| # taz.de -- Fussballgucken: Beten und beten lassen | |
| > Deutschland gegen Argentinien: Partyotismus erleben in Neukölln. | |
| Bild: Mancher findet's übertrieben: Die berühmteste Deutschlandfahne Neuköll… | |
| Ein einfacher Test zeigt, wie groß die Begeisterung der multikulturellen | |
| Neuköllner für die deutsche Fußballnationalmannschaft, die in den letzten | |
| Wochen die Medien beschäftigte, wirklich ist: Shoppen in den | |
| Neukölln-Arcaden in der ersten Halbzeit des Spiels Deutschland - | |
| Argentinien am Samstagnachmittag. Schlag vier leert sich das | |
| Einkaufszentrum gespenstisch, die Kundschaft besteht fast nur noch aus | |
| Frauen. Immerhin ist die Schlange an der Boutique-Kasse auch um 16.15 Uhr | |
| noch lang genug für eine kurzes Update: Ja, es sei schon ein Tor gefallen, | |
| weiß eine Kundin - für wen aber? Nein, das weiß sie nicht. | |
| Zur zweiten Halbzeit dann ans obere Ende der Sonnenallee, mittlerweile | |
| bundesweit bekannt durch die riesige Deutschlandfahne, die Einwanderer aus | |
| dem Libanon dort aufgehängt haben. Hier ist man erheblich besser | |
| informiert: Kein Laden, kein Café kommt hier ohne Fernsehgerät aus. | |
| Bahrie Omeirat - seit sie am Donnerstag das taz-Titelbild schmückte, ist | |
| sie im Kiez noch bekannter als zuvor: nun kennen sie nicht nur die | |
| arabisch-, sondern auch die deutschstämmigen Nachbarn - sitzt, wie bei | |
| jedem Spiel ganz schwarz-rot-gold gekleidet, vor dem Fernseher in ihrem | |
| Möbelladen. Geht es nach ihr, ist der deutsche Sieg nicht nur sicher. | |
| Sondern gekauft: Sie habe ihre Mutter im Libanon angerufen und gebeten, für | |
| die deutsche Nationalmannschaft zu beten, erzählt Bahrie: "Dafür schicke | |
| ich ihr hundert Euro, habe ich versprochen!" | |
| Auch Bahries Gebetskette gleitet unentwegt durch ihre Finger, nur bei jedem | |
| Tor lässt sie sie kurz liegen, springt auf, um vor der Tür die Vuvuzela zu | |
| blasen. "Brauchen wir noch eins?", fragt sie nach dem dritten Tor | |
| selbstbewusst ihre Mitgucker. | |
| Kurz vor Spielschluss muss sie Kundinnen bedienen: Drei junge | |
| Deutscharaberinnen brauchen schnell eine Darbuka, die arabische Handtrommel | |
| - um den mittlerweile unabwendbaren Sieg gleich angemessen feiern zu | |
| können. | |
| Zentrum der Siegesfeier auf der Neuköllner Fanmeile ist der Laden der | |
| Bassals, wo die berühmte 20 Meter lange Deutschlandfahne hängt. Zwei | |
| Fernsehteams sind da, um den Jubel der überwiegend arabischstämmigen | |
| Fußballfans zu filmen. | |
| "Wir sind doch auch Deutsche! Lasst uns alle zusammen feiern!" Auch wenn | |
| sie durch den Lärm in die Mikrofone gegrölt werden müssen: Die in den | |
| letzten Tagen viel zitierten und -diskutierten Statements der | |
| Bassal-Brüder, die vor Jahrzehnten als Kriegsflüchtlinge nach Deutschland | |
| kamen, klingen vor diesem Hintergrund aus arabischen Trommeln und | |
| afrikanischen Tröten gerade nicht nach bierselig-dumpfdeutschem | |
| Fan-Patriotismus, sondern nach etwas Anderem, Neuen. Wie wärs mit: | |
| Partyotismus? ALKE WIERTH | |
| 5 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Alke Wierth | |
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