# taz.de -- Krise der Nachrichtenagenturen: Vorm endgültigen Redaktionsschluss | |
> Über Jahrzehnte galten große Presseagenturen als Quellen für das klare | |
> Wasser aller seriösen Nachrichten. Nun kämpfen sie ums Überleben. Der | |
> Grund: Heute kann jeder "Ticker" spielen. | |
Bild: "Von den schickeren Generalisten von Spiegel Online überholt": Nachricht… | |
Es sind Ankündigungen wie diese, vor der sich jede Nachrichtenagentur | |
fürchtet: "Wir werden Meldungen und andere Dienste der Associated Press | |
nicht länger nutzen", schrieb der oberste CNN-Boss Jim Walton am Montag an | |
die Mitarbeiter des globalen Nachrichtensenders: "Die Inhalte, die wir | |
künftig liefern, werden unverwechselbar, unwiderstehlich - und ich bin | |
stolz darauf - unsere eigenen sein." | |
Natürlich soll durch solche Kündigungen zunächst mal gespart werden - in | |
Deutschland verzichtet zum Beispiel die WAZ-Zeitungsgruppe seit 2009 auf | |
die Dienste der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Doch das alte | |
Nachrichtenmonopol der Agenturen ist gebrochen: Bei vielen Journalisten | |
"laufen" heute Nachrichtenwebsites wie Spiegel-Online oder Tagesschau.de | |
gleichberechtigt neben den klassischen "Tickern" und bestimmen das Geschäft | |
mit den Neuigkeiten, legen fest, was wichtig wird. Auch CNN will mit | |
eigenen Angeboten neue Kunden gewinnen - also selbst Agentur sein, für | |
TV-Nachrichten. | |
Waren bislang die "Agenturdrähte" eine teure, exklusive Angelegenheit, kann | |
beinahe jeder heute Agentur spielen: Das Internet ist leicht erreichbar, | |
vergleichsweise billig und durchgehend geöffnet. Und so mischen sich immer | |
mehr Menschen in die "Nachrichtengebung" bzw. deren Kontrolle ein: Während | |
einerseits die Menge an "News" oder was sich dafür hält ins Unermessliche | |
steigt und für die neue Unübersichtlichkeit sorgt, fallen andererseits auch | |
Fehler immer schneller auf. | |
Als die dpa 2007 bei Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm | |
den alternativen Nobelpreisträger Walden Bello mit den Worten zitierte "Wir | |
müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln | |
erreichen wir nichts", wurde das umgehend von Demo-TeilnehmerInnen | |
korrigiert, doch viele Zeitungen druckten die entsprechende Meldung nach. | |
Am nächste Tag entschuldigte sich die Agentur für den "Übersetzungsfehler". | |
Die deutschen Macher des Films "Short Cut to Hollywood" führten dagegen die | |
Agenturen regelrecht vor: Sie fakten ein angebliches Selbstmordattentat in | |
einer nicht existierenden US-Kleinstadt namens Bluewater. Eine eigene | |
Bluewater-Website schien das Ereignis zu bestätigen, extra eingerichtete - | |
falsche - US-Rufnummern führten zudem in die Irre: An deren umgeleiteten | |
deutschen Ende gab ein Schauspieler mit amerikanischem Akzent wahlweise den | |
Redaktionsleiter des örtlichen Lokalsenders oder den Feuerwehrchef von | |
Bluewater. Die taz geriet nach der Aktion in Kritik, weil einer ihrer | |
Redakteure die Fake-Aktion live mitverfolgte. | |
Die dpa, die unter Berufung auf den fiktiven Lokalsender und ebenso gefakte | |
offizielle Stellen das vermeintliche Attentat gemeldet hatte, verschärfte | |
ihre Regeln für den Umgang mit Informationen aus dem Internet. | |
Unter dem neuen dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner wurde zudem der | |
dpa-Notizblock eingeführt, der heute zu jeder dpa-Meldung gehört: Hier legt | |
die Agentur ihre Recherchequellen offen. Zu in der Meldung vorkommenden | |
Orten gibt es die genaue Adresse (bei den gestrigen Koalitionsverhandlungen | |
zwischen SPD und Grünen in NRW war der "Verhandlungsort: Landkreistag, | |
Kavalleriestraße 8, Düsseldorf"), dazu kommen die von der dpa kontaktierten | |
