| # taz.de -- Tauchen: Unterwegs in dunklen Tiefen | |
| > An Sommerwochenenden erkunden mehr als 1.000 Taucher die Unterwasserwelt | |
| > des 60 Meter tiefen Kreidesees im niedersächsischen Hemmoor. Dabei kommen | |
| > regelmäßig Taucher zu Tode. | |
| Bild: Rettungstaucher suchen in Hemmor einen vermissten Dänen. | |
| Am Ufer des karibikblauen Kreidesees blickt ein Vater unruhig auf die | |
| leicht gewellte Wasseroberfläche. Längst hat die Sonne die letzten Wölkchen | |
| vom Firmament geschmolzen. Aus dem See ragen die Baumkronen eines unter | |
| Wasser gelegenen Waldes. | |
| Es ist still - für den Vater etwas zu still. Sein Sohn ist gerade auf einem | |
| "Schnuppertauchgang" mit einem Tauchlehrer im Wasser. Zuletzt gesehen hat | |
| er sie vor einer halben Stunde. "Eigentlich müssten sie jetzt hinten bei | |
| der Roten Boje sein", er zeigt auf einen Plastikkanister der 30 Meter vor | |
| dem Ufer im Wasser liegt, "aber da sind keine Blasen." | |
| Wenn ein Taucher im Kreidesee verschwindet sind die aufsteigenden Bläschen | |
| das einzige Signal, dass ihn mit der Außenwelt verbindet. In den | |
| vergangenen elf Jahren kam es zu neun tödlichen Tauchunfällen. Der See ist | |
| bis zu 60 Meter tief und sehr kalt. In den dunklen Tiefen des Sees | |
| herrschen nur wenige Grad über Null. | |
| "Ach, da kommen sie", ruft der Vater. Schlagartig weicht der besorgte Blick | |
| aus seinem Gesicht, jetzt gilt es das Ferienerlebnis zu dokumentieren. Der | |
| Mittvierziger knippst Bildserien von den herannahenden Bläschen. | |
| Zwei in Neopren verpackte Köpfe tauchen auf. Behäbig waten der Schüler und | |
| sein Lehrer aus dem Wasser. "Und wie war's?", fragt Tauchlehrer Stephan | |
| Gildehaus seinen Debütanten. "Einfach nur geil", antwortet der 17-Jährige. | |
| Gildehaus taucht seit 1984 und ist einer der Tauchlehrer, die in der | |
| Tauchbasis am Kreidesee tätig sind. Er ist ein stämmiger Mann. Es ist | |
| nahezu furchteinflößend, wenn er roboterartig, mit der Gasflasche auf dem | |
| Rücken und den vielen Schläuchen, Schnallen und Messinstrumenten an seinem | |
| Körper, tropfend aus dem Wasser stapft. Am Schultergurt hängt eine | |
| Trillerpfeife, darüber ein glänzender Dolch - ein Tauchermesser. "Für den | |
| Notfall", erklärt er, "sonst hast du keine Chance, wenn du dich unter | |
| Wasser in Netzen, Seilen oder Angelsehne verhedderst." | |
| Sein Schüler hat sich die Taucherkluft bereits abgestreift und steht | |
| frierend im Wind. Gilderhaus schlägt dem Vater vor, für den Jungen eine | |
| Tauchschule zu suchen, er habe Talent und fühle sich wohl im Wasser. "Wer | |
| einmal damit anfängt, kann nicht mehr aufhören", sagt er und verabschiedet | |
| sich von der Familie. | |
| Am Arm trägt er einen kleinen Computer der seine Tauchgänge dokumentiert. | |
| Gemeinhin erinnern sich Taucher gerne an ihre Tauchgänge, machen Fotos, | |
| führen Buch darüber. Gildehaus kennt aber auch jene Tauchgänge, an die man | |
| sich nicht gerne erinnert: Im August 2009 beispielsweise tauchte er auf | |
| über 50 Meter Tiefe, um die Leiche eines verunglückten Tauchers zu bergen. | |
| Damals war ein 23-Jähriger aus dem Raum Lüneburg mit Tauchfreunden auf 38 | |
| Meter abgetaucht. Dort soll der junge Mann in Panik geraten sein und sank | |
| immer weiter in die Tiefe. Sein Begleiter versuchte noch zu helfen, musste | |
| jedoch nachdem er seinem Partner bis auf 44 Meter gefolgt war allein wieder | |
| auftauchen. Gildehaus war einer der Rettungstaucher, die an dem Tag Dienst | |
| hatten. "Als wir reingingen war er schon über eine Stunde im Wasser, da war | |
| nichts mehr zu machen." | |
