# taz.de -- Organist Izsák über die Musik der Synagogen: "Ich war unglaublich… | |
> Er war gefeiertes Wunderkind, dann verbot man ihm zu spielen. Die erst | |
> von den Nazis, dann vom ungarischen Staat verfemte Musik der jüdischen | |
> Gotteshäuser will der Synagogal-Organist Andor Izsák retten. Warum, | |
> erklärt er im Montagsinterview. | |
Bild: "Ich behaupte, dass diese Musik auf einer Stufe mit der christlichen Kirc… | |
taz: Herr Izsák, die Orgel ist kein traditionelles Instrument in der | |
Synagoge. Warum sind Sie ausgerechnet Organist geworden? | |
Andor Izsák: Die Orgel wurde 1810 von Reformern eingeführt und ist unter | |
orthodoxen Juden immer noch umstritten. Das war anfangs auch für mich ein | |
Problem, weil ich sehr orthodoxe Eltern hatte. Aber mit 13, nach der Bar | |
Mitzwa - vergleichbar mit der Konfirmation - habe ich gesagt: Ich will | |
nicht mehr in die orthodoxe, sondern in die neologe Synagoge gehen. Eine | |
neologe Synagoge ist nicht liberal, trennt also nach wie vor Männer und | |
Frauen - hat aber eine Orgel. Die hatte ich einmal gehört und war fest | |
entschlossen, sie spielen zu lernen. | |
Waren Ihre Eltern damit einverstanden? | |
Nein, gar nicht! Ich habe das gegen ihren heftigen Widerstand durchsetzen | |
müssen. Aber mein Vater hatte die Größe, mich trotzdem in die neologe | |
Synagoge zu begleiten. Er wollte nicht, dass ich alleine ging. | |
Warum nicht? | |
Erstens, weil ich noch jung war und der Weg weit und verkehrsreich. | |
Zweitens, weil es einen starken Antisemitismus gab. Der rührte einerseits | |
daher, dass die jüdische Gemeinde im sozialistischen Ungarn als | |
Klassenfeind galt, weil sie Unterstützung aus Amerika bekam. Andererseits | |
gab es einen mühsam unterdrückten Volkszorn gegenüber Juden, den man aber | |
ständig spürte. Beim Fußball etwa waren die gegnerischen Spieler "die | |
Juden" - das war ein geläufiges Schimpfwort. Deshalb hatten wir auch Angst, | |
wenn wir in die Synagoge gingen. Man wusste nie, ob man unterwegs | |
beschimpft oder bespuckt würde. | |
Trotzdem gab es im Nachkriegs-Budapest ein reges jüdisches Gemeindeleben. | |
Ja. Allerdings war die Gemeinde durch die Shoah stark dezimiert. Wir | |
beklagen 600.000 ermordete ungarische Juden. Ungefähr 100.000 haben | |
überlebt. Unter ihnen gab es große Kantorenpersönlichkeiten, die ich noch | |
gehört und teilweise an der Orgel begleitet habe. | |
Wie begann Ihre Musiker-Laufbahn? | |
Da schon in meiner Kindheit klar wurde, dass ich das absolute Gehör habe, | |
war mein Leben vorprogrammiert. Mit 13 habe ich an der Musikhochschule den | |
Studiengang für besondere Begabungen besucht. Später war ich am | |
Konservatorium und habe Diplome im Dirigieren, in Komposition, in Klavier | |
gemacht. Und schon während des Studiums war ich Organist an der großen | |
Budapester Dohány-Synagoge. Ab 1967 war ich allerdings nur noch "normaler" | |
klassischer Chor- und Operndirigent. | |
Warum? | |
Weil die Regierung es angeordnet hat. 1967, als in Israel der | |
Sechs-Tage-Krieg ausbrach, kamen zwei Zivilpolizisten, die mir mitteilten, | |
dass ich aufhören müsste. Wenn ich weiter in der Synagoge musizierte, sei | |
ich "Zionist" und damit Klassenfeind, sagten sie. In Ungarn - wie in der | |
DDR, der CSSR und der UdSSR - waren mit Ausbruch des Sechs-Tage-Kriegs alle | |
Juden als Zionisten abgestempelt. Ich hatte also die Wahl, ins Gefängnis zu | |
gehen oder einen anderen Beruf zu suchen. Ich wechselte in den normalen | |
Klassik-Betrieb. | |
War die Synagogal-Musik damit für Sie passé? | |
Nein. Glücklicherweise wurde meine Frau, die Pianistin Erika Lux, Anfang | |
der 80er Jahre nach Deutschland berufen, und ich ging mit. Wir sind erst | |
nach Bayern und später nach Hannover gezogen. Mich hat aber immer die | |
Synagogalmusik umgetrieben, und ich habe mich auf den Westen sehr gefreut: | |
Dies ist ein freies Land, hier kann ich mich frei entfalten, habe ich | |
gedacht. Und dann habe ich nach den großen Synagogalkomponisten des 19. | |
Jahrhunderts gesucht - Louis Lewandowski, Salomon Sulzer, Eduard Birnbaum - | |
und nichts gefunden! Sie standen in keinem Fachlexikon. Als ob es diese | |
Musik nie gegeben hätte. Dass die auch im Westen niemand kannte, hat mich | |
