# taz.de -- Belgische Saufkultur: Zum Bier trinken nach Flandern | |
> „Wen Bier hindert, der trinkt es falsch“, meint Gottfried Benn. Unser | |
> Autor sinniert über vergorenes Getreide | |
Bild: Tappistenbier aus Belgien | |
Es gibt eine Theorie, wonach das Getreide anfänglich nicht zu Brot | |
verbacken, sondern zu Bier verbraut wurde - vor 10.000 Jahren in einigen | |
reichen jordanischen Dörfern. Eine andere Theorie, die sich auf Funde in | |
einem armen chinesischen Dorf stützt, kommt seltsamerweise zu dem selben | |
Ergebnis, weil es nämlich vernünftig sei, „bei ständig knappen Ressourcen | |
energiereichen Zucker und Alkohol in sich hineinlaufen zu lassen“. | |
Eine dritte These, die sich auf die Region Flandern in Belgien stützt, wo | |
man noch heute über 500 Biere braut, könnte da lauten: Dass man über | |
gemeinschaftsstiftende Gelage eher als mit Brot für sich und die Welt aus | |
der Armut herausfindet. Schon bei Bertolt Brecht kommt in „Herr Puntila und | |
sein Knecht Matti“ die Dialektik mittels Alkohol in Fluss. Brecht nimmt | |
dabei den Hegelschen Begriff der „Flüssigkeit“ wörtlich. Laut dem | |
Philosophen Dieter Kraft gewinnt er dadurch eine ermutigende Botschaft: | |
„Die Verhältnisse sind zwar dreckig, aber eigentlich kann man sie schon mit | |
Kutscherschnaps wegspülen.“ | |
Um 1400 gehörte Flandern zu den Produktionszentren der Textilindustrie, in | |
denen das Kaufmannskapital zur Bildung von Stadtgemeinden führte. Und | |
während dort eine Mehrheit der Handwerker zu Arbeitern herabsank, gelang | |
einer Minderheit der Aufstieg zu „experimentierenden Meistern“ und | |
schließlich zu Ingenieuren und Künstlern. Allein 140 „Flämische Maler“ | |
zählt Wikipedia auf. | |
80 Jahre kämpften die dortigen Bauern und Bürger dann um ihre politische | |
Autonomie. In Charles de Costers Epos des flämischen Freiheitskampfs gegen | |
die spanische Herrschaft „Tyll Ulenspiegel“ geht es aber auch darum, dass | |
die beiden Helden sich kreuz und quer durch Flandern essen und trinken. | |
Jedes Dorf hatte seine Spezialitäten. Und damals war bereits bekannt, dass | |
man Lebensmittel nicht weiter als eine Tagesreise von ihrem Herstellungsort | |
wegschleppen darf, wenn sie ihren Geschmack behalten sollen. Das gilt auch | |
für Bier. Ein flandrischer Braumeister versicherte uns, das ein in Gent | |
gebrautes Bier anders schmeckt, als wenn man es in Brüssel herstellen | |
würde, weil dabei andere Pilze und Bakterien mitwirken. | |
Als wir in der alten Universitätsstadt Gent ankamen, hatten die Bürger | |
wegen der „Klimaerwärmung“ gerade beschlossen, an einem Tag in der Woche | |
kein Fleisch mehr zu essen - um die Treibhausgasemissionen, die auf das | |
Konto der Rinderzucht gehen, zu reduzieren. Man ist mit diesem „Entschluss“ | |
quasi am anderen Ende der Wohlstandsspirale angekommen: Anfänglich war es | |
in der Stadt noch primär darum gegangen, sich wenigstens einmal in der | |
Woche Fleisch leisten zu können. Die Arbeiter in den Genter Textilfabriken | |
und Brauereien mussten hart darum kämpfen. Das große Gebäude der | |
Sozialisten im Stadtzentrum zeugt bis heute davon. Aus ihren Fabriken | |
wurden jedoch längst Museen, Einkaufspassagen und Büros. | |
Wir besuchten als Erstes die neue „Stadtbrauerei Gruut“ am Ufer der Leie. | |
Hier wird nicht mit Hopfen, sondern mit einer Kräutermixtur (Grut) gebraut. | |
Im 13. Jahrhundert teilte der Fluss die Stadt in eine französische und eine | |
deutsche Hälfte. Auf der östlichen Seite durften die Braumeister nur | |
Hopfen, auf der westlichen nur Grut verwenden. Heute arbeitet hier eine | |
