# taz.de -- Ist Lena Pop oder Schlager?: Bienen, Raupen & Professor Higgins | |
> Fast ganz Deutschland staunt über die Diplomaten-Enkelin Lena. Aber ist | |
> das, was die Grandprix-Gewinnerin macht, auch genuin Pop oder doch bloß | |
> Raabscher Schlager? | |
Bild: Lena und ihr Mentor Stefan Raab, der weiß, wie man den schmalen Grat zwi… | |
Um "The rain in spain stays mainly in the plain" in BBC-Englisch | |
auszusprechen, muss man tüchtig üben. Eliza Doolittle weiß mindestens ein | |
Lied davon zu singen: An ihren Anstrengungen, den Cockney-Dialekt | |
abzulegen, der sie als ungebildete East-End-Londonerin identifiziert, | |
hangelt sich im Musical "My fair lady" die Handlung entlang. Am Ende | |
schafft Eliza den Sprung in die fürnehme Gesellschaft, und ihr Mentor und | |
Sprachtrainer Henry Higgins freut sich ein zweites Loch in den Bauch. | |
Was würde Professor Higgins wohl über Lena Meyer-Landrut denken. Die das | |
englische Idiom nicht Ende des 19. Jahrhunderts auf den dreckigsten Straßen | |
Londons, sondern vor ein paar Jahren an der "Integrierten Gesamtschule | |
Roderbruch" in Hannover erlernt hat. Die nicht für ein paar Pence Blumen | |
verkauft, sondern Abitur macht. Denn das Augenscheinlichste an Lenas | |
Debütalbum "My Cassette Player", das in den gefühlten drei Minuten zwischen | |
dem ersten Lena-Auftritt und der Eurovisions-Sause letzten Samstag | |
herauskam, ist dieser Akzent. Lena singt "dai" wenn sie "day" meint, "aas" | |
wenn sie "as" meint, "bou" wenn sie "but" meint. | |
Als ob Michael Caine ihr beim Texten auf die Schulter geklopft hätte. Dabei | |
haben das Kate Nash und Lily Allen übernommen. Die beiden Popstars sind in | |
Lenas Alter, haben die gleichen verwuschelten Haare, die gleiche, | |
zart-freche Mädchentonlage, und Kate Nash singt auch wie Lena. Nur waren | |
sie schon vorher da und stammen tatsächlich aus London. Außerdem kommen sie | |
nicht aus dem Song-Contest-Umfeld, das sich selbst an SchlagerhasserInnen | |
gefährlich nah heranwürmt: Seit wann ist der Song Contest überhaupt | |
musikalisch bedeutsam? Und wieso steht der biedere Sangeswettbewerb, der | |
ursprünglich nur für die Fernsehquote erfunden worden war, nun als | |
Medienhype auf einer Stufe mit der WM? | |
Zur Definition hat Lena ihren Mentor Stefan Raab, den | |
Fleischereihandwerkssohn, der weiß, wie man den schmalen Grat zwischen dem | |
eingeschränkten deutschen Grooveverständnis, Mainstreampop und | |
Pseudo-Individualität entlangtanzt. Raabs Konzept für Lenas Debütalbum ist | |
effektiv. 1. Im Rahmen groovy sein: Das Titelstück "My Cassette Player" ist | |
nicht schwarzen Dancehall-Rhythmen verhaftet wie Seeed oder Culcha Candela, | |
sondern Motown-orientiert wie Amy Winehouse. "Not following" oder "I just | |
want your kiss" spielen mit dem weißen Kuschelreggae früher Police-Songs. | |
2. Authentisch sein: Lena hat die Texte fast aller Songs mitgeschrieben und | |
schön viele Cockney-"dais" und "aas" hineingetextet, viel "wenn du mich | |
liebst, lieb ich dich auch", viel frei sein wie eine Biene ("Bee"), auch | |
mal traurig sein wie eine Raupe im Regen ("Caterpillar in the Rain"), viel | |
Träumen und selbstbewusste Traumerfüllung ("You cant stop me"), 3. | |
Glockenspiel und süße Sprechparts, um sich nicht zu weit von den erprobten | |
Formaten Nash und Allen zu entfernen, und 4. ab und an ein | |
Big-Band-Arrangement, damit jede taube Nuss merkt, dass jetzt der Part zum | |
Mitwippen kommt. | |
Das ist konsequent: Seit Jahren werden Popstars nicht mehr Popstars, weil | |
sie eine Art von Musik bevorzugen oder herstellen, sondern weil sie | |
Popstars sein wollen. Auf diese Weise kann Robbie Williams abwechselnd | |
Balladen und seichte Rocksongs singen, deren einziges Merkmal seine Stimme | |
ist. Raab weiß, dass Popstars Interpreten sind, vor allem, wenn sie in | |
Nullkommanichts an die Oberfläche gespült werden. Lenas | |
Interpretationsqualität ist die eines natürlichen, frechen, "gesund" | |
selbstbewussten (das "gesund" ist wichtig bezüglich der Abgrenzung von | |
Frauen wie Dita von Teese, deren selbstbestimmtes artifiziell-nerdiges | |
Pin-Up-Image als Bedrohung empfunden werden kann) Frolleins. | |
Eins, das die Romantik hinter einer großen Klappe nicht besonders gut | |
versteckt und gegen das die Schwiegereltern nichts einwenden können. Lena | |
ist zu jung, um einen Standpunkt zu Pop-, Popdiskurs- und popfeministischen | |
Thesen zu haben, die einem bei der Auseinandersetzung mit dem Medienhype | |
Lena hochkommen. Sie ist tatsächlich so, wie Raab sie zeigt, findet nichts | |
dabei, einen falschen Unterschichtsakzent zu benutzen, ist kein Mäuschen | |
und erst recht keine Katze. "My Cassette Player" ist das - bis auf die | |
Stimme - konturlos-swingende Debüt eines wirklich netten jungen Dings. | |
Spannend wird es, sollte Lena sich tatsächlich mal musikalisch in eine | |
Richtung wenden. Dann wird man sehen, ob sie ihren Professor Higgins noch | |
braucht. | |
1 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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