# taz.de -- Wattenmeer-Büroleiter Jens Enemark: "Das Watt wird nicht untergehe… | |
> Seit einem Jahr ist das Wattenmeer an der Nordsee Unesco-Weltnaturerbe. | |
> Verbessert habe sich seitdem nichts, sagt Jens Enemark, Chef des | |
> Wattenmeer-Büros von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden. Um die | |
> Veränderungen zu sehen, müsse man in längeren Zeiträumen denken. | |
Bild: "Das Watt ist ein Naturwert, keine Rubrik in einer Bilanz": Jens Enemark. | |
taz: Herr Enemark, vor einem Jahr wurde das Wattenmeer von der Unesco als | |
Weltnaturerbe anerkannt. Was hat sich seitdem verbessert? | |
Jens Enemark: Nichts. | |
Nichts? | |
In einem Jahr verbessert sich kein Ökosystem im großem Maßstab. Da muss man | |
in mindestens einer Generation denken. Wichtig ist: Man muss mit dem | |
Schützen anfangen und es intensivieren, und das haben wir gemacht. Was sich | |
geändert hat, ist die enorme Zustimmung und Stolz der Region über die | |
Anerkennung. | |
Was ist denn an dieser schlickigen Einöde so besonders? | |
Das ist ein gängiges Vorurteil, man muss schon genau hinsehen. Es ist das | |
größte zusammenhängende Watt weltweit. Bis zu 10.000 Tierarten von | |
Bakterien über Fische und Vögel bis zu Schweinswalen und Kegelrobben leben | |
dort. Diese Biodiversität ist so groß wie in tropischen Regenwäldern … | |
Also die Vielfalt der Arten und die Vielfalt innerhalb der einzelnen Arten? | |
Ja, es ist ein weltweit einzigartiges Ökosystem. Mehrere Hundert Arten sind | |
endemisch, sie gibt es auf der ganzen Welt nur hier vor unserer Küste. Und | |
die Schweinswale sind die einzigen heimischen Wale in der Nordsee. Das ist | |
doch großartig. | |
Und Seehunde sind putzig, okay. Aber wozu sind Wattwürmer nutze? | |
Diese Frage stellt sich nicht. Die Wattwürmer sind eben da, sie gehören | |
dahin, und sie erfüllen ihre Aufgabe im Ökosystem wie die anderen Arten | |
auch, ob niedlich oder nicht. Ohne Würmer kämen viele Zugvögel nicht im | |
Frühjahr und Herbst ins Watt. Es sind die ökologischen Zusammenhänge in | |
dieser Übergangszone zwischen Land und Meer, die wir erkennen, begreifen | |
und bewahren müssen. | |
Aber es scheint keine große Zukunft zu haben. Klimawandel und steigende | |
Pegel bedrohen es. In 100 Jahren ist das Watt doch weg, oder? | |
Nein, bestimmt nicht. | |
Sie sind aber optimistisch. | |
Ich bin mir sicher. Der Pegel steigt, das ist unzweifelhaft. In 100 Jahren | |
vielleicht 50 Zentimeter, die Pessimisten schätzen sogar einen Meter und | |
mehr. Das führt zu Veränderungen, die Wattflächen werden abnehmen und sich | |
verlagern. Die Frage ist sicherlich, ob das Watt mit dem Tempo des | |
Klimawandels mithalten kann, aber es wird nicht untergehen. Auch noch nicht | |
in 200 oder 1.000 Jahren. | |
Sonst würde es sich ja gar nicht lohnen, das zu schützen. | |
Unter diesem Aspekt kann man das nicht sehen. Das Watt ist ein Naturwert, | |
keine Rubrik in einer Bilanz. Wie heißt es doch so schön? "Und wenn morgen | |
die Welt unterginge, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen" - die | |
Hoffnung muss bleiben. | |
Wie schwierig ist es, die vielen unterschiedlichen Interessen unter einen | |
