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# taz.de -- Zum Tod von Heidi Kabel: Die Hanseaten-Ikone
> Nun ist Heidi Kabel beerdigt worden. Damit schließt sich ein Kapitel
> jener Hamburg-Folklore, die die Stadt am Laufen hält und alle
> Widersprüche zukleistert.
Bild: Egal was hanseatisch ist: Heidi Kabel war hanseatischer. Ihr Tod markiert…
Natürlich war sie da, beim Trauergottesdienst für Heidi Kabel im Michel,
die Finkwarder Speeldeel. Und natürlich sang sie "In Hamburch sacht man
Tschü-hüs". Damit waren auch schon drei Hauptelemente jener Folklore
versammelt, auf die das Hamburger Kleinbürgertum nicht zu verzichten können
glaubt. Außerdem gehören dazu: der Hafengeburtstag mit Windjammerparade,
das Hamburger Abendblatt, die Beatles, Freddy Quinn, Uwe Seeler, der Dom,
Udo Lindenberg, Fischerhemden, Helmut und Loki Schmidt, die "Queen Mary
II", Elbsegler, Matjes, Atti Darboven, Plattdeutsch und vieles und viele
mehr.
Das Ohnsorg-Theater ist das folkloristische Hochamt - und Heidi Kabel, "uns
Heidi", wie Theater-Chef Christian Seeler während der Trauerfeier sagte,
war das Ohnsorg-Theater. Die Inkarnation der Hamburg-Folklore. Sie war in
Rollen und Selbstdarstellung so, wie viele Hamburger sich selbst und ihre
Stadt gerne sehen. Lustig, aber nicht zu doll, ehrlich, kleinbürgerlich,
brav, ein ganz kleines bisschen frech. Ganz kleines bisschen.
Der Grünen-Abgeordnete Farid Müller schreibt in seinem Plädoyer in der taz,
einen Platz nach Kabel zu benennen, dass "die Stadt der Kaufleute" mehr sei
als das. Er macht einen Gegensatz auf zwischen Kaufleuten, Reedern und den
"Kreativen", zu denen er Heidi Kabel rechnet. Das ist zu kurz gedacht: Die
Stadt der Kaufleute hat genau die Folklore, die sie braucht, damit nicht
mehr brennt als dann und wann ein paar Autos. Heidi Kabel und die Kaufleute
und Reeder - das passt zusammen, das ist eins, das braucht sich. Die
singende und lachende Hamburg-Folklore übertönt das Rascheln der
Geldscheine, das wichtigste Geräusch dieser Stadt.
Die Bedeutung dieser Folklore und die Automatismen ihrer Wirkung zeigten
sich, als der Erste Bürgermeister Carl-Friedrich Arp "Ole" Freiherr von
Beust mit einer Strategie in einen Wahlkampf zog, die bis zu seinen blonden
Haaren nur aus Folklore und nichts anderem bestand - mit dem Slogan
"Alster, Michel, Ole". Wenn das Abendblatt von jemandem schreibt, er oder
sie seien "nicht hanseatisch", dann ist das ein Todesurteil. Es ist weniger
die Herkunft, als eine Einstellung, eine Haltung. Entscheidend ist, dass
niemand so genau weiß, was "hanseatisch" ist. Das macht es als Waffe so
wertvoll.
Egal was hanseatisch ist: Heidi Kabel war hanseatischer. Oder wie
Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) es nun formulierte: "Wie könnte es
eine bessere Botschafterin unserer Hamburger Lebensart geben" als Heidi
Kabel, dieses "unersetzliche Stück Hamburg".
Ein Stück, ein Ausstellungsstück. Die Musealisierung, die zu Lebzeiten
begonnen hat, ist damit abgeschlossen. Heidi Kabel stand nämlich für ein
Untergehendes. Die Eigenschaften, die sie verkörperte, sind nicht mehr
gefragt. Gerade deswegen muss SPD-Chef Olaf Scholz sagen, die SPD werde ihr
nie ihre Unterstützung vergessen - "weil ihr Herz zu uns passt". Besser
gesagt: zur SPD-Folklore. Es ist das Herz, das der SPD längst abhanden
gekommen ist.
Heute geht es um Außendarstellung, um Fassaden wie die Elbphilharmonie, die
das kostet, was dieser Senat gerade einzusparen versucht. Heidi Kabel war
prima für die Touristen, die gerne das bestätigt sehen, was sie als
Vorurteile in diese Stadt mitbringen. Und sie war das Sedativ für die
Rentner, die, wenn es ein bisschen ruppelig zugeht, wie jetzt, in ihren
vollen Hosen schlecht schlafen. Zu Recht, denn sie wissen, dass sie es
sind, die im Zweifelsfall geopfert werden.
Die Kleinbürger haben, in den Zeiten der Krise, nicht viel Halt, nicht viel
Sicherheit. Wirtschaftskrisen sind schlimmer als Brand und Hochwasser. An
Heidi Kabel und den Tränen, die Bild und Abendblatt über ihren Tod
vergießen, kann man sehen, wie die Stadt, die kälter ist als manch andere
in diesem Land, nach Sicherheit und Wärme lechzt.
Während bei Inge Meysel jeder wusste, dass sie nicht in dem Bild aufging,
das die fürs Volkstümliche zuständigen Hofschreiber der Herrschenden von
ihr zeichneten, war Heidi Kabel mit diesem Bild identisch. Sie hat sich nie
gegen das gewehrt, was man aus ihr gemacht hat. Deshalb repräsentierte sie
den überkommenen Teil der Hamburg-Folklore wie keine andere.
Heidi Kabels Tod markiert das Ende einer Epoche. Auch ihre Anhänger sind
alt geworden. Es wird neue Darsteller der Hamburg-Folklore geben, die in
Kabels Fußstapfen treten. Glatter, kompatibler, nicht so mütterlich, aber
genauso hanseatisch. Auf die Hamburg-Folklore selbst kann nicht verzichtet
werden.
Heidi Kabel hat sich einen Platz verdient. Sie wird ihn selbstverständlich
bekommen. Bei der Einweihung spricht der Freiherr plattdeutsch, die
Finkwarder Speeldeel singt mit Udo Lindenberg, Freddy Quinn und den
Beatles. Alle in Fischerhemden und Elbsegler, auch Uwe Seeler. Die "Queen
Mary II" tutet, es gibt Matjes für alle, gestiftet von Atti Darboven.
Helmut Schmidt gibt Rauchzeichen aus dem Rollstuhl. Das wird unheimlich -
hanseatisch.
25 Jun 2010
## AUTOREN
Roger Repplinger
## TAGS
Ottfried Fischer
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