# taz.de -- Kommentar Fußball-WM: Schweinsteigers Knieschuss | |
> Der deutsche Vizekapitän Bastian Schweinsteiger erklärt Argentinien zu | |
> einer Nation von Sitzplatzdieben. Sitzplatzdiebstahl! Schlimmer ist nur, | |
> wenn man uns Deutschen das Kraut klaut. | |
Die deutsche Mannschaft ist bei dieser WM eine unerwartet positive | |
Projektionsfläche. Sie steht nicht nur im Viertelfinale, sie spielt einen | |
modernen, internationalen Fußball, dessen beste Momente eine starke | |
emotionale Kraft haben. Es ist eine junge Gemeinschaft aus dem | |
Gelsenkirchener Özil, dem Stuttgarter Khedira, dem Kölner Podolski, dem | |
Münchner Lahm, die eine sportlichen und gesellschaftlichen Aufbruch | |
symbolisieren kann, der die Verkrustungen und manchen tradierten Unfug des | |
20. Jahrhunderts hinter sich läßt. | |
Aber nun kommt der Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger aus Kolbermoor vor | |
dem Spiel gegen Argentinien am Samstag daher und betätigt sich als Experte | |
für argentinische Mentalität. Argentinier, sagte Schweinsteiger, setzten | |
sich im Stadion auf Plätze, für die sie gar keine Tickets hätten. | |
Hauptsache zusammen. Dafür müßten dann "andere Fans woanders sitzen". Das | |
zeige "ihren Charakter". Aha: Argentinier sind rücksichtslose Ego- oder | |
Nationalisten? Und dann die Spieler erst. "Sie gestikulieren und versuchen, | |
den Schiedsrichter zu beeinflussen. Das ist respektlos, aber die | |
Argentinier sind so." | |
Das ganze erinnert an schlechte alte Zeiten, als die Holländer immer | |
unseren Rudi bespuckten, die Engländer immer gewannen, obwohl es kein Tor | |
war und Argentinier und "Urus" fiese Halunken waren, die jedes Mal nur | |
foulten, bei Führung das Spiel verzögerten und unserem braven Uwe eine | |
Ohrfeige reinsemmelten. Dazu kommentierte Heribert Faßbender, dass man die | |
Argentinier "in die Pampa zurückschicken" sollte. | |
Offenbar hat Schweinsteiger schlechte Erinnerungen an das WM-Viertelfinale | |
2006, das in einem Tumult endete. Dennoch hätte man eigentlich gehofft, | |
dass die Zeit der Propagierung nationaler Stereotypen vorbei ist. Manche | |
Beobachter assistieren Schweinsteiger, in dem sie das als listige | |
Provokation interpretieren. Um die Pampa-Stiere wild zu machen? Andere | |
vermuten, Schweinsteiger wolle trickreich auf den Schiedsrichter einwirken, | |
damit dieser nicht auf die gemeinen Tricks der Argentinier hereinfalle. | |
Dritte erklären ihn gar als Erbverwalter des Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß | |
zur "Abteilung Attacke". | |
Ja, Gott: Andere Teams "provozieren" auch. Jedes Team versucht, auf den | |
Schiedsrichter einzuwirken. Und miese Fouls sind nicht schön, aber | |
Realität. Überall. Und Deutschland wurde 1990 gegen Argentinien durch eine | |
Schwalbe von Rudi Völler Weltmeister. Handwerklich gut gemacht, muss man | |
sagen. | |
Ein kluger Sportler bringt dem gegnerischen Team vor einem derart großen | |
Spiel Respekt entgegen; seinem Fußball und seinen Spielern. Das wertet den | |
Gegner auf - und einen selbst. | |
Schweinsteiger aber hat vor der Welt über das argentinische Team gesprochen | |
wie am Stammtisch auf der Schwäbischen Alb. Und dann auch noch ohne Not | |
Argentinien zu einer Nation von Sitzplatzdieben erklärt. | |
Sitzplatzdiebstahl! Schlimmer ist für uns Fritze nur noch, wenn man uns das | |
Kraut oder die Würstel klaut. | |
Möglicherweise hat er in der Begeisterung über seine vermeintliche | |
Transformation vom Schweini zum Herrn Schweinsteiger die ihm zugeschriebene | |
Funktion als "emotional leader" ausfüllen wollen. Er ist dabei zum Chef der | |
Abteilung Knieschuss geworden. | |
1 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Deutschland vor dem Viertelfinale: Da geht was! | |
Kein Scheißfußball mehr. Inzwischen befriedigt das DFB-Team fußballerische | |
Sehnsüchte und ist eine romantische Metapher für die Möglichkeit einer | |
Gesellschaft, die sich nicht über Blut definiert. | |
Schweinsteiger schimpft auf Argentinien: Von Tretern, Tricksern und Simulanten | |
Vor dem Viertelfinale gegen Argentinien versucht Schweinsteiger einen | |
psychologischen Kleinkrieg vom Zaun zu brechen, doch die Argentinier lassen | |
sich nicht beunruhigen. |