wütend gemacht. Gemeinsam mit Freunden habe ich dann in Paris Konzerte | |
gegeben, und die kamen so gut an, dass meine Freunde gesagt haben: Du musst | |
das in institutionalisierter Form weitermachen! Ich hatte damals schon die | |
Idee, in Paris ein Europäisches Zentrum für jüdische Musik zu gründen. Aber | |
meine Freunde haben gesagt: Du musst das in Deutschland machen. Von dort | |
ging die Zerstörung aus, da muss auch die Rekonstruktion stattfinden. | |
War das einfach? | |
Es war sehr mühsam, weil die nationalsozialistische Reichsmusikkammer | |
systematisch Noten, Bücher und Tonträger zerstört hatte. Trotzdem habe ich | |
viele Dokumente gefunden. Im Laufe der Zeit haben mich auch Menschen | |
angerufen - aus Israel, Amerika, Südamerika, Australien und Südafrika -, | |
die noch Noten oder Tonträger hatten. Sie hingen allerdings sehr an diesen | |
Dingen, es waren für sie Erinnerungsstücke. Ich musste viel | |
Überredungskunst aufbringen, damit diese Dokumente nach Deutschland | |
zurückkehren konnten. 1988 habe ich dann in Augsburg das Europäische | |
Zentrum für jüdische Musik gegründet und es 1992 quasi mit nach Hannover | |
genommen. | |
Was genau macht Ihr Zentrum? | |
Ich hatte von Anfang an drei Ziele: Erstens die Anbindung an die | |
Musikhochschule Hannover. Zweitens die Etablierung eines Studiengangs für | |
synagogale Musik. Beides ist gelungen. Und schließlich wollte ich einen Ort | |
finden, an dem meine Sammlungen - Handschriften, Noten, Bücher, Tonträger - | |
unterkommen können. Außerdem meine Synagogenorgel-Sammlung. | |
Wo lagern Sie die derzeit? | |
Das verrate ich nicht. | |
Welche Orte waren im Visier? | |
Man hat mir hier in Hannover unter anderem die ehemalige Aussegnungshalle | |
auf dem jüdischen Friedhof angeboten. Das behagte mir nicht. Ich selbst | |
habe dann die Villa Seligmann gefunden: die Villa des | |
"Continental"-Unternehmensgründers Siegmund Seligmann. Das Haus ist mit | |
seinen zweistöckigen Räumen sehr geeignet für die Orgeln. Wenn alles gut | |
geht, können wir im kommenden Jahr einziehen. | |
Warum war es Ihnen so wichtig, Teil der Musikhochschule zu werden? | |
Weil das eine Anerkennung der Qualität dieser Musik bedeutet. Denn deren | |
Rekonstruktion ist mir nicht aus Gründen der Wiedergutmachung wichtig, | |
sondern einzig wegen ihrer Qualität. Ich behaupte, dass diese Musik auf | |
einer Stufe mit der christlichen Kirchenmusik steht. | |
Wie haben Sie das bei den deutschen Kollegen durchgesetzt? Es kannte ja | |
niemand diese Musik. | |
Ich habe die besten Kantorenpersönlichkeiten nach Deutschland geholt und | |
Konzerte gegeben. Nicht in Synagogen, sondern in Konzerthäusern. Ich wollte | |
keine zusätzliche Hürde errichten. Am Ende habe ich sogar in Kirchen | |
konzertiert. Das fiel mir nicht leicht, aber ich habe bemerkt, dass immer | |
mehr Leute kamen. Unabhängig davon habe ich systematisch und stetig | |
Politiker davon zu überzeugen versucht, dass diese Musik gerettet werden | |
muss. | |
Haben Sie nie darüber nachgedacht, aufzugeben? | |
Nein. Ich war so unglaublich wütend, dass diese Musik zweimal zum Schweigen | |
gebracht wurde: von den Nazis und von den Sowjets. Das ergibt eine geballte | |
Ladung an Kraft. | |
Hätte Ihre Frau nicht den Ruf nach Deutschland erhalten, wären Sie dann in | |
Ungarn geblieben? | |
Nein. Ich hatte die Nase voll von Ungarn. Ob ich unter anderen Umständen | |
nach Deutschland gegangen wäre? Wohl eher nicht. Ich wäre nach Frankreich, | |
England oder Amerika gegangen. Aber Ungarn hatte ich satt. Ich war immer | |
ein sehr liberal denkender Künstler und durfte dort nie meine Meinung | |
sagen. Ich durfte nie meine Musik ausleben, mir wurde immer alles verboten. | |
Ich wollte ins Ausland reisen, man hat meine Anträge immer abgelehnt. Ich | |
fühlte mich in Fesseln. Aber ich wollte nicht in der klassischen Form | |
emigrieren: Meine Eltern lebten in Budapest und dieser Kontakt war für mich | |
wichtig. Deshalb freute ich mich, als meine Frau berufen wurde. Ich hatte | |
eine legale Möglichkeit zu gehen. Wäre ich auf andere Art emigriert, hätte | |
ich meine Eltern nicht mehr sehen können. Das wollte ich aber unbedingt. | |
18 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Kirchenmusik | |
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