# taz.de -- Sawsan Chebli im Interview: "Für mich ist das Wesen des Islams fri… | |
> Man muss auch mit jenen Muslimen reden, die sonst keiner hört, fordert | |
> Sawsan Chebli. Sie ist Beraterin des Innensenators in interkulturellen | |
> Fragen - ein neu geschaffener Posten. | |
taz: Frau Chebli, Sie sind die Erste, die den neu geschaffenen Posten der | |
Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten bei Innensenator | |
Ehrhart Körting (SPD) innehat. Was sind Ihre Aufgaben? | |
Sawsan Chebli: Es sind in erster Linie auf das Thema Islam bezogene Fragen: | |
Ich berate den Innensenator auf bundespolitischer Ebene in Sachen Deutsche | |
Islamkonferenz - Senator Körting vertritt dort die SPD-regierten | |
Bundesländer. Auf Berliner Ebene befasse ich mich unter anderem mit dem | |
Islamforum. Dort ist Herr Körting ebenfalls Mitglied. Ein weiteres | |
Aufgabengebiet ist der Transfer interkultureller Kompetenz in der | |
Verwaltung. Zum Beispiel konzipiere ich ein Seminar für Führungskräfte der | |
Polizei. Der besondere Charme der Stelle ist, dass sie auf der | |
Leitungsebene angesiedelt ist und ich direkt mit dem Senator | |
zusammenarbeite. | |
Warum wurde die Stelle geschaffen? | |
Herr Körting hat in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf den Dialog mit | |
Muslimen und den interreligiösen Dialog gelegt. Für diese Aufgaben wollte | |
er neben der Perspektive des Verfassungsschutzes noch eine andere Sicht | |
darauf haben, wie der Islam in die Gesellschaft integriert werden kann. | |
Und die bringen Sie ein? | |
Ja, als Politikwissenschaftlerin, aber auch als Migrantin und Muslimin. Ich | |
bin in Berlin geboren und zweisprachig - arabisch-deutsch - aufgewachsen. | |
Meine Familie hat arabische, genauer gesagt palästinensische Wurzeln. Meine | |
Eltern lebten in einem Flüchtlingslager im Libanon, bevor sie Anfang der | |
70er-Jahre nach Berlin kamen. | |
Als Flüchtlinge mit dem entsprechenden unsicheren Aufenthaltsstatuts? | |
Ja, mit Kettenduldung und all dem, was dazu gehört. Ich war, bis ich zwölf | |
Jahre alt war, Staatenlose. Ich habe von klein auf erlebt, was es heißt, | |
nirgendwo dazuzugehören und nirgendwohin zurückkehren zu können. Das war | |
für mich die Motivation, Politik zu studieren. | |
Eine ungewöhnliche Wahl: Viele Migrantenkinder studieren lieber Jura, | |
Medizin oder technische Fächer als Gesellschafts- oder | |
Geisteswissenschaften. | |
Ja, aber der Nahostkonflikt und die Tatsache, das Leben als Flüchtling | |
selbst erlebt zu haben, haben mich davon überzeugt, dass ich nichts ändern | |
kann, wenn ich mich nicht politisch einbringe. Ich habe mich in meinem | |
Studium schwerpunktmäßig mit dem Nahen Osten und der islamischen Welt | |
befasst und später mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin | |
verschiedener SPD-Bundestagsabgeordneter gearbeitet. | |
Haben Ihre Eltern Ihre Karriere unterstützt? | |
Meine Eltern hätten es auch lieber gesehen, wenn ich Jura oder Medizin | |
studiert hätte. Ich komme nicht aus einem akademischen Elternhaus, im | |
Gegenteil: Meine Eltern sind beide Analphabeten. Ich bin das zweitjüngste | |
von 13 Kindern und die erste in der Familie, die studiert hat. Meine | |
älteren Geschwister durften aufgrund ihres Flüchtlingsstatus die Schule in | |
Berlin gar nicht besuchen. Bildung war für meine Eltern ein Ideal, aber | |
keine Selbstverständlichkeit. Wir wurden zum Lernen angehalten - aber | |
helfen konnten sie uns dabei nicht. | |
Wie haben Sie es trotzdem geschafft? | |
Eine gute Frage. Ich habe erst in der ersten Klasse Deutsch gelernt. Meinen | |
Eltern war es sehr wichtig, dass wir zuhause Arabisch sprechen. Das hätte | |
auch schiefgehen können. Ich bin in der achten Klasse einmal sitzen | |
geblieben und habe dann irgendwann gemerkt: Jetzt muss ich aber ran. Dann | |
habe ich mich ins Zeug gelegt und ein sehr gutes Abitur gemacht. | |
Zurück zu Ihrer Arbeit beim Innensenator: Der macht gerade Besuche in den | |
islamischen Gemeinden und Einrichtungen, die zur Islamkonferenz des Bundes | |
eben nicht eingeladen wurden. War das Ihre Idee? | |
Das Konzept haben wir gemeinsam entwickelt. Herr Körting war immer der | |
