# taz.de -- Der Fall Harry Wörz: "Die machen, was sie wollen" | |
> Im Herbst 2009 endet eine der spektakulärsten Kriminalgeschichten der | |
> letzten 20 Jahre. Die ARD-Doku "Leben unter Verdacht - Der Fall Harry | |
> Wörz" (Dienstag, 22.45 Uhr) rekonstruiert sie. | |
Bild: Harry Wörz im Gespräch mit seinen Verteidigern. | |
„Wenn ich in den Spiegel reingucke, dann seh' ich keinen Mörder. Und viele | |
Polizisten aus Pforzheim, wenn die in den Spiegel gucken, müssen sie sich | |
sagen: Warum hab' ich so einen Scheißdreck gemacht?“ Das sind die letzten | |
Worte von Harry Wörz nach seinem Freispruch 2009. Er blickt in die Kamera | |
von Günther Scholz. Man kennt sich. Scholz hat einen der spektakulärsten | |
Kriminalfälle der jüngsten Geschichte von Beginn an begleitet. Zwei Filme | |
hat er darüber gemacht – 2001 und 2006. Heute läuft sein Dritter um 22.45 | |
Uhr in der ARD: „Leben unter Verdacht – Der Fall Harry Wörz“. | |
In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 soll Wörz versucht haben seine | |
Ex-Frau Andrea umzubringen. Minutenlang wurde das Opfer stranguliert und | |
überlebte mit irreversiblen Hirnschäden. Die ehemalige Polizistin ist heute | |
ein Pflegefall. Der gelernte Insallateur wurde ebenso wie der Geliebte des | |
Opfers, Thomas H., auch Polizist, am nächsten Morgen verhaftet. Doch die | |
ermittelnde Pforzheimer Kripo schießt sich auf Harry Wörz ein.1998 kommt es | |
zum Prozess, Wörz, dem ein Alibi zur Tatzeit fehlt, wird wegen versuchten | |
Todschlags zu 11 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, Thomas H. wird von der | |
Ehefrau entlastet. | |
Ein Jahr später kommt es zum Zivilprozess. Der Vater des Opfers verklagt | |
den bereits im Gefängnis sitzenden Wörz auf Schadensersatz aufgrund der | |
hohen Pflegekosten für die Tochter. Im Laufe des Verfahrens endeckt der | |
Richter Wolf-Rüdiger Waetke vom Landgericht Karlsruhe massive | |
Unregelmäßigkeiten in der polizeilichen Ermittlungsarbeiten. | |
Eineinhalb Jahre zieht sich die Verhandlung hin, am Ende wird die | |
Schadensersatzklage abgewiesen, Richter Waetke zweifelt an einer Schuld von | |
Wörz. Der Fall beginnt die Öffentlichkeit zu interessieren. Nach zwei | |
Wiederaufnahmeverfahren wird Harry Wörz – den man im November 2001 aus der | |
Haft entlässt - 2009 freigesprochen, während sich ein Tatverdacht gegen | |
Thomas H. zu erhärten scheint. | |
Der neuzigminutige Film von Günther Scholz ist bemüht die 12-jährige | |
Prozessgeschichte punktgenau nachzuerzählen – die Geschichte des | |
Justizopfers Harry Wörz. Detailgetreu wird die Tat rekonstruriert, die | |
einzelnen Gerichtsverfahren werden durchleuchtet, die Biografie des | |
Angeklagten ausgebreitet. Wörz wirkt häufig autistisch, ein Stück weit der | |
Welt entrückt. Er überlegt gründlich bevor er spricht, zeigt stets eine | |
distanzierte Emotionalität, ist um Haltung bemüht Er ist ein einfacher Mann | |
– keiner, der zu Ausbrüchen neigt. | |
Zu Scholz und seinem Team hat er offensichtlich Vertrauen und der | |
Filmemacher nimmt die vorhandenen Sympathien zum Anlass, öfter die Postion | |
des reinen Dokumentaristen zu verlassen, streut persönliche Kommentare ein. | |
Das irritiert gelegentlich. | |
Dennoch ist „Leben unter Verdacht – Der Fall Harry Wörz“ eine beachtliche | |
filmische Arbeit, angesichts der Materialfülle. Dank der soliden und | |
gründlichen Produktion erschließt sich der Verlauf der spektakulären | |
Kriminalgeschichte dem Zuschauer lückenlos und spannend. | |
Am Ende ergibt sich ein erschreckendes Bild von grundlegenden Versäumnissen | |
in der Polizeiarbeit und einer Staatsanwaltschaft, die auch nachdem fast | |
sämtliche Verdachtsmomente gegen Wörz entkräftet, sind an dessen | |
Täterschaft festhält. Der Freigesprochene sagt dazu nüchtern:„Da geht’s | |
nicht nach Fakten. Die machen was sie wollen. Wenn der Staat halt gut | |
aussieht, dann machen die das.“ | |
29 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
Jan Scheper | |
## TAGS | |
Baden-Württemberg | |
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