| Früher hat er bei den Johannitern gearbeitet, dort habe er gelernt mit | |
| Situationen, wie das Bergen von Unfallopfern, umzugehen. Er fand den | |
| Taucher regungslos am Grund des Sees und zog ihn an die Oberfläche. An Land | |
| konnte der Notarzt nur noch den Tod des Mannes feststellen. Ein technischer | |
| Defekt eines der Atemventile soll für den Unfall verantwortlich sein, | |
| teilte die Polizei mit. "Panik ist einfach tödlich", sagt Gildehaus, | |
| "dagegen hilft nur Erfahrung." | |
| Auch beim jüngsten Unfall Mitte Mai spielte Panik vermutlich eine Rolle. | |
| Ein 30-jähriger Taucher aus dem südlichen Westfalen tauchte gemeinsam mit | |
| zwei Kollegen in 35 Meter Tiefe, als er plötzlich absackte. Mit einem | |
| U-Boot der Tauchbasis wurde der Mann etwa drei Stunden später in 60 Metern | |
| Tiefe geortet und geborgen. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Ein | |
| Fremdverschulden schließt die Polizei aus. | |
| Stephan Gildehaus kommt auf über 200 Tauchgänge im Jahr. Unerfahrene | |
| Taucher würden sich in dem ungewöhnlich tiefen See überschätzen. Spätestens | |
| ab einer Wassertiefe von 30 Metern setzt mit erhöhter Stickstoffaufnahme | |
| der Tiefenrausch ein. "Rundherum wird alles schwarz, das Sichtfeld | |
| schrumpft auf einen kleinen Tunnel zusammen", sagt Gildehaus, "beim | |
| ausatmen klingt es als ob jemand neben deinem Ohr ein Blech schüttelt." Das | |
| logische Denkvermögen wird beeinträchtigt und man neigt zum Übermut. Daher | |
| tauche man in großen Tiefen mit einem Luft-Helium-Gemisch, um den | |
| Stickstoffanteil im Blut zu senken. "Unerfahrene Taucher können im | |
| Tiefenrausch in Panik geraten", und Panik bedeutete in 50 Metern Tiefe den | |
| Tod. | |
| Unter den hohen Druckverhältnissen kann eine Gasflasche, die in geringerer | |
| Tiefe eine Stunde halten würde, von einem hyperventilierenden Taucher | |
| binnen Minuten verbraucht sein. Doch auch ein zu schneller Aufstieg aus der | |
| Tiefe birgt die Gefahr der Taucherkrankheit. Das im Blutkreislauf | |
| befindliche Stickstoff oder Helium perlt aus. Die Gasbläschen können zu | |
| schweren Gefäßverletzungen führen. Mehrmals mussten Taucher aus Hemmoor zur | |
| Behandlung in Dekompressionskammern nach Bremen oder Kiel ausgeflogen | |
| werden. | |
| Von Betitelung der Boulevardpresse, wie "Todessee" oder "Mordwasser" hält | |
| Gildehaus dennoch nichts. "Das ist Quatsch, die Unfälle entstehen durch | |
| Leichtsinn oder einen technischen Defekt." Die Unfallzahlen der letzten | |
| Jahre würden oft aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt werden, um eine | |
| Geschichte interessant zu machen. An Sommerwochenenden kommen über 1.000 | |
| Taucher zum Kreidesee. Jährlich gehen mehr als 30.000 Besucher im Kreidesee | |
| tauchen. | |
| "Viel sicherer als hier kann man nicht tauchen", sagt Gildehaus, "und wenn | |
| doch etwas passiert, wird man hier wenigstens gefunden." Spezialisierte | |
| Rettungskräfte seien ständig vor Ort und Notruftelefone am Ufer. | |
| Heute hat Gildehaus noch einen Nachmittagstauchgang vor, "an der Steilwand | |
| entlang tauchen und dann durch den Wald". Wenn man über die Baumkronen | |
| hinwegtauche sei das wie fliegen, sagt er. "Tauchen ist für mich | |
| Entspannung und Freiheit", sagt er. Und springt vom Steg aus ins Wasser. | |
| 23 Jun 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Joseph Varschen | |
| ## TAGS | |
| Apnoe-Tauchen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Risikosportart Apnoetauchen: Mit einem Atemzug | |
| Anas Chair ist einer der wenigen Apnoetaucher Afrikas. Unter Wasser setzt | |
| er sich lebensgefährlichen Bedingungen aus. Was treibt ihn an? |