| # taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Eine humanitäre Tragödie auf Raten | |
| > Ein Zehntel der eigenen Bevölkerung als Vertriebene im eigenen Land: Die | |
| > zentralafrikanische Republik gerät außer Kontrolle. Rebellengruppen | |
| > machen sich breit, Wahlen ersatzlos gestrichen. | |
| Bild: Ein Mann sitzt in einem UNHCR-Fahrzeug, er will den Fluss überqueren von… | |
| BANGUI taz | Auf dem Tisch hat Muriel Cornelis eine Karte ausgebreitet. Sie | |
| zeigt viele bunte Punkte: Hier sollten eigentlich Hilfswerke arbeiten. | |
| Tatsächlich aber haben sich längst alle Helfer aus dem Norden und Nordosten | |
| der Zentralafrikanischen Republik zurückgezogen. | |
| Zu Recht, meint die Direktorin der Humanitären Abteilung der EU im Land. | |
| "Die Lage dort ist unvorhersehbar und explosiv." Seit Wochen kämpfen Armee | |
| und Rebellen, Tausende von Menschen sind aus ihren Dörfern geflohen. "Die | |
| lokale Bevölkerung wird von allen Konfliktparteien vertrieben, von | |
| Rebellen, Regierungssoldaten oder schlicht Banditen", sagt Annette Rehrl, | |
| UNHCR-Sprecherin im Süden Tschads. Nach ihren Zahlen leben 70.000 | |
| zentralafrikanische Flüchtlinge in Lagern im Tschad, dazu kommen 330.000 | |
| Vertriebene im eigenen Land – ein Zehntel der Bevölkerung. | |
| Die Krise in der Zentralafrikanischen Republik ist eine humanitäre Tragödie | |
| auf Raten. Vor anderthalb Jahren, als fünf Rebellengruppen und die | |
| Regierung des Präsidenten François Bozizé sich auf einen "Nationalen | |
| Dialog" einigten, schwiegen die Waffen für ein paar Monate. | |
| Doch bald wurde wieder gekämpft. Im Norden des Landes um Sido ist die | |
| "Demokratische Front des Zentralafrikanischen Volkes" (FDPC) aktiv, im | |
| Nordosten um Ndele die "Konvention der Patrioten für Gerechtigkeit und | |
| Frieden" (CPJP), deren Führer Charles Massi, ein ehemaliger | |
| Präsidentschaftskandidat, zu Beginn des Jahres in Militärgewahrsam starb. | |
| "Die jüngste Gewaltwelle im Norden geht auf das Konto einer Rebellengruppe, | |
| die sich zersplittert hat und in der es keinerlei Disziplin mehr gibt", | |
| beschreibt Edward Dalby von der International Crisis Group die Lage. "Die | |
| Rebellen haben aus Frust über den verschleppten Friedensprozess damit | |
| begonnen, willkürlich Menschen zu entführen und zu foltern." Die wenigen | |
| Regierungssoldaten sind ihrerseits unterbezahlt und schlecht ausgerüstet. | |
| So unsicher ist die Zentralafrikanische Republik, dass die für den 16. Mai | |
| geplante Präsidentschaftswahl kurz vorher vom Parlament auf unbestimmte | |
| Zeit verschoben wurde. Bozizé bleibt trotz Ablaufs seiner Amtszeit an der | |
| Macht. Wer in der Hauptstadt Bangui mit Regierungsvertretern spricht, die | |
| darauf bedacht sind, nicht zitiert zu werden, gewinnt zugleich das Gefühl, | |
| dass die Regierung das Land jenseits der Hauptstadt aufgegeben hat. | |
| "Im Hinterland herrschen Rebellengruppen und Straßenräuber", sagt Peter | |
| Weinstabel, der in Bangui die deutsche Botschaft vertritt. Deshalb sei die | |
| Zentralafrikanische Republik, trotz Gold, Diamanten und anderer wertvoller | |
| Mineralien, eines der ärmsten Länder der Welt. "Die Instabilität hält jeden | |
| Investor ab." Eine kleine Elite lebe von Ressourcen, die vor Jahrzehnten | |
| erwirtschaftet worden seien. | |
| Wo der Staat das Land im Stich lässt, machen sich Invasoren wie die | |
| ugandische "Widerstandsarmee des Herrn" (LRA) breit. Aus Uganda über den | |
| Kongo und Südsudan in die Zentralafrikanische Republik gekommen, nehmen die | |
| Übergriffe der LRA im Südosten des Landes zu. Mindestens zehn LRA-Überfälle | |
| hat das UNHCR seit Anfang Mai alleine in der Provinz Haut-Mbomou | |
| registriert. Mindestens 36 Bewohner wurden hingerichtet, mehr als 10.000 | |
| sind auf der Flucht. | |
| "Die LRA ist verzweifelt, ihre Kämpfer brauchen alles", beobachtet Muriel | |
| Cornelis. "Nahrung, Kleidung, Unterkunft, deshalb schlagen sie unbarmherzig | |
| zu." Augenzeugen berichten von niedergebrannten Dörfern, vergewaltigten | |
| Kindern und Opfern, denen die Lippen oder Ohren abgeschnitten wurden. | |
| Manchmal harren Flüchtlinge wochenlang im Wald aus, so Cornelis. "Das hier | |
| ist keine Krise im normalen Sinn", gibt die Belgierin zu. "Die | |
| Vertreibungen sind schlimm, aber noch auf einem vergleichsweise niedrigen | |
| Niveau." Dennoch seien Zugang zu Trinkwasser und Nahrung so katastrophal | |
| wie in Ländern, wo ein heftiger Krieg tobe oder sich eine Naturkatastrophe | |
| ereignet habe. "Das liegt daran, dass es seit Jahrzehnten keine Regierung, | |
| keine Ordnung mehr gibt." | |
| 27 May 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Marc Engelhardt | |
| ## TAGS | |
| Zentralafrikanische Republik | |
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