# taz.de -- Theater: Angst vor der eigenen Courage | |
> Im Theaterprojekt "Schlicksoldaten" der Landesbühne Niedersachsen spielen | |
> Marineangehörige sich selbst. Doch Regisseur Christof Meckel hat sich | |
> über den Tisch ziehen lassen. | |
Bild: Keine Kritik in Sicht: Argumenten der Gegner des Militärs wurde im Stüc… | |
Schlicktown nannten die Matrosen im und nach dem Ersten Weltkrieg oft | |
spöttisch Wilhelmshaven - "Schlicksoldaten" nennt die Landesbühne | |
Niedersachsen Nord ihr neues Theaterprojekt, das in Wilhelmshaven spielt. | |
Die schrumpfende Stadt ist nicht schöner geworden, Marine gibt es noch | |
immer - Grund genug für das Junge Theater der Landesbühne, die dort ihren | |
Standort hat, sich mit dem Alltag der Marine in einem Theaterprojekt | |
auseinanderzusetzen. | |
Viktoria Klawitter (Projektleiterin) und Christof Meckel (Regie) gingen | |
ganz nah heran: Sie suchten nach Marineangehörigen, um mit ihnen ein Stück | |
zu entwickeln - ein Verfahren, das dem von Rimini-Protokoll ähnelt und | |
möglichst große Wirklichkeitsnähe verbürgen soll. Gespielt wird in einer | |
Werkhalle auf einem Stützpunkt der Marine. Vier Podien, zwei an den Stirn-, | |
zwei an den Längsseiten, dienen für Auftritte. Den roten Faden bildet eine | |
Ausfahrt von der Vorbereitung bis zur Rückkehr. | |
Am besten gelangen die Szenen der Soldaten mit ihren Partnern. Angelika | |
Dirks, Frau des Kommandanten der Fregatte "Niedersachsen", verkörperte | |
verschiedene Gattinnen, die die zeitweilige Trennung von ihren Männern, | |
wenn sie losfuhren, eher als technisches denn als emotionales Problem | |
ansahen. Während einer der Männer auf ein gutes Wort, Zuwendung, vielleicht | |
gar auf eine Umarmung wartet, hakt Dirks Organisatorisches ab. Ein andermal | |
kanzelt sie den scheidenden Göttergatten ab, weil sie ihn verdächtigt, in | |
Afrika untreu zu werden. Sie warnt ihn vor Aids: Desillusionierungen, | |
Frustrationen, Herzlosigkeit. | |
Diese kritische Dimension weckte Interesse, den meisten Szenen indes fehlte | |
sie. Gerade beim Thema Sex blieb es bei Andeutungen. In der Schlüsselszene | |
verließ Christof Meckel, der nicht nur Regie geführt, sondern auch den Text | |
kompiliert hatte, gänzlich die Courage. Die acht Schauspieler, je zwei auf | |
die vier Podien verteilt, sprechen Texte über die Legitimation der | |
Soldaten, Krieg und Frieden. Inhaltlich war es unredlich, den Argumenten | |
der Gegner des Militärs keinen Raum zu geben, ästhetisch ungeschickt, den | |
Verteidigern keinen Angreifer gegenüberzustellen. Theater lebt vom | |
Konflikt, wenn dem Protagonisten kein Antagonist die Stirn bietet, kann | |
kein Funken über die Rampe springen. | |
Die Laienspieler machten ihre Sache prima und wirkten authentisch. Die | |
Schwäche ist das Stück. Schikane an Bord? Überforderte Vorgesetzte? | |
Fehlanzeige! Meckel hat sich von der Marine über den Tisch ziehen lassen. | |
Affirmatives Theater ist keins. Leser von Herman Wouks "Die Caine war ihr | |
Schicksal" erfahren mehr über das Leben an Bord eines Kriegsschiffs - und | |
sind spannender unterhalten. | |
Mehr Courage als sein Regisseur hat Gerhard Hess, der Intendant der | |
Landesbühne. Als er meinte, nun könne sein kleines Reisetheater nicht noch | |
mehr sparen, als alle Vorstellungen in Hannover beim Kultusministerium | |
nicht halfen, ging er an die Öffentlichkeit. Persönlichkeiten des | |
öffentlichen Lebens schrieben Artikel pro Landesbühne, Zeitungen aus dem | |
(großen) Spielgebiet der Landesbühne veröffentlichten sie, Politiker der | |
Region machten und machen ihren Einfluss geltend. Auch im Internet schrieb | |
Hess einen Publikumsappell. | |
Wenn die Theatergöttin Hess einen Wunsch gewähren würde - er bäte, dass die | |
Tarifsteigerungen nicht weiter das Theater aufbringen muss, sondern das | |
Land seinen Anteil trägt. In seinen heimlichsten Momenten träumt er davon, | |
seinen Schauspielern eine anständige Gage zahlen zu können, wie früher, | |
angelehnt an die Gehälter von Lehrern. Mimen an Landesbühnen haben es | |
schwerer als ihre Kollegen an Stadt- und Staatstheatern: sie müssen zu den | |
Spielorten reisen und verlieren viel Zeit und Kraft im Bus und auf der | |
Straße. | |
Aber dann fragt sich Hess wieder, ob er nicht zu kühn ist. Denn das | |
Verhältnis zur Kulturbürokratie, das entschlüpft ihm trotz aller | |
diplomatischen Zurückhaltung, sei "suboptimal". Hess hofft. Er hofft auf | |
die neue Ministerin im fernen Hannover. | |
9 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Fischer | |
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