Meinung, dass man mit allen Muslimen sprechen muss, die der Gewalt | |
abschwören. Letztendlich ging es uns bei den Moscheebesuchen darum, jene | |
Moscheevereine zu besuchen, die in der Deutschen Islamkonferenz keine | |
Stimme haben. Ich habe die Besuche vorbereitet. Der Senator war auch schon | |
vor meiner Zeit in vielen Moscheen und hat zahlreiche Gespräche geführt. Er | |
kennt die Leute gut und ist ein sehr gern gesehener Gast - aber als | |
Dialogreihe mit Teilnahme an Predigt und Gebet war es wohl das erste Mal. | |
Das war ein mutiger Schritt, ebenso wie der Besuch in der umstrittenen | |
Al-Nur-Moschee, der Körting selbst einmal die Wiedereinreise eines | |
Hardliner-Imams verweigerte. Haben Sie da beide gleichermaßen wenig | |
Berührungsängste? | |
Wir müssen mit denen reden, die sonst keiner hört. Man muss diesen Leuten | |
sagen, dass sie eine gewisse Verantwortung tragen in der Stadt. Es sind | |
viele Jugendliche, die in die Al-Nur-Moschee gehen, und diese muss man doch | |
erreichen. Sonst riskiert man ein Abdriften in eine parallele Welt, und das | |
kann nicht in unserem Sinne sein. Ich komme selber aus einer sehr | |
konservativen muslimischen Familie, ich bin mit dem Islam groß geworden. | |
Ich weiß deshalb auch, dass konservativ nicht radikal bedeutet, und es | |
bedeutet auch nicht: nicht integriert sein. Es finden sich auch in der | |
Al-Nur-Moschee unterschiedliche Strömungen. Es gibt dort etliche Leute, die | |
den Islam zwar sehr streng auslegen, aber gegen Zwang und Gewalt sind. Auch | |
diese Leute muss man hören. Herr Körting hat in dieser Moschee eine Rede | |
gehalten und großen Applaus bekommen. | |
Sind Sie selbst gläubig? | |
Ja. Man sieht mir das nicht an, weil ich kein Kopftuch trage. Aber ich | |
bete, ich faste, ich esse kein Schweinefleisch und trinke keinen Alkohol. | |
Wir müssen das auch der Mehrheitsgesellschaft vermitteln: Muslime sind ein | |
Teil Berlins, und nur eine kleine Minderheit ist gewaltbereit, die | |
überwiegende Mehrheit ist friedlich. Islamfeindlichkeit ist nicht nur ein | |
Problem für Muslime, sondern auch für die nichtmuslimische | |
Mehrheitsgesellschaft. Mit der Islamkonferenz allein kommen wir dabei nicht | |
wirklich weiter. Muslimische Organisationen und Moscheen müssen ihrerseits | |
einen Beitrag dazu leisten, dass Vorurteile und Missverständnisse abgebaut | |
werden. Sie müssen ihre Türen öfter als einmal im Jahr öffnen und zeigen, | |
was der Islam und das Wesen dieser Religion ist. Und für mich ist das Wesen | |
des Islams friedlich. | |
Ist es Aufgabe der Muslime, die Islamophobie zu bekämpfen? | |
Es sind zwei Seiten, die daran arbeiten müssen: die Politik, weil sie | |
Verantwortung dafür trägt, dass wir friedlich miteinander leben, dass keine | |
Diskriminierung stattfinden darf, Muslime die gleichen Chancen haben wie | |
alle anderen auch, ob sie nun ein Kopftuch tragen oder nicht. Aber auch | |
Muslime müssen einen Beitrag leisten für den Frieden in unserer Stadt. Wir | |
brauchen mehr Vorbilder, Muslime, die beweisen, dass Muslimsein, | |
Deutschsein und Integriertsein keine Widersprüche sind. | |
Ihre Stelle bei Senator Körting ist bis zur nächsten Berlinwahl im Herbst | |
2011 befristet. Wo sehen Sie sich später? | |
Es geht mir nicht um Posten oder Karriere, sondern um Veränderung. Aber man | |
muss bestimmte Positionen erreichen, um etwas verändern zu können. Und ich | |
möchte, dass die Leute sehen, dass Muslime, Frauen mit | |
Migrationshintergrund erfolgreich sind und etwas leisten können. Viele | |
Deutsche, also jene ohne Migrationshintergrund, denken, dass Migranten | |
immer etwas von ihnen wollten, und sie als Deutsche stets geben müssten. | |
Der Migrant ist wiederum davon überzeugt, er müsse alles geben, sich | |
integrieren, vielleicht sogar assimilieren, um akzeptiert zu werden. Ich | |
möchte zeigen, dass das beides so nicht stimmt. Wir müssen uns zwar | |
integrieren, aber wir müssen unsere Wurzeln nicht aufgeben. Man kann beides | |
verbinden, und ich glaube, das gelingt mir ganz gut. Ich möchte, dass dies | |
Normalität in Deutschland und Berlin ist. | |
1 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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