# taz.de -- SONDERMÜLL: Giftstaub am Yin-Yang-Platz | |
> Mitten in Bremerhaven will der Müllkonzern Remondis weitere 1,6 Millionen | |
> Kubikmeter Gift deponieren. Die Politik sah darin kein Problem, die | |
> BürgerInnen schon. | |
Bild: Bei Möwen mögen Müllhalden beliebt sein, nicht aber bei AnwohnerInnen … | |
Für ihr Naherholungsgebiet Nummer eins, den Speckenbütteler Park, hatte die | |
Stadt Bremerhaven noch vor kurzem hochtrabende Pläne. Von einem | |
"Gesundheits- und Wellnesspark" war die Rede, ein Weidenschloss machte den | |
Anfang. Es folgten Yin-Yang-Platz und Barfußpfad. In wenigen Jahren, so | |
hieß es, werde auch die benachbarte Mülldeponie "Grauer Wall" abgedeckt und | |
bepflanzt - Bahn frei für die Stadt-Oase. | |
Danach sieht es derzeit nicht mehr aus: Die Bremerhavener | |
Entsorgungsgesellschaft (BEG), mehrheitlich in Besitz des Müllkonzerns | |
Remondis, will die Halde nicht schließen, sondern erweitern. 1,6 Millionen | |
Tonnen Sondermüll sollen hier noch landen. "Der blanke Hohn", findet Claus | |
Boving. Von seinem Haus zum Müllhügel sind es gut 150 Meter. Gekauft hat er | |
es im Glauben, die Halde werde bald ein Park. "Wir fordern, dass die | |
Deponie sofort geschlossen wird." | |
Boving spricht nicht für sich allein. Er ist Vorsitzender der | |
Bürgerinitiative "Keine Erweiterung Grauer Wall", gegründet neun Tage vor | |
Ablauf der Einwendungsfrist. Mehr als 200 Mitglieder zählt sie inzwischen, | |
fast zehnmal so viele haben Einspruch erhoben. | |
Giftstoffe könnten ins Grundwasser sickern, fürchten die AnwohnerInnen und | |
verweisen auf die nahe Wasserschutzzone des Bremerhavener Wasserwerkes. Der | |
Wind könne zudem gefährliche Stäube verbreiten. Verschaukelt aber fühlen | |
sie sich in erster Linie von der Politik. Stadtverordnete, Magistrat, | |
Fraktionen und Parteien wüssten seit Monaten von den Plänen. Eine | |
öffentliche Diskussion, Bürgerbeteiligung habe es jedoch nie gegeben. | |
Müll abgeladen wird auf dem Grauen Wall seit 1958, Hausmüll zunächst. Im | |
Laufe der Zeit mutierte er zur Deponie für besonders überwachungsbedürftige | |
Abfälle. Seither stapeln sich 2,4 Millionen Kubikmeter hochkontaminierte | |
Filterstäube, Reste aus der Müllverbrennung, toxische Strahlsande, | |
Asbestabfälle. 2002 beantragte die BEG offiziell die Einstufung der Halde | |
als Sondermülldeponie. Das Problem: Sie entspricht längst nicht mehr | |
heutigen Anforderungen, unter anderem fehlt eine adäquate Abdichtung. Die | |
Betriebsgenehmigung droht auszulaufen. Das würde nicht nur die BEG und | |
Remondis um eine lukrative Einnahmequelle bringen. Auch die Behörden wären | |
in Bedrängnis. Das Abfallrecht gebietet, lokale Entsorgungsmöglichkeiten | |
auch für giftige Abfälle zu schaffen. | |
BEG und das grün geführte Umweltressort schlossen 2009 einen Vertrag. Damit | |
sei die weitere Nutzung des Deponiestandortes de facto abgemacht, | |
kritisiert Boving. Eine Erörterung alternativer Entsorgungsmöglichkeiten, | |
etwa in alten Bergwerken, finde so gar nicht mehr statt. Umweltsenator | |
Reinhard Loske schweigt mit Verweis auf das laufende Verfahren. | |
Bestätigt hat das Ressort indes, dass die BEG die Herkunftsbeschränkung der | |
Abfälle streichen will. Bisher dürfen die nur aus der Region stammen. Gehe | |
das durch, warnt Boving, "sammelt Remondis den Müll sonstwo ein und kippt | |
ihn bei uns ab". Bisher ging das nur indirekt: 2008 ließ Remondis 30.000 | |
Tonnen Müll aus Neapel in Bremerhaven verbrennen. Die Rückstände landeten | |
am Grauen Wall. Von der BEG ist seit Tagen keine Stellungnahme zu erhalten. | |
Kalt erwischt hat der Protest die Lokalpolitik. Die BEG habe bereits | |
vergangenes Jahr alle Fraktionen über die Erweiterungspläne informiert, | |
sagt SPD-Fraktionschef Klaus Rosche, der auch im BEG-Aufsichtsrat sitzt. | |
Handlungsbedarf sah offensichtlich niemand. Dabei hätte gerade die Stadt | |
Möglichkeiten gehabt, Einfluss zu nehmen, erläutert der Hamburger | |
Rechtsanwalt Michael Günther, der schon zahlreiche Sondermülldeponien zu | |
Fall brachte. Eine Gemeinde könne über die Bauleitplanung mit "ganz | |
weitgehendem Ermessen" die künftigen Nutzungsmöglichkeiten von Flächen | |
festsetzen - entscheidend bei allen Genehmigungsverfahren. | |
Im Bremerhavener Magistrat jedoch sei Grauer Wall "kein Thema" gewesen, | |
sagt ein Sprecher, der Bauausschuss habe "wohl nicht groß darüber | |
diskutiert". Grundsätzliche Kritik an der Sondermülldeponie zwischen | |
Naherholungs- und Wohngebiet äußerten weder Umweltschutz- noch | |
Stadtplanungsamt. Man habe "keine planungsrechtlichen Bedenken", so | |
Amtsleiter Henning Budelmann. "Der Deponiestandort war nie strittig." | |
Jetzt, wo die Einspruchsfrist abgelaufen und der Unmut groß ist, mühen sich | |
die Parteien um Schadensbegrenzung. Man werde "Unterlagen sichten", heißt | |
es bei der CDU. Die Grünen wollen "offensiver mit dem Thema umgehen". Die | |
SPD lädt für Mittwochabend zu einer Infoveranstaltung auf die Deponie. | |
31 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Armin Simon | |
## TAGS | |
R2G Bremen | |
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wäre. |