporter reinkam. Und Schauspieler | |
riefen bei der AZ an, um zu sagen, wo sie gerade Hemden kaufen. Aber das | |
war noch bei Obermaier. Der war bösartig. Wem Obermaier Feindschaft | |
ansagte, der hatte ein Problem. Insofern hatte die AZ über diese | |
Gesellschaftspolitik schon eine Bedeutung. | |
Lesen Sie die AZ heute noch täglich? | |
Ich lese in dieser Reihenfolge: SZ, taz, Berliner Zeitung, Tagesspiegel und | |
Abendzeitung. Mit der AZ, das ist ein Treueverhältnis, ein bisschen | |
Vergangenheitspflege ist auch dabei. Die AZ ist in meinem Haus seit 1958. | |
Woher kommt die Treue? | |
Ihr Erfinder Werner Friedmann war ein Freund unseres Hauses, der Lach- und | |
Schießgesellschaft. Er wurde ja von der Familie Strauß zeitweise aus dem | |
Land vertrieben. Er kreierte damals von Italien aus die AZ als eine | |
Mischung aus Boulevardblatt und politischer Haltung. Das macht ihren | |
Charakter bis heute aus. Mit etwas verminderter Haltung und Qualität. | |
Was lesen Sie heute in der AZ? | |
Die Tagespolitik auf den Seiten 2 und 3, Feuilleton und Sport. | |
Lesen Sie auch die Konkurrenz tz? | |
Da schaue ich am Kiosk und kaufe oder auch nicht. Je nachdem, was auf dem | |
Titel steht. | |
Die tz macht Verbraucherjournalismus, die AZ stand immer für intelligenten | |
Humor. Kann man damit heute die Massen erreichen? | |
Offensichtlich nicht. Aber das Problem scheint mir generell, dass weniger | |
Werbebeilagen rausfallen als früher. Ich meine, dass die Qualität des | |
Journalismus noch nicht so merklich gelitten hat. Was einreißt, ist eine | |
Art von Haltungslosigkeit. | |
Hat sich der spannende Teil Münchens womöglich nach Berlin verlagert? | |
In Berlin gibt es diese Art von verkorkster Gesellschaft nicht, die in "Kir | |
Royal" zu beschreiben war. Noch nicht. Aber München war eine Stadt der | |
Schauspieler, Maler, Bildhauer. Das ist es heute nicht mehr. München ist | |
nicht mehr so interessant wie damals. | |
War es wirklich so interessant? | |
Ich denke schon. Diese Gesellschaft hat es wirklich gegeben, die | |
Geschichten in "Kir Royal" sind von einer penetranten Wahrheit. | |
Wer hat Zukunft: Politisches Kabarett oder Zeitungen? | |
Sie haben beide Zukunft. Aber die Zukunft wird sich nicht erweitern. Es | |
wird immer Leute geben, die ins Kabarett gehen. Leute, die Liveerlebnisse | |
suchen. Das Publikum ist seit langer Zeit gleichbleibend stark. Und den | |
Zeitungsleser wird es genauso geben. Online kann man nicht wegschmeißen und | |
nicht riechen. Eine Zeitung muss riechen. Zeitung ist etwas Sinnliches. | |
Bleiben Sie AZ-Abonnent? | |
Aber selbstverständlich. So wie ich auch Anhänger von 1860 München bleibe. | |
Das klingt eher fatalistisch. | |
Ein bisschen Wahrheit muss schon durchschimmern. | |
21 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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Abendzeitung | |
Dieter Hildebrandt | |
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