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# taz.de -- Störtebeker-Mythos: Der Zeichner des Piraten
> Warum wird jemand Pirat? Dieser Frage geht der Ostfriese Harm Bengen in
> seinem neu aufgelegten Störtebeker-Comic nach. Das ehemalige KBW-Mitglied
> beschreibt die Freibeuter als Klassenkämpfer - Ähnlichkeiten mit sich
> selbst sind nicht ausgeschlossen.
Bild: Klaus Störtebeker verhandelt mit den Hamburger Pfeffersäcken: Szene aus…
Ein bisschen ähnelt der Comic-Zeichner Harm Bengen seiner eigenen
Störtebeker-Figur. Nicht äußerlich, aber in seiner Einstellung, mit der er
quer zu den herrschenden Verhältnissen steht. Den Job in einer Werbeagentur
warf er nach einer Woche hin, weil ihm die Konsumwelt zuwider war. Als
Mitglied im KBW, dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands, versuchte er
sich als freier Zeichner - ein schwieriges Unterfangen. Heute lebt er von
Cartoons und Karikaturen für Tageszeitungen, Politikerköpfe aber kommen ihm
nicht auf den Zeichentisch.
Nebenher der Tagesarbeit hat Bengen Comic-Bücher herausgebracht. Sein
Störtebeker-Comic wurde kürzlich neu aufgelegt. 80 Seiten widmet er dem
berühmtesten Piraten Norddeutschlands. "Als Ostfriese bekommt man
Störtebekers Geschichte ja quasi mit der Muttermilch mit", sagt Bengen. Die
erste Version des Comics entstand 1993. Jetzt sind ein Prolog, der
Störtebekers Kinderjahre beschreibt, ein Making-of und weitere Szenen
hinzugekommen.
Die berühmteste Szene fehlt auch in der neuen Fassung nicht: Eins, zwei…"
zählen die Kameraden jede weitere Person, an der der Pirat mit
abgeschlagenem Kopf vorbeitaumelt. Sie hoffen auf die versprochene
Begnadigung und feuern den Geköpften an: "Weiter, Störtebeker, weiter."
Doch es hilft am Ende nichts. Die Obrigkeit weigert sich, Wort zu halten.
Es sei ihm, sagt Bengen, nicht um ein Heldenepos gegangen, sondern um die
geschichtlichen Hintergründe. Die genossenschaftlich organisierten
Seefahrer seien in Schwierigkeiten geraten, als die Schifffahrt mit der
Hanse in Privatbesitz überging. Er wollte herausfinden, warum jemand Pirat
wurde. Er wollte die Klassengegensätze zeigen.
Über seine eigene Vergangenheit beim KBW mag der Zeichner nicht viel
erzählen. Im Störtebeker aber scheint sie durch. Störtebekers
Vitalienbrüder nennt Bengen Likedeeler, also Gleichteiler. Als die gefangen
genommen werden, lässt Bengen den Piraten noch einmal mit der Hamburger
Obrigkeit verhandeln. "Störtebeker versucht noch einmal, die Pfeffersäcke
dort zu packen, wo sie am empfindlichsten sind. Beim Geld", heißt es in
Bengens Kommentar, und Störtebeker sagt: "Wenn ihr uns freilasst, will ich
euch den ganzen Elbstrand von Cuxhaven bis Hamburg mit Golddukaten
pflastern." Den Hamburger Bürgern hat Bengen die Gier ins Gesicht
gezeichnet, weit reißen sie ihre Augen auf, die Münder stehen offen.
Fast zwei Jahre hat er für die erste Version seines Störtebeker-Comics
geforscht. "Die Recherchen dafür haben länger gedauert als das Zeichnen
selbst", sagt Bengen, der erst eine Ausbildung als Lithograf und
Offset-Montierer absolvierte, bevor er Ende der 70er Jahre in Bremen
Grafikdesign studierte. Schon das Studium war ihm zu sehr auf Werbung
fixiert. Nach seinem kurzen Zwischenspiel in einer Werbeagentur kehrte er
zu seinem Ursprungsberuf zurück - und begann nebenher für Stadtmagazine wie
den Bremer zu zeichnen. Dabei lernte er Til Mette, den Mitbegründer der
Bremer taz, kennen. "Wir saßen oft noch lange und haben am Layout
gebastelt", sagt er.
Lukrativ waren die Jobs nicht, aber sie machten Spaß. Mittlerweile kann er
von seiner Arbeit für Tageszeitungen und Magazine leben, zu seinen
Abnehmern gehören die Sächsische Zeitung, die Märkische Allgemeine, der
Eulenspiegel und gelegentlich die Financial Times Deutschland. Morgens um
zehn Uhr beginnt Bengen, die Nachrichtenlage zu sichten, damit gegen Mittag
das Thema steht. Auf seinem Schreibtisch steht ein Computer, daneben liegen
Farbstifte, Pinsel, Aquarellfarben und ein plattdeutsches Wörterbuch - für
die Cartoons in ostfriesischen Lokalzeitungen. Etwa drei Stunden braucht er
zum Zeichnen. Unter dem Schreibtisch schnarcht der einäugige Kater Gino.
Während Bengen die Karikaturen am Computer macht, entstehen seine Comics
auf Papier. Acht Bände umfasst allein die "erotische Horrorkomödie" "Sandra
Bodyshelly", die sich um eine Vampirin gleichen Namens dreht. Fans würden
ihn öfter nach einer Fortsetzung fragen, aber derzeit seien keine neuen
Projekte geplant, sagt Bengen.
Momentan ist der Zeichner mit seinem Umzug beschäftigt - erst vor wenigen
Wochen ist er aus Neu-Ulm nach Ostfriesland zurückgekehrt. Endlich lebt er
nun wieder in Deichnähe, wenige Minuten sind es dorthin mit dem Fahrrad. Er
genieße die Ruhe, sagt Bengen.
Die Aufregung um den geklauten Störtebeker-Schädel aus dem Museum für
Hamburgische Geschichte hat er natürlich mitbekommen. "Damit hab ich aber
nichts zu tun", sagt er und lacht. "Auch wenn ich mich schon immer für
Störtebeker interessiert habe."
Harm Bengen: Störtebeker, Lappen Verlag, 80 farbige Seiten, 12 Euro
4 Jun 2010
## AUTOREN
Veronika Wawatschek
## TAGS
Piraten
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Projektionsfläche.
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