Braumeisterin, Annick de Splenter, die uns „Gruut Blond“ zapfte. Während | |
der anschließenden „Bierwanderung durch Genter Kneipen“ fanden wir zum | |
gehopften Bier zurück. In den nächsten Tagen lernten wir noch „Kirschbier“ | |
und süßsaures „Dark Bier“ sowie diverse Trappisten- und Abteibiere kennen. | |
Letztere in der Benediktinerabtei Affligem. Die 18 dort lebenden Mönche | |
haben ihre Brauerei jedoch an den holländischen Heineken-Konzern verkauft. | |
Die Trappistenbiere werden dagegen noch immer unter Aufsicht von Mönchen | |
gebraut. Ein Großteil ihrer Gewinne aus dem Verkauf muss für soziale Zwecke | |
verwendet werden. Ob dazu auch Alkoholentzugskliniken gehören, konnten wir | |
nicht rausbekommen. Dafür entdeckten wir in den Kneipen verschiedene | |
„Bierrituale“ und in den Restaurants viele Speisen, die mit Bier zubereitet | |
werden. Bei „Liefmans“ in Oudenaarde an der Schelde erwartete uns die | |
älteste Braumeisterin Belgiens: Rosa Merckx. Bei ihr kosteten wir neben | |
warmem „Glühbier“ mehrere Biere, die mit Milchsäurebakterien fermentiert | |
werden - weswegen sie immer am selben Standort gebraut werden müssen. Die | |
in der Flasche nachgegorenen „Liefmans“-Biere werden wie Sektflaschen | |
verkorkt. | |
In Oudenaarde wurde 1606 der Maler Adriaen Brouwer geboren. Er malte | |
ausschließlich Szenen aus dem Bauern- und Wirtshausleben, dem er auch | |
persönlich sehr zugetan war. Wir tranken hier ein „Adriaantje“ auf den | |
Maler, nachdem wir dort auch noch die Brauerei Roman besichtigt hatten. Sie | |
ist seit 1545 in Familienbesitz, wir probierten ihre Marken „Ename Double“, | |
„Triple“ und „Blond“ sowie das Bier „Sloeber“ - so nennt man einen | |
Genießer, „der vom Leben (anderer) profitiert“. „Triple“-Biere können… | |
Alkoholgehalt bis zu 9,5 Prozent haben, ihre Beliebtheit wird mit dem | |
Mönchsleben erklärt: „Sie brauten das dunkle Starkbier im Winter - während | |
der Fastenzeit, weil es nahrhafter ist, und im Sommer dann blondes.“ | |
Daneben kennt man in Flandern auch noch „Endjahresbiere“ - mit einem | |
doppelten Hopfenanteil, was sie extrem bitter macht. In einer der Genter | |
Kneipen probierten wir außerdem ein perlendes „Geuze“. Es wird aus | |
verschiedenen Jahrgängen des „Lambiek“-Biers hergestellt - was ein durch | |
Spontangärung entstandenes Weizenbier ist. Es zählt zu den ältesten der | |
Welt. Die Geschmacksbildner sind hierbei zwei Hefepilze, die nur in der | |
Gegend um Brüssel vorkommen. | |
Die Bierkultur entstand in Flandern mit den Klosterbrauereien. Noch heute | |
unterscheidet man Biere, „die man innerhalb der Klostermauern braut, von | |
denen, die außerhalb gebraut werden“. Beim Abendmahl verwandeln die Mönche | |
und Priester Brot und Wein in das Blut und den Leib Christi. Diese | |
sogenannte Transsubstantiation hat eine andere „Wesensverwandlung“ zur | |
Voraussetzung: die von Getreidekörner in Brot (bzw. in Bier) und die von | |
Trauben in Wein. | |
Flandern ist ein Bierland und ein katholisches Land. Kann es mithin sein, | |
dass die eine Transsubstantiation nicht ohne die andere zu haben ist? Also | |
dass die erste Transsubstantiation, wenn man ihr Endprodukt genießt | |
(trinkt), empfänglich macht für die zweite, dass man also vulgär | |
ausgedrückt erst besoffen sein, das heißt als Bevölkerung die massenhafte | |
Erfahrung von Trunkenheit gemacht haben muss, um die Verwandlung eines | |
alkoholhaltigen Getränks in das Blut des Herrn zu akzeptieren. | |
9 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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