# taz.de -- Lebensmittel-Kennzeichnung: EU stoppt die Ampel | |
> Das EU-Parlament kippt das von der Industrie heftig bekämpfte | |
> Labelsystem. Dafür sollen verpackte Lebensmittel einheitlich | |
> gekennzeichnet werden. | |
Bild: Ampeln auf Lebensmitteln: Die EU sagt "Nein". | |
BRÜSSEL taz | Vorverpackte Lebensmittel sollen künftig EU-weit einheitlich | |
gekennzeichnet sein. Firmen dürfen zusätzliche Angaben machen, wenn sie auf | |
wissenschaftlichen Grundlagen beruhen. Die fünf wichtigsten Angaben, | |
nämlich der Fettgehalt, der Anteil gesättigter Fettsäuren, die Menge an | |
Zucker, Salz und die Kilokalorien pro hundert Gramm müssen gut lesbar vorne | |
auf der Packung stehen. Alkohol ist von der Regelung ausgenommen und soll | |
später nach einem gesonderten Gesetz gekennzeichnet werden. Darauf einigten | |
sich die EU-Abgeordneten gestern in Straßburg. Das Gesetz wird nun im Rat | |
der Regierungen behandelt, bevor es endgültig vom Parlament beschlossen | |
werden kann. | |
Obwohl sich im Lauf des Verfahrens noch viel ändern kann und die Verordnung | |
erst nach einer Übergangszeit von drei Jahren vollständig umgesetzt sein | |
muss, hatte es im Vorfeld viel öffentliche Aufregung gegeben - vor allem um | |
die von Grünen, Linken und Teilen der Sozialdemokraten befürwortete | |
Ampelkennzeichnung auf den Verpackungen. Da die Fast-Food-Industrie mit | |
großem Werbeaufwand dagegen gekämpft hatte, dass Lebensmittel je nach ihrem | |
Nährwertgehalt plakativ mit einer roten, gelben oder grünen "Ampel" | |
versehen werden, wurde Gegnern der Ampel unterstellt, von der | |
Nahrungsmittellobby beeinflusst worden zu sein. Die Lobbykontrolleure von | |
Corporate Europe Observatory berichteten, die Branche habe sich die | |
Kampagne gegen die Ampel eine Milliarde Euro kosten lassen. | |
Gute Argumente gegen die plakative Einteilung von Lebensmitteln in gesunde, | |
schädliche und tolerierbare Produkte gingen dabei fast unter. | |
"Lebensmittelkennzeichnung kann niemals ein Lehrbuch für gesunde Ernährung | |
sein. Es ist nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, seinen Souverän - also die | |
Bevölkerung - zu erziehen", sagte die zuständige Berichterstatterin Renate | |
Sommer in der Plenardebatte. Und Verbraucherschutzkommissar John Dalli | |
kritisierte, die Ampelkennzeichnung sei nicht exakt genug und schaffe | |
rechtliche Probleme. | |
Die britische Sozialistin Glenis Willmott hingegen erinnerte daran, dass | |
die meisten Menschen zu viel Zucker und Salz essen. "Das trägt zu | |
Depressionen und Herzkrankheiten bei. Ich würde eine Farbkennzeichnung | |
befürworten, nicht um ein Produkt abzuurteilen, sondern um den Verbraucher | |
zu informieren." Eine "Ohrfeige für bessere Verbraucherinformation" nannte | |
ihre deutsche Fraktionskollegin Dagmar Roth-Behrendt das | |
Abstimmungsergebnis. Es sei auch ein Skandal, dass der Kaloriengehalt von | |
Alkohol nicht angegeben werden müsse. Der grüne Abgeordnete Carl Schlyter | |
hatte in der Debatte daran erinnert, dass ein Glas Weißwein doppelt so | |
viele Kalorien hat wie ein Glas Limonade. | |
Der deutsche Liberale Holger Krahmer kritisierte, dass das von der | |
Industrie entwickelte GDA-System (Guideline Daily Amounts) nun EU-weit | |
vorgeschrieben sei. Es gibt den Nährwertgehalt des Lebensmittels bezogen | |
auf den Tagesbedarf einer erwachsenen Frau an. "In der Lobbyschlacht | |
zwischen Lebensmittelkonzernen und Verbraucherschützern hat die | |
Lebenswirklichkeit von Verbrauchern keinen Platz gefunden", bedauerte | |
Krahmer. Der Nährwert lasse sich viel leichter beurteilen, wenn neutrale | |
Nährwertmengen auf der Packung angegeben seien, als wenn eine "fragwürdige | |
Bezugsgröße" gewählt werde wie 2.000 Kalorien für eine etwa 40-jährige | |
Frau. | |
Kleinunternehmen und Familienbetriebe können dabei aufatmen. Sie sind von | |
der neuen Kennzeichnungspflicht ebenso ausgenommen wie landwirtschaftliche | |
Direktvermarkter, unverpackte Produkte und kleine regionale Produzenten. | |
17 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniela Weingärtner | |
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