Hut zu bekommen? Drei Staaten, drei deutsche Bundesländer, Naturschutz, | |
Industrie, Häfen, Hoteliers … | |
In den Details ist es immer kompliziert, im Grundsatz aber nicht. Nicht | |
mehr. Wir sind einen langen Weg gegangen in den 25 Jahren, seit die | |
Nationalparks im Wattenmeer gegründet wurden. Die heftigen Diskussionen | |
waren in den 80er und 90er Jahren mit Fischern, Jägern, dem Küstenschutz, | |
der Wirtschaft. Die Jagd ist größtenteils eingestellt und die Fischerei | |
stark reguliert. Es gibt keine neuen Eindeichungen mehr im Watt, das war | |
vor 30 Jahren noch fast undenkbar. Es gibt in vielen Bereichen einen | |
breiten Konsens, das Prinzip des Naturschutzes stellt niemand mehr in | |
Frage. | |
Aber es gibt Ausnahmen, so wie im Hamburger Wattenmeer-Nationalpark, der | |
nicht Teil des Weltnaturerbes ist, weil Hamburg Probleme für seinen Hafen | |
und die Elbvertiefung befürchtete. | |
Hamburg will seinen Anteil jetzt nachträglich anmelden bei der Unesco. | |
Daran sieht man, dass die Überzeugungsarbeit gelungen ist. Aber Hamburg | |
wird sich auch unabhängig davon anstrengen müssen, wenn es denn die nächste | |
Elbvertiefung geben sollte, dass die Elbe dann kein Kanal wird, sondern ein | |
noch lebendigerer Lebensraum als jetzt. | |
Hat Hamburg zu Unrecht befürchtet, der Titel Weltnaturerbe würde den Hafen | |
gefährden? | |
Die Unesco hat erklärt, dass es keine Einschränkungen für die Hafenzufahrt | |
geben wird, also ist das Thema erledigt und Hamburg kann sich ohne Angst um | |
den Titel bewerben. | |
Dänemark hat das auch noch nicht getan. | |
Ja, da gab es heftige Diskussionen. Aber meine Landsleute wollen jetzt auch | |
mitmachen bei der Bewerbung zum Weltnaturerbe. | |
Gab es da auch Befürchtungen seitens der Wirtschaft? | |
Das war überwiegend der Widerstreit zwischen der Region und der Regierung | |
in Kopenhagen. | |
So wie damals in Schleswig-Holstein? Da sagten auch viele in Nordfriesland, | |
die Politiker aus Kiel - von der Ostsee! - die haben doch keine Ahnung. | |
Ja, so ähnlich war es auch in Dänemark. Aber jetzt haben beide Seiten | |
eingesehen, dass sie zusammenarbeiten müssen. Es geht nur im Dialog. | |
Sie sind Däne, verheiratet mit einer Niederländerin und arbeiten in | |
Deutschland - die Personifizierung des trilateralen Wattenmeers? | |
Ach nein, aber es liegt mir schon sehr am Herzen. Ich bin an der dänischen | |
Westküste aufgewachsen, nahe der Insel Rømø, so richtig verliebt in das | |
Watt habe ich mich aber erst in den Niederlanden, als ich vor langer Zeit | |
mit meiner Frau auf einer westfriesischen Insel war. Da fiel mir auf, das | |
Watt hier sieht ja so aus wie das in meiner Jugend in Dänemark. Da fing die | |
Faszination an. | |
Fällt es Ihnen durch die drei Herzen in Ihrer Brust leichter, mit allen | |
Akteuren in den drei Ländern zu reden und sie zu überzeugen? | |
Das vielleicht schon. Ich kenne die kulturellen Eigenheiten, ich spreche | |
alle drei Sprachen. Das macht mir die Arbeit sicher leichter. Es hat mich | |
ja auch noch niemand vom Hof gejagt. | |
Sie sagen, durch den Titel Weltnaturerbe habe sich nichts verbessert. Was | |
soll das dann alles? | |
Die Auszeichnung ist zunächst eine Belohnung für das, was bereits | |