Ansprechpartner mit vollem Namen, Telefonnummer und E-Mail-Adresse sowie | |
Namen, Nummern und Mailadressen der an der Meldung beteiligten | |
dpa-RedakteurInnen. | |
Das unterstützt das wichtigste Gut der Agenturen - ihre Glaubwürdigkeit, | |
die gerade in den fast grenzenlosen Möglichkeiten des digitalen | |
Kommunikationszeitalters immer wichtiger wird. Trotzdem ist das alte | |
Verhältnis zwischen Agenturen als Nachrichtensammler und den anderen Medien | |
gestört, sagt der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg: "Die | |
Grenzen verschwimmen, die Konkurrenz wird größer: Andere können auch | |
Nachrichten liefern." Die Maxime, "für uns ist jede Minute | |
Redaktionsschluss, gilt ja heute nicht mehr nur für die klassischen | |
Nachrichtenagenturen, sondern beinahe für alle Online-Angebote der | |
klassischen Medien", so Weischenberg. | |
Gerade die großen Agenturen haben noch ein weiteres Problem: Sie berichten | |
über - alles. "Die Generalisten von dpa werden von den schickeren | |
Generalisten von Spiegel Online überholt", sagt Ludwig Ringeifel, | |
Chefredakteur bei der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Da gehe es den | |
kleinen, spezialisierten Agenturen wie der KNA vergleichsweise gut. Auch | |
die protestantische Konkurrenz, der Evangelische Pressedienst (epd), | |
verzeichnete 2009 den höchsten Kundenstand seiner Geschichte. | |
Fehler sind allerdings auch weiterhin nicht auszuschließen: | |
"Agenturjournalismus ist ein schnelles Geschäft, da passieren jeden Tag | |
Fehler", sagt epd-Chefredakteur Thomas Schiller: "Anders als viele anderen | |
Medien berichtigen wir uns aber sofort." Bluewater als Fanal des | |
Agenturjournalismus zu sehen, wäre aber grundfalsch: Hier sei versucht | |
worden, professionelle Arbeit durch "kriminelle Energie auszuhebeln" - die | |
neuen technischen Möglichkeiten, so Schiller, machten "es einfacher als | |
früher, die Wege der Nachrecherche zu vergiften". | |
Im angelsächsischen Journalismus hat sich schon immer ein anderer Umgang | |
mit Agenturmeldungen etabliert: Hier dienen die Agenturen eher als Anreger | |
für eigene Geschichten. Oder werden zum Faktencheck benutzt, mit dem die | |
Ergebnisse der selbstrecherchierten Artikel kontrolliert werden. | |
Agenturkürzel finden sich in US-amerikanischen oder britischen Zeitungen | |
höchstens bei Kurzmeldungen. Ein solcher Umgang mit dem Material der | |
Nachrichtendienstleister, gewissermaßen als Emanzipation von der viel zu | |
oft unfreiwillig die Agenda bestimmenden Macht der Agenturen, wäre auch in | |
Deutschland ein Segen. Gegen eine solche neue Rolle, gesunde Skepsis | |
inklusive, dürfte auch dpa-Chef Büchner nichts haben: "Ich hätte kein | |
Problem damit, wenn wir in den Zeitungen immer weniger Agenturkürzel | |
finden, solange die Kunden auf der anderen Seite feststellen, dass wir für | |
sie eine Goldmine sind, sie also auf der Grundlage unseres Angebots besser | |
arbeiten können", sagte Büchner dem Fachblatt Medium Magazin. | |
Was den Agenturen bei allem "derzeit populären Agentur-Bashing" (Thomas | |
Schiller) auch unterstellt wird: Die hübscheste Skepsis leistet sich das | |
Berliner Weltblatt Tagesspiegel. Es hatte Ende 2009 angekündigt, die | |
Dienste der dpa zum Juli 2010 zu kündigen - weil die Agentur nach Berlin | |
umzieht und als Mieter beim Axel-Springer-Konzern unterkommt. Das, so die | |
Tagesspiegel-Chefredaktion, sei "mit der gebotenen Unabhängigkeit von dpa | |
völlig unvereinbar". Muss man sich also um dpa noch ganz andere Sorgen | |
machen? "Wir haben immer Angst", sagt dpa-Sprecher Justus Demmer, "aber | |
davor nicht." | |
22 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## TAGS | |
Agentur | |
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