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# taz.de -- Montagsinterview mit Ellen Allien: "Ich habe keine Techno-Grenze"
> Für Ellen Allien, Berlins bekanntesten weiblichen DJ, ist die Club-Szene
> ihre "Familie". Bei der Jammerei über deren Veränderung will sie nicht
> mitmachen.
Bild: Ellen Allien vor einer Wand voller CDs und Platten
taz: Frau Allien, wann waren Sie zum letzten Mal tanzen?
Ellen Allien: Ich tanze eigentlich immer, wenn ich ausgehe. Das letzte Mal
war ich, glaub ich, in der Panorama Bar. Da geh ich gerne am
Sonntagnachmittag hin. Dann sind die Touristen weg und die Berliner kommen.
Da kann man dann auch mal Leute treffen, die man kennt.
Das Klischee, dass DJs selbst gar nicht mehr tanzen mögen, das stimmt also
nicht?
Für mich nicht. Aber ich kann auch die Kollegen verstehen, die lieber
zuhause bleiben: Wenn ich viel auflege, dann bin ich entsprechend oft
unterwegs in Europa. Das nabelt einen schon auch etwas ab von der Berliner
Szene. Aber ich gehe schon noch regelmäßig aus. Ich brauch das, ich muss
raus.
Und dann wird die Konkurrenz begutachtet?
Nein, darum geht es nicht. Ich versuche schon vor allem, mich zu amüsieren.
Ich schalte ab, ich versuche das zu genießen. Ich bin da ganz Konsument.
Wirklich? Selbst wenn plötzlich ein großartiges Stück läuft, das man sich
auch gut im eigenen Set vorstellen könnte?
Ich springe bestimmt nicht zum DJ-Pult, um rauszukriegen, was da gerade
läuft. Aber natürlich guckt man, wie die anderen das machen, allerdings
eher grundsätzlich: Wie füllen die den Raum aus? Es gibt ja auch viele
Methoden, den Groove aufzubauen, verschiedene Beat-Variationen: Latino,
Minimal, Breakbeats. Und natürlich vergleicht man sich: Ist das gut, was
ich mache? Und sich zu vergleichen, dazu hat man ja reichlich Gelegenheit.
Ist ja genug los, irgendjemand Interessantes legt immer auf. Das Wochenende
geht ja schon am Mittwoch los.
Werden Sie nach mehr als 20 Jahren als DJ von den typischen
Berufskrankheiten geplagt?
Hörsturz? Hatte ich noch nie. Ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich
ein Pfeifen in den Ohren, aber das ging links rein und rechts wieder raus.
Allerdings arbeite ich meistens auch mit Ohrstöpseln. Das aber weniger
wegen der Musik, deren Lautstärke ist gar nicht das Problem, sondern weil
ich mich im Club gern unterhalte - und wenn einem die Leute ins Ohr
brüllen, dann wird es gefährlich.
Viele ihrer Berufskollegen klagen über Rückenschmerzen.
Klar, wenn man viel im Flieger sitzt und die Platten schleppen muss, kann
das gefährlich werden. Aber die sind selbst schuld, wenn sie Rückenprobleme
kriegen, weil sie keinen Ausgleichssport machen. Ich mache schon immer viel
Sport, früher Akrobatik, heute vor allem Yoga. Ich nehme auch mal Drogen,
aber ansonsten ernähre ich mich gesund. Ich trinke kaum was, ich bin nach
einem halben Glas schon betrunken. Ich hab eher Probleme, dass ich wenig
schlafe und dann am nächsten Tag unkonzentriert bin.
Sie sollen schon als Achtjährige das erste Mal nachts in einer Disco
gewesen sein.
Stimmt. Wenn meine Eltern nicht da waren, aber meine Schwester am Freitag
unbedingt in den Club gehen wollte, dann hat sie mich mitgenommen.
Gab es da keine Türsteher?
Doch, aber den Türsteher kannten wir, weil er im selben Haus wohnte.
Wie haben Sie als Kind die Atmosphäre im Club empfunden?
Das war sehr prägend. Dieses Kribbeln war von Anfang an da. Und das hat
auch angehalten, als ich später offiziell in den Jugendclub gehen durfte
und noch später in die Clubs. Ich habe mich in Clubs immer zuhause gefühlt.
Ich hatte dort von Anfang das Gefühl, so etwas wie eine Ersatzfamilie
gefunden zu haben.
Mittlerweile macht die "Familie" ganz gute Geschäfte.
Stimmt, die Szene war zu Anfang viel anarchischer, auch durchaus
antikapitalistisch geprägt. Dann kamen die ersten großen, kommerziell
organisierten Raves wie der Mayday. Anfangs habe ich bei so etwas noch
nicht mitgemacht. Aber als ich mein eigenes Label aufgemacht habe, da
musste ich mich auch damit arrangieren. Das DJen hat sich in Europa zu
einem Massengeschäft entwickelt und ich habe dem Mayday nicht mehr
abgesagt. Damit habe ich in den letzten Jahren mein Geld verdient und
anfangs auch noch die Firma finanziert. Und plötzlich, ohne das selber
richtig mitzukriegen, ist man so etwas wie ein Star.