geschaffen und erreicht wurde, eine Anerkennung des Geleisteten. Das ist | |
doch bei einem Bauwerk, das zum Weltkulturerbe ernannt wird, auch so. Und | |
dann bedeutet es einen Imagegewinn für die gesamte Region und somit auch | |
einen Anreiz für sanften Tourismus. Zugleich geht damit die Verpflichtung | |
einher, diesen ökologischen Schatz zu hegen und zu pflegen. | |
Aber wenn das getan wird, muss sich doch die Situation verbessern? | |
Ja, wenn man einzelne Bereiche analysiert, lässt sich das oft belegen, aber | |
diese Entwicklungen sind alle älter als ein Jahr. Die Einleitung von | |
Schadstoffen aller Art ist deutlich zurückgegangen, es gibt mehr und | |
größere Seegrasfelder und Salzwiesen. Viele Arten von Brut- und Rastvögeln | |
nehmen im Bestand zu, bei den Seehunden ist er mit über 20.000 Tieren | |
rekordverdächtig hoch. Andererseits gehen in einigen Gebieten aus noch | |
unbekannten Gründen die Miesmuschelbänke zurück, der Schutz der | |
Schweinswale ist ein wichtiges Thema, und bei einigen Strandbrütern gibt es | |
deutliche Rückgänge. | |
Woran liegt das? | |
Überwiegend am Tourismus. Auch vorsichtige Menschen schrecken die Vögel | |
häufig auf, das gefährdet den Bruterfolg. | |
Trotzdem sollen noch mehr Touristen ins Watt kommen? | |
Es wird keine signifikante Zunahme geben, darin sind wir uns auch mit den | |
Tourismusverbänden einig. Es werden wohl neue Touristen kommen, auch aus | |
dem Ausland, wegen des Titels Weltnaturerbe. Aber sie kommen wegen dieses | |
hochsensiblen Naturraums, also besteht auch dort das Interesse, ihn zu | |
bewahren. Tourismus und Naturschutz dürfen nicht in Konflikte geraten, sie | |
sind Partner. Das muss zusammenpassen und sich gegenseitig verstärken. | |
Und die Küste verkraftet das? | |
Ja. Absolut. Es muss aber naturverträglich sein, dafür müssen wir alle | |
sorgen. | |
Und wie naturverträglich sind Ölförderung und Offshore-Windparks? | |
Die Ölförderung mit der Bohrinsel Mittelplate vor Dithmarschen ist ein | |
Problem. Eigentlich darf in einem Weltnaturerbe keine Ressourcennutzung | |
stattfinden. Aber die Konzession ist noch 30 Jahre gültig, es gibt | |
Rechtsansprüche. Deshalb wurde die Mittelplate aus dem Naturerbegebiet | |
ausgeschnitten. Das ist ein Problem, aber kein Grund, den großen Rest nicht | |
zu schützen. Aber in der Perspektive muss das eingestellt werden. | |
Und die Offshore-Windparks? | |
Die Windparks stehen weit draußen außerhalb der Nationalparks, die sind | |
kein Problem. Die Verlegung der Stromkabel zum Land muss aber deutlich | |
verbessert werden. Da gibt es jetzt Auflagen, das ist vertretbar. Windkraft | |
ist eine sanfte Energiegewinnung. Was eine ökologische Katastrophe ist, | |
sehen wir ja im Golf von Mexiko. | |
Wie wird das Wattenmeer aussehen, wenn Sie in vier Jahren in Pension gehen? | |
Ich hoffe, es ist in einem besseren Zustand als ich es vor 23 Jahren | |
vorgefunden habe. | |
27 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zugvögel im Wattenmeer: Verhungert mit vollem Magen | |
Das Wattenmeer der Nordsee ist die wichtigste Nahrungsquelle für Millionen | |
Zugvögel. Viele von ihnen leiden unter den Klimawandel-Folgen. |