# taz.de -- Parlamentswahl in Belgien: Favoriten sind die Separatisten | |
> Am Sonntag ist Parlamentswahl in Belgien, gewinnen werden wohl die | |
> flämischen Separatisten. Die Konflikte, an denen der Staat nun zu | |
> zerbrechen droht, sind weitergewachsen. | |
Bild: Bart De Wever. | |
Ausgeblichen und zerschlissen hängen Tücher in den belgischen Landesfarben | |
an den Fassaden Brüsseler Bürgerhäuser. Die meisten Befürworter | |
nationalstaatlicher Einheit ließen sie nach der letzten Wahl vor drei | |
Jahren gleich hängen. Die Konflikte, an denen der Staat nun zu zerbrechen | |
droht, sind seither weitergewachsen. Fünf Mal in den letzten drei Jahren | |
bot Premier Yves Leterme seinen Rücktritt an. Am Sonntag wird endlich | |
gewählt. Doch Belgiens Rettung wird das nicht. 42 Prozent der flämischen | |
Wahlberechtigten sympathisieren laut Umfragen mit Parteien, die eine | |
Trennung des niederländischsprachigen Flanderns von der | |
französischsprachigen Wallonie wollen. | |
Bart De Wever (41) ist der neue Star der flämischen Politik. Seine | |
Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) arbeitete mit den flämischen | |
Christdemokraten von Premier Leterme zusammen. Seit 2008 geht sie eigene | |
Wege, verfolgt weiter eine gemäßigt konservative, aber immer deutlicher | |
separatistische Politik. Mit der Ausländerfeindlichkeit des Vlaams Belang | |
hat die N-VA nichts gemein. De Wever befürwortet die "Vielfarbigkeit" der | |
Gesellschaft, sofern Einwanderer die Landessprache lernen und Grundwerte | |
wie die Gleichstellung von Frauen oder den Respekt von Homosexualität | |
akzeptieren. Die einzige N-VA-Abgeordnete im Europaparlament schloss sich | |
dort der Grünen-Fraktion an. | |
De Wever glaubt, dass die Tage des belgischen Föderalstaats gezählt sind, | |
was er für positiv hält. Das mag einer der Gründe sein, warum der beliebte | |
Politiker nicht das Amt des belgischen Premiers anstrebt. Er müsste dann | |
eine Regierung führen, die er für obsolet hält. | |
Beansprucht die N-VA diesen Posten nicht, hat der wallonische Sozialist | |
Elio Di Rupo gute Chancen. Seine Partei hat laut Umfragen im | |
französischsprachigen Landesteil die Nase vorn. Dann würde erstmals seit | |
fast vierzig Jahren wieder ein französischsprachiger Politiker belgischer | |
Regierungschef. | |
Die belgische Staatskonstruktion mit ihren politisch weitgehend | |
unabhängigen drei Regionen (Flandern, Wallonie, Brüssel), ihren | |
sprachlichen Gemeinschaften (niederländisch, französisch, deutsch) und | |
ihrer mit jeder Reform weiter entmachteten Zentralregierung ist ein äußerst | |
kompliziertes Gebilde. Am Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde, dem einzigen, | |
wo flämische und wallonische Parteien nebeneinander antreten, scheiterten | |
zuletzt alle Reformvorschläge. Die Flamen wollen den für sie mit einer | |
französischsprachigen Mehrheit ungünstig geschnittenen Wahlkreis | |
aufspalten, die Wallonen nicht. | |
An dieser Frage könnte der Nationalstaat zerbrechen. Die sechs Millionen | |
Flamen und vier Millionen Wallonen könnten zur Not jeweils einen eigenen | |
Staat bilden - was aber geschieht dann mit der Region Brüssel? Sie hat erst | |
seit 1988 eine eigene Regionalregierung und konnte so Bodenspekulation und | |
städtebaulichen Kahlschlag stoppen. Dazu De Wever: "Meine Vorstellung ist, | |
dass Brüssel eine ganz normale Stadt wird, die beide Gemeinschaften | |
zusammen verwalten. Ein eigener Landwirtschaftsminister für eine Region, in | |
der es nur noch zwei Bauernhöfe gibt - das ist doch absurd!" | |
Am 1. Juli übernimmt Belgien die EU-Ratspräsidentschaft. Die komplizierte | |
Regierungsbildung ist bis dahin nicht beendet. Der Zeitpunkt der | |
Regierungskrise sei "suboptimal", räumt der Ministerpräsident der | |
deutschsprachigen Gemeinschaft ein. Doch er bietet auch Trost: Niemand | |
könne die komplizierte europäische Politik besser handhaben als die | |
krisengeplagten Belgier. Das beweise schon Belgiens Expremier Herman Van | |
Rompuy als Ratspräsident. | |
11 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniela Weingärtner | |
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