Wie äußert sich das? Werden Sie von Paparazzi und Stalkern verfolgt?
Nein. Das wär vielleicht anders, wenn ich blond wäre und aufgeblasene
Titten hätte. Ich habe eher ein cooles Image, ein Macher-Image. Da
reagieren die Leute ganz anders.
Vielleicht auch, weil Sie mittlerweile 40 Jahre alt sind.
Ja, das mag schon sein, dass die jungen Leute, die zu meinen Auftritten
kommen, schockiert sind, wie viele Jahre der DJ auf dem Buckel hat.
Ist das Publikum nicht mit Ihnen älter geworden?
Das ist sehr gemischt. Neben den Jüngeren gehen noch überraschend viele
Leute aus, die in meinem Alter oder sogar älter sind: Schwule oder andere
Leute, die keine Familie haben. Das Singleleben ist einfach weit
verbreitet. Die Clubs haben sich auch verändert: Es gibt nicht mehr nur
einen Dancefloor, sondern auch eine Bar oder sogar ein Restaurant. Das
haben auch die Betreiber gemerkt: Irgendwann kriegen die Leute doch Hunger.
Bis es so weit ist, ist ein guter Teil nach Hause gegangen, weil da jetzt
die Kinder warten.
Klar, ein paar haben auch Kinder. Die gehen dann nur noch drei Stunden
tanzen. Aber die Nächte werden nicht kürzer. Nur die Leute kommen und
gehen.
Verändert das die Stimmung im Club? Wird sie erwachsener?
Erwachsener? Wenn das abgeklärter heißen soll, dann habe ich nicht das
Gefühl. Das ist unglaublich, was da passiert an Energie. Man kommt in den
Club rein, alle sind aufgeregt, man spürt diese Erwartungshaltung. Und wenn
ich dann anfange aufzulegen, rasten alle aus: Das ist ein unglaublicher
Adrenalinstoß. Das ist reine Ekstase.
Der Club als Fluchtort?
Ja. Und das ist gerechtfertigt und wichtig.
Ihre neue Platte allerdings klingt sehr erwachsen. "Dust" ist kein reines
Dancealbum und einer der Tracks heißt sogar "Should We Go Home".
"Should We Go Home" handelt allerdings eher vom Gegenteil. Der Track beruht
auf einer Geschichte, als ich selber 35 Stunden ununterbrochen in der Bar
25 war und immer wieder jemand die Frage gestellt hat: Sollten wir jetzt
nicht besser endlich mal nach Hause gehen? Aber dann wurde es doch wieder
Tag und wieder Nacht, so lange, bis so ein esoterisches Feeling entstand.
Der Track soll eher erklären, wie ich mich fühle, wenn ich eben nicht nach
Hause gehe.
Wie lange kann man das machen? Gibt es keine körperliche Grenze?
Ich habe keine Techno-Grenze. Das kann jahrelang so gehen. Nur wenn ich
schwanger werden wollte, dann wäre das wohl die Grenze. Aber ich liebe das,
was ich mache, ich liebe das Reisen. Als Mutter könnte ich meinen Beruf
nicht mehr ausüben, aber mein Beruf macht mir so viel Spaß, dass ich aufs
Kinderkriegen bisher gern verzichtet habe.
Als Vater scheint es aber zu gehen.
Richtig, es gibt immer mehr Kollegen, die jetzt Kinder haben. Modeselektor
zum Beispiel. Wenn die mit ihren Kinder vorbei kommen, dann darf ich die
mal hochnehmen, und da zerspringt schon mein Herz. Ricardo Villalobos hat
zwei Kinder, Richie Hawtin hat ein Kind.
Das sind alles Männer.
Klar ist das ungerecht, die Männer dürfen weitermachen, während ihre Frauen
zuhause sitzen.
Wie fühlen Sie sich da?
Prinzipiell habe ich mich immer ganz wohl gefühlt als Frau in einer
Männerdomäne. Auch weil ich das Gefühl habe, dass ich dafür auch mehr
Respekt entgegengebracht bekomme. Aber was ich bemerkt habe: Männer sind
vernetzter miteinander. Es gibt große Cliquen, die sich untereinander
unterstützen. Da bin ich als Frau manchmal außen vor. Das passiert nicht
oft, aber es passiert.
Wie gehen Sie damit um?
Darauf kann ich nicht reagieren. Ich habe wahrscheinlich unbewusst darauf
reagiert, indem ich mir mein eigenes Netzwerk geschaffen habe mit meinem
Label. Für mich ist die Firma BPitch Control auch Politik. Das ist eine
kleine Firma, aber in der wird jeder korrekt und mit Sozialabgaben bezahlt.
Wir fördern junge Künstler, wir bauen Leute auf. Natürlich ist BPitch ein
Geschäft, aber eben auch ein Sozial- und ein Kunstprojekt. Aber als Frau,
die was auf die Beine stellt, war ich in Berlin ja nicht allein: In der
Berliner Szene gab es immer viele Frauen in einflussreichen Positionen.
Wie hat sich diese Berliner Szene verändert?
Spätestens 2000 ging das los, dass Berlin total angesagt war. Ich habe im
Ausland gespielt und war plötzlich total heiß, nur weil ich aus Berlin kam.
Von innen hat man das gar nicht so wahrgenommen. Auch es weil in Berlin
selber zu der Zeit eine gewisse Müdigkeit gab. Da gab es ein paar Jahre, in
denen die erste Techno-Generation nicht mehr kam, weil sie Jobs hatten oder
eben eine Familie gegründet hatte. Plötzlich waren die Clubs zu groß und
ziemlich leer. Aber dann kamen die Touristen und haben dafür gesorgt, dass
die Club-Infrastruktur überleben konnte. Die Spanier, die Italiener und die
Engländer, die haben Berlin gerettet.
Dafür werden die Berliner im Berghain immer seltener.
Das muss ja nichts unbedingt Negatives sein. Wenn ich an einem Samstag in
Berlin auflege, dann hab ich auch meinen Spaß, denn die Touristen, die
bringen eine unglaubliche Energie mit, die wollen was erleben, die sorgen
für eine Superstimmung. Aber es stimmt schon: Ein guter Freund von mir kam
letztes Wochenende nicht in die Panorama Bar rein, die Schlange mit den
Touristen war ihm zu lang. Die Leute, die ich kenne, die gehen nicht ins
Watergate oder ins Berghain am Samstag.
Ist das nicht gefährlich für den Ruf der Berliner Clubs, wenn die Touristen
nur noch unter sich sind? Wird das Berghain zum Ballermann?
Ich weigere mich, bei dieser Jammerei mitzumachen, weil ich mich noch gut
erinnern kann, als die Touristen noch nicht da waren. Ich wohne hier in
Mitte, aber ich freue mich trotzdem noch über jeden Touristen. Muss man
doch sehen: Das ist total wichtig für die Stadt. Man muss anerkennen, dass
die Berliner Clublandschaft den Rang einer Sehenswürdigkeit erreicht hat.
Techno als Wirtschaftsfaktor?
Genau. Da geht es um Arbeitsplätze.
Gibt es denn ausreichend Wirtschaftsförderung?
Was ist schon ausreichend. Aber es gibt eine Förderung. Schon dass es keine
Sperrstunde gibt, ist ja schon in gewisser Weise Wirtschaftsförderung. Aber
es gibt auch konkret Geld: Für das aktuelle Album von Jahcoozi haben wir 40
Prozent der Produktionskosten zugeschossen bekommen.
Ist Berlin überhaupt noch cool?
Die Frage ist doch schon Quatsch. Die Leute, die das anzweifeln, die haben
doch noch nie hier gelebt. Kommt doch darauf an, was man von einer Stadt
erwartet. Dass man billig leben kann? Dass man Party feiern kann? Dass man
Gleichgesinnte trifft, mit denen zusammen man Musik machen kann? Dass man
sich nicht ausgegrenzt fühlt? Das alles bietet Berlin immer noch im
Überfluss - vor allem im Vergleich zu anderen Städten. Da gibt es
Sperrstunden, da gibt es Verbote. In Barcelona darf in den Bars nicht mehr
getanzt werden. In Paris gibt es ein neues Gesetz, das die After-Hours
verbietet. Es gibt nirgendwo so große Freiräume wie in Berlin, deshalb
fühlen sich die Leute hier wohl. Und solange kreative Leute nach Berlin
ziehen, wird Berlin auch kreativ bleiben.
Wie lange kommen diese Kreativen noch, wenn auch Berlin immer teurer wird.
Ja, Berlin wird teurer. Trotzdem kommen immer noch viele Leute neu in die
Stadt. Denn andere Städte sind immer noch viel teurer. Ich weiß nicht, wie
die Leute in Paris überleben können.
Sie selbst haben sich eine Eigentumswohnung in der Kastanienallee zugelegt.
Schönes Thema. Ich habe die Wohnung gekauft. Ich habe sie ausbauen lassen.
Und als ich eingezogen war, hatte ich plötzlich keinen Appetit mehr, hatte
ein Jucken auf der Haut. Die Sachen im Schrank schimmelten, unter der
Matratze ein riesiger Wasserfleck. Das ganze Haus war feucht. Ich bin
ausgezogen, das Haus wurde getrocknet. Ich zog wieder ein, es ging wieder
los. Nun ist die ganze Sache vor Gericht.
Vielleicht sollte man als ehemalige Hausbesetzerin nicht
Immobilienbesitzerin werden.
(Lacht) Na ja. Ich finde, man sollte sich ein Haus kaufen, wenn man sich
ein Haus kaufen kann. Auch wenn man das Geld mit DJen verdient hat. Man
sollte nur aufpassen, das ist meine Erkenntnis, was für ein Haus man kauft.
31 May 2010
